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Welt und Umwelt im Roman

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DAS TIER IM DSCHUNGEL. Erzählung. Von Henry James. Aus dem Englischen übertragen von Helmut M. Braun und Elisabeth Kaiser. Piper- Verlag, München. 68 Seiten.

Das Unwiderrufliche, das Einmalige, das besonders Auswählende gibt es in jedem Leben. Aber daß darnach einer sucht, weil er es im Kommen meint — das ist „englisch"; das gehört zur Literatur, die den Engländern Vorbehalten bleibt. In dieser „Erzählung" ist es Begegnung, ist es Bleiben, ist es vor allem der Tod, der geahnt wurde. Ist es nicht seltsam,-daß wir Heutigen im Kleinen des individuellen Lebens das Große des allgemeinen Lebens auffällig und tragisch und besonders halten? Der „Dschungel“ ist auch in dieser Erzählung, in dieser Begebenheit nichts anderes als das Wunder der Begegnung und das noch seltenere Wunder der Treue zur Begegnung — leider empfinden wir diese schon als „Dschungel“, als Wucherung und Ueberflutung unseres Lebens. In patriarchalischer Umwelt (als Beispiel sei Claudel genannt, der für eine versunkene Welt steht und irgendwie doch noch gilt!) wäre hier eine selbstverständliche, problemlose, natürliche Geschichte erzählt; aber wir leben nicht konsequent aus Prinzipien, sondern in bloßem zeitlichem Nacheinander. Ohne den Umbruch der Welt und Umbruch des Weltgefühls wäre diese Geschichte niemals ein „Dschungel". Daß wir sie als solche lesen können — 'das sollte uns die Zeichen der Zeit, der Gegenwart, anweisen, andeuten, zu bedenken geben und lesen lernen.

DIE LAUNEN DES PEGASUS. Roman. Von Josef Vital Kopp. Benziger-Verlag, Einsiedeln. 220 Seiten. Preis 12.85 sfr.

Verliebte können sich Gedichte vorlesen; sogar die eigenen sind dann schön und gut. Aber wenn die Verliebten dann geheiratet haben, genügen die Gedichte nicht mehr; die eigenen schon gar nicht. Das wußte Justin von Urbanek nicht, der ein be- . liebter Mittelschulprofessor war, Gedichte schrieb und sich für einen Dichter hielt. Dann, verheiratet mit einem reichen, unkomplizierten, sportlichen Mädchen, Yvonne, tat er das Komischste, was es gibt: er wollte als Dichter und Schriftsteller seiner Frau imponieren. Er begann ein „Lebenswerk", unter dessen Konzeption er sich selbst, seine Ehe, seine Freunde und seinen Beruf aufs Spiel setzte und — verlor. So wurde aus seinem Leben eine Tragik, für die man nur einen kleinen, mitleidigen Spott übrig haben kann. „Dichterisch zu existieren“, ist nur den Größten erlaubt: die Kleinen kommen gegen die . Launen des Pegasus“ nicht auf — er zertrampelt ihr Leben und das bißchen Kunst, das sie haben. In der Geschichte, die Kopp meisterhaft erzählt, gelingt dem Professor Justin von Urbanek zuletzt doch noch — Pegasus ist unkontrollierbar; man weiß nie, wann er mit den Hufen tritt oder fliegt! — ein Kunstwerk: seine Rechtfertigungsschrift, ein einfacher Bericht seines Lebeijs wird Dichtung. — Für Schriftsteller eine warnende Lektüre: die beste Absicht des Schreibenden macht keinen Schriftsteller; die Kunst läßt sich nicht erzwingen.

NOCH NICHT … Roman. Von Tereska Tot- r e s. Aus dem Französischen übersetzt von Melita Ollendorff. Paul - Zsolnay - Verlag, Hamburg. 136 Seiten.

Dieses Buch hätte man nicht übersetzen sollen,

denn es ist höchstens in Frankreich und in französischer Sprache lesbar. Die Geschichte eines französischen Backfisches, in einem Pensionat von Klosterfrauen und in einer „modernen“ Familie (Vater, Mutter, Vaters Freundin) aufwachsend. Und natürlich neugierig und lebensgierig, wie es dem Alter entspricht. Dazu ist Beginn des zweiten Weltkrieges mit der unlauteren Umwelt und Zeit. Das Buch ist von A bis Z in einer dunstigen, lüsternen Atmosphäre gehalten, und man weiß nicht, wem es nützlich sein soll: den jungen Mädchen, die „noch nicht“ so weit sind, dient es nicht; denen, die „schon“ so weit sind, sagt es nichts mehr; die Erwachsenen langweilt es, unsaubere Pubertätserscheinungen lesen zu sollen; Pädagogen wissen das alles schon. Also freut dieses Buch auch niemanden. Allerdings scheint noch durch die (übrigens geglückte) Uebersetzung hindurch, daß die Autorin sehr gut schreibt. Es ist nur schade, daß sie ihr Talėiil nicht für gewichtigere Dinge verwendet. Man kann nur hoffen, daß Tereska Torres mit anderen Werken dieses vorliegende baldigst zum Verschwinden bringt.

UNTER DEM MAULBEERBAUM. Eine Erzählung. Von Katina’Papa. Aus dem Neugriechischen übertragen von Isidora Rosenthal-Kamarinea. Walter- Verlag, Olten.

Aus dem modernen städtischen Griechenland kehrt Marina zurück aufs Land ihrer Kindheit, in die bäuerliche Welt; voll von Unbekanntem, in der Kindheit nicht Geahntem ist das alte Land. Wir erwarten dort Götter und Nymphen, aber es sind chthonische, unvergeistete Wirklichkeiten, die sie vorfindet. Vom deutsch-griechischen, hölderlinschen Griechenland ist diese Erzählung weit entfernt — aber ebenso weit von unseren „europäischen“ Vorstellungen und Umwelten. Es ist Andeutung von Lesbos und Eros, aber es ist alles ebenso heutig, wie für uns fremd. Eine eigenartige Mischung umweht diese Erzählung — vielleicht ist sie mehr, als sie je wollte, weil w.ir sie nun übersetzt lesen: das immer noch rätselhafte, neue Griechenland ist hier zusammengefaßt in „eine Geschichte".

UND ALLES LEBEN IST GEFAHR. Roman. Von J. C. Klaus. Verlag Bonz, Stuttgart 1958. 610 Seiten. Preis 22.60 DM.

Felix Passant, der Held des Romans, ist eine Art Weltbürger in europäisch-christlichen Formbildern. Schweiz und Deutschland, Christenleben und Weisheiten. des Ostens, griechische, indische, ägyptische Wahrheiten, Seelenwanderungslehre und moderne Wirtschaftslehren — das spinnt sich zusammen, verwirrt und entwirrt sich. Das Buch ist sehr gut geschrieben; es ist anregend, weniger aufregend; es ist fast zuviel des Guten zusammengetragen, so daß es utopistisch wirkt. Ob wif je einer solchen Werte- und Lebenswelt entgegengehen, die sich die Elemente aus der ganzen Welt und allen Kulturen zusammensuchen kann — das ist eine Frage, die man sich bei aller Bewunderung für den Roman und seinen Autor am Ende des Buches stellt …

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