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Welcome in der alten Heimat

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Eine kleine Meditation über eine allmähliche Heimkehr und darüber, das die Hoffnung nie aufhört.

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Eine kleine Meditation über eine allmähliche Heimkehr und darüber, das die Hoffnung nie aufhört.

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Er hatte auf seiner Reise nach Europa, die er für eine Heimfahrt mißdeutete, an die dreißig Stunden auf Flughäfen und in Flugzeugen gesessen und nicht daran gezweifelt, daß man ihn bei seiner Ankunft willkommen heißen würde. Er hatte eine Anzahl von Bekannten davon in Kenntnis gesetzt und sogar freudige Briefe erhalten. Endlich kehre er also wieder, er sei viel zu lange fort gewesen. Doch hatte ihn dann niemand am Ausgang erwartet und er hatte sich, entgegen seinen eigenen Erwartungen, fast darüber gefreut. Er tastete sich einen ersten Mittag und Abend durch seine Sprache oder vielmehr durch jene Trümmer, die seine Ohren erreichten. Er suchte keine Gespräche und niemand drängte ihm Worte auf.

Am nächsten Tag, nach einer Nacht im Hotel (am Empfangstisch hatte er Englisch geredet, er wollte sicher gehen, daß er verstanden wür de), war er weitere acht Stunden im Großraumwagen eines Eurocity an sein eigentliches Ziel weiter gefahren. Er bedauerte, daß er nicht gleich dorthin seinen Flug gebucht hatte, er hätte sich so die Kosten und Beschwernisse jener ersten und - wie sich gezeigt hatte - sinnlosen Zwischenstation erspart. In seiner Stadt aber, daran zweifelte er nicht, würden ihn die Freunde vom Bahnhof abholen, und er würde auch bei diesen Freunden wohnen dürfen, so hatten sie ihm geschrieben. Anfangs hatte ihn diese Erwartung mit Freude erfüllt, später schätzte er vor allem ihre praktische Seite. Jemand würde ihm auf dem Westbahnhof beim Koffertragen helfen und gewiß auch ein Restaurant kennen, wo er zur späten Stunde - der Zug würde erst kurz vor Mitternacht eintreffen - noch etwas Warmes essen könnte.

Als er dann auf dem Zielbahnhof aus dem Eurocity stieg und den Bahnsteig entlang ging - für sein Gepäck hatte er einen Wagen gefunden —, als er endlich die Halle erreichte, merkte er, daß auch hier niemand auf ihn wartete. Er hielt inne und ließ Zeit verstreichen, jeden Augenblick konnten die Freunde um die Ecke gelaufen kommen, weil sie sich - er nahm es ihnen nicht übel — beim Wein verschwatzt hatten. Aber nach einigem Warten mußte er sich eingestehen, daß niemand gekommen war. Er schob den Wagen mit seinem Gepäck vor sich her und überquerte den windgepeitschten Bahnhofsvorplatz.

EINE EINSAME HEIMKEHR

Im ersten Hotel, das ihm gefiel, verlangte er nach einem Zimmer und bekam es auch. Es war Winter und es gab nur wenige Gäste. Er schleppte - um diese Zeit gab es keinen Träger mehr - seine Koffer auf das Zimmer und hörte draußen das Heulen des Windes. Er war den Freunden dankbar, die ihn gestern auf dem Flugha fen der deutschen Stadt und jetzt hier vergessen hatten. Da niemand wußte, in welchem Hotel er sich aufhielt, schien es ihm das Beste, das Zimmer, das nicht teuer und hübsch eingerichtet war, nicht nur für diese eine Nacht zu behalten, sondern für die Dauer seines Aufenthaltes.

Dife Freunde hatten ihn abzuholen vergessen, er würde vergessen, sie morgen anzurufen. Er war gern allein. Daß er den Menschen eine gewisse lästige Treue hielt und daß sie ihm zuweilen gar fehlten, das war seine Schwäche, über die er längst hinaus sein sollte. Er fragte sich plötzlich, warum er in diese Stadt zurückgekommen war, die für ihn aus Namen und Gesichtern bestand. Ohne diese Namen und Gesichter war sie belanglos für ihn. Warum sollte sich jemand der Mühe unterziehen, um den halben Erdball in eine belanglose Stadt zu reisen? Aber warum auch nicht? Vor dem Schlafengehen zog es ihn noch einmal in diese stürmische Nacht hinaus. Er hatte mit dem ungarischen Nachtportier bei seiner Ankunft immerhin Deutsch gesprochen. Vielleicht könnten sie noch ein wenig plaudern. Seine Sprache, so hoffte er, müßte, wenn schon nicht den Dingen, so doch der Not gerecht werden, die zu lindern die Sache der Sprache. war. Aber der Nachtportier war dann nirgends zu sehen, als er erneut die Halle durchquerte.

Von einem nahen Kirchenturm schlug es eins. Er hatte seit langem keine Glocken läuten hören und freute sich augenblicklich auf das Glockenläuten der kommenden Tage. Er hoffte, daß es zu jeder Stunde pünktlich ertönen würde. Schon wieder hoffte er, der Unbelehrbare. Was mußte geschehen, damit er endlich klüger würde?

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