"Welches Brot wäre das richtige?"

Werbung
Werbung
Werbung

"Was sich gehört, schlägt sich in Sprichwörtern nieder, die die Kinder zu sich nehmen wie das tägliche Brot. Wie überhaupt Sprache als Nahrungsmittel das Ihre tut."

Eindrücklicher und aussagekräftiger hätte ein Schriftsteller sich dieses Bild nicht ausdenken können: In einem Feld wurde ein österreichischer Kriegsverbrecher begraben, der 1945 Selbstmord begangen hatte. Jahrzehntelang wächst Gras darüber, sowie Mais, Erdäpfel und Getreide, jahrzehntelang lebt die Bevölkerung von den Früchten dieser derart kontaminierten Erde.

Der Massenmörder speist die Nahrungskette: Die literarische Ausfaltung dieses Bildes geht auf Josef Winkler zurück. Die Tatsache aber, dass ein Kriegsverbrecher akkurat in jenem Feld verscharrt worden ist, das auch sein Vater gepflügt hat, hat Winkler nicht erfunden. Erst vor einiger Zeit hat er davon erfahren. Odilo Globocnik, als SS-und Polizeiführer verantwortlich für Verfolgung und Ermordung von Juden, versteckte sich 1945 in einer Hütte am Weißensee, wurde von englischen Soldaten aber erkannt und entging durch Zyankali seiner Verhaftung. In Winklers Heimat, dem Kärntner Drautal, wurde Globocnik auf den Sautratten im Mai 1945 von den Engländern beerdigt.

Ein Dorf schweigt

Dieses Feld war ein Gemeinschaftsfeld, auch Winklers Vater und die Großväter bestellten es. Die Kinder halfen mit. Jahrzehntelang pflügten sie hier, bauten Getreide an. Doch niemand sprach davon, wer hier begraben war. Ein ganzes Dorf schwieg. Und Josef Winkler war ahnungslos, lief als Kind wohl oft barfuß auf dieser Vergangenheit herum.

Winkler, der Anfang März seinen 65. Geburtstag gefeiert hat, geht mit seinem jüngsten Buch wieder in seine Kärntner Heimat, in das Dorf Kamering. Und er sucht das Schweigen auf, in und mit dem er aufgewachsen ist und gegen das sich sein Schreiben von Anfang an richtete, seit der Romantrilogie "Das wilde Kärnten".

Eine Anrede ist dieses jüngste Werk mit dem Titel "Laß dich heimgeigen, Vater, oder Den Tod ins Herz mir schreibe", entstanden aus einem Auftragswerk für das Wiener Burgtheater, wo es vergangenen Herbst auch gespielt wurde. Eine Anrede, ein Brief, der sich an den Vater richtet und sofort mit jener Ambivalenz beginnt , die man aus Winklers Werken kennt, allerdings wird der Vater hier bewusst jüdisch, als "Tate", angesprochen. Da sind die Erinnerungen an die körperlichen Züchtigungen, die Geringschätzungen, die Vermutung, Tiere gälten mehr als die Kinder; da ist aber ebenso die Sehnsucht nach Zärtlichkeit, da gibt es die späteren Gespräche von Vater und Sohn trotz der Welten, die die beiden voneinander trennen. Und da ist die Mutter, die schweigt.

Nicht nur sie schweigt viel. Erzähler, schreibt Winkler, sind "unerwünscht in diesem Dorf". Über jene, die viel reden, sagt man: "Nach seinem Tod wird man sein Maul extra erschlagen müssen!", gängig sind auch Prophezeiungen wie: "Neugierige Leute sterben früh!" Was sich gehört und was nicht, schlägt sich in Sprichwörtern nieder, die die Kinder zu sich nehmen wie das tägliche Brot. Wie überhaupt die Sprache als Nahrungsmittel das Ihre tut. Selbstverständliche Ausdrücke wie "Der gehört niedergemäht!" verwenden dann auch die Kinder. Die Sprache wird weitergereicht von damals bis ins Heute, bis zur Art und Weise über "Zigeuner" und "Neger" zu sprechen oder über Kriminelle, die "an die Wand gestellt" wurden, oder über die "Arbeitsscheuen", denen "die Sozialgelder gestrichen gehörten".

"Mauthausen haben sie zu früh zugesperrt!" oder "Hitler hätte doppelt so viele Juden umbringen sollen!" Solche Sätze fallen nicht nur aus des Vaters Mund. Während Mutter und Schwester in der Küche Schnitzel klopfen und panieren, sitzen zwei Onkel und der Vater zusammen und berichten einander ihre Kriegserlebnisse. Der Krieg sei das einzige Erlebnis in seinem Leben gewesen, sagt der Vater, durch ihn sei er herumgekommen. Herumgekommen sind auch die Brüder der Mutter, aber sie sind aus dem Krieg nicht mehr heimgekommen bzw. sie sind anders heimgekommen, nämlich tot.

Weitergereichte Sprache

So gerne der Vater vom Krieg erzählt, vor allem wie eine Kugel einen jungen Sanitäter tödlich traf, der ihn gerade verbinden wollte: über den verscharrten Massenmörder fällt nie ein Wort. Doch Sprache und Denken wachsen weiter aus diesem verschwiegenen Boden des Feldes und Winkler geht in verschlungenen und bildreichen Sätzen den verheerenden Auswirkungen nach. Das dort angebaute Getreide wird gemahlen und zu Brot gebacken und die von den Sautratten verseuchte Milch wird an die Molkerei verkauft und als Käse und Butter umverteilt und "an die nächste und übernächste Generation weitergegeben". Jeden Tag werden Hunderte Brotlaibe gebacken und im ganzen Drautal verteilt. "Alle haben sie vom Brot aus den Sautrappen gelebt, das als Getreide aus dem Kadaver des Judenmassenmörders gewachsen ist."

Dass Winkler ein Meister des Bildes ist, hat er nicht zuletzt in seiner kunstvollen Novelle "Natura morta" gezeigt. Was man aus der Kunstgeschichte als Bild im Bild kennt, findet sich auch in dieser Prosa zuhauf. Selbst im kleinsten Bild verbirgt sich dann große Bedeutung, wenn etwa die Schröckenfux-Sense, die auf den Sautratten von Vater und Sohn geschwungen wird, das österreichische Bundeswappen mit dem Adler trägt.

Das Feld ein Land, "in dem das Skelett des Judenmassenmörders lauerte": ein Sumpf, der dampft. Eine eingenebelte Gesellschaft erzählt Winkler, eine Gespenstergeschichte, wie er selbst sagt. Und wie immer hält er seinen Bleistift, seine Worte dagegen: Schreiben als Versuch, diverse Nebel zu lichten. Der Georg-Büchner-Preis-Träger des Jahres 2008 thematisiert nebenbei den Verlust der Sprache und ihr Wiederfinden, und auch dieses Buch ist ein Gang durch sein bisheriges Werk, greift Motive und Bilder auf und baut sie neu zusammen. Das gespenstisch anwesend-abwesende Skelett im Feld setzt sie in ein neues Licht.

Dieser Brief an den Vater ist mehr Frage denn Anklage. "Hast du es absichtlich verschwiegen? Ob du uns verschonen und nicht sagen wolltest, daß wir über einem Skelett in den Sautrappen den Roggen für das tägliche Schwarzbrot und den Weizen für das tägliche Weißbrot ernten, aus Angst, daß uns makabre Fantasien bis in die Träume hinein verfolgen oder wir das falsche Brot essen könnten? Und welches Brot wäre das richtige gewesen?"

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung