6558289-1948_34_10.jpg
Digital In Arbeit

Weltbild und Lebensziel

Werbung
Werbung
Werbung

„es fließt alles wie an einem Wachstuchmantel an mir herunter“, wußte L787 Goethe nach dem Erlebnis der Zeremonien der lateinischen und griechischen Weihnachtsliturgie aus Rom zu berichten und doch mußte er eingestehen: „Auch da hab ich wieder gefühlt, daß ich für alles zu alt bin, nur fürs Wahre nicht.“ Es mag Menschen geben, die heute noch tu einem solchen Lebenskreis stehen, deren Weltbild so bestimmt ist. Sie sind aber schon „rari nantes in gurgite vasto — seltene Schwimmer in wüstem Strudel“ geworden, ihnen kann heute nicht der Vorwurf eines geistigen Vorbehaltes erspart bleiben, wie ihn Annie Kraut ausspricht, denn es sichert sich in diesem Vorbehalt „das unwahre Ich gegen die gnadenhaft immer bereitstehende Möglichkeit der Um. und Einkehr in die Macht des wahren Ichs, das, gründend im Wir von Gott und Menschheit, die Liebe ist. Der Vorbehalt ist der Riegel gegen die Liebe.“ (Fülle und Verrat der Zeit. Zum Begriff der existentiellen Situation, Verlag A. Pustet, Graz, S. 27.) Es gibt aber eine Stunde des Menschen, in der die existentielle Entscheidung fällt. Sie ist die der Nachfolge Christi, „dessen Stunde gekommen war, als das Wort des Vaters ihm vernehmbar wurde. Dieser Richtpunkt Christi bleibt auch unser Richtpunkt“ (S. 26).

Die Unsicherheit der gegenwärtigen Zeit stoßt die Geister nur allzu leicht in jene Ungewißheit und Ratlosigkeit, in der sie so leicht Scharlatanen verfallen. Klare und sachliche Begriffe sucht aus dem christlichen Aspekt das sich in der Praxis schon bewährte Buch des Grazer Univ.-Prof. Dr. J. Fisch 1, „Christliche Weltanschauung und die Probleme der Zeit“ (Verlag Styria, Graz), zu vermitteln. Eine umfassende Zusammenschau will alle aktuellen Fragen nicht nur einer eingehenden Prüfung, sondern auch einer kritischen Beurteilung unterziehen. Mit innerer Sicherheit sollen die verschwommenen und vielfach vollkommen unwissenschaftlichen Tageserscheinungen zur nötigen Korrektur verhalten werden. Der richtige Weg kann sich keineswegs mit einer Aburteilung begnügen, er bedarf vielmehr des positiven Wertes menschlicher Erfahrung und wissenschaftlicher Erkenntnis. Die positive Auslegung der christlichen Glaubenslehre ist um so wichtiger, weil sie niemals in der Negaton beharrt und das Gefühl nicht in einen Antiaffekt treibt. Die wirkliche Lebens- und Wesensschau vermag dem menschlichen Leben die große Gestalt verleihen. Dieses Buch weist hiezu den Weg.

So kann das gesprochene und geschriebene Wort zu jenem selbstlosen Helfer werden, aus dem die Persönlichkeit strahlt, die über dem Worte vom Ich zum Du wird. Yves de Mont cheuil, dessen Reden und Abhandlungen hier zu einem Band vereinigt aus dem Verlag der Dokumente (Offenburg Baden) vorliegen, hat daher auch den Tod auf sich genommen. In den Tagen der höchsten inneren und äußeren Unruhe Frankreichs — 1944 — litt es den jungen Dogmatikprofessor vom Institut Catholique in Paris nicht mehr in seinem Studierzimmer, sondern es zog ihn zu den Studenten hin, die im Maquis um die Freihet ihrer Heimat kämpften und vielfach des geistigen wie des geistlichen Trostes entbehrten. Bei den Schwerverwundeten in den Bergen von Grenoble wurde er gefangengenommen und fand bald darauf den Tod. Von den ernsten und tiefen Gedanken, von denen sein Streben beseelt war, wie von seiner absoluten Christlichkeit zeugen die „G r u n d f r a- gen des inneren Lebens“, in denen es einmal heißt: „Der Christ nimmt der Welt gegenüber keine naive Haltung ein. Er kann sich ihren Bestrebungen nicht kritiklos anschließen. Noch weniger darf er alles ablehnen und alles verwerfen. Sein Mitmachen muß wohl überlegt und von beständiger Läuterung begleitet sein. Je tiefer di Läuterung des Christen dringt, desto weiter darf er in der Anhänglichkeit an diė menschlichen Werte gehen. Seine Zurückhaltung und seine Beherrschtheit besagen kein Mißtrauen gegen Gottes Schöpfung, sondern die Wirkung einer Liebe, die sich selbst sehr rein, sehr keusch sehen will, bis endlich einmal das Menschlich» und das Göttliche im neuen Himmel und auf der neuen Erde so eins sein werden, daß der Mensch nicht mehr der Verderbnis noch der Verirrung anheim fallen kann“ (S. 102).

Zu deren Erfüllung bedarf es jener Hingabe, die sich niemals in schwächlichem Nachgeben erschöpft, sondern ihre Vollendung im Geheimnis des christlichen Mysteriums sucht. In diesem Sinne muß die Neuauflage des Buches der Benediktinerin Maura Böckeler „D a s große Zeichen“, Die Frau als Symbol göttlicher Wirklichkeit (Verlag O. Müller), betrachtet werden. Es mag viele gutgemeinte Frauenbücher geben, denen trotzdem eine gewisse Oberflächlichkeit anhaftet, weil sie an der grundlegenden dogmatischen Schau vorübergehen. Gewiß ist ein solches Beginnen nicht leicht und doch muß erstrebt werden, die tiefsten Wahrheiten verständlich auszusprechen. Niemand wird behaupten dürfen, daß ein solches Verlangen leicht zu erfüllen ist. Wer es auf sich nimmt, muß jene Welt zeigen, die, aus dem Schatze des urchristlichen Glaubens und der ältesten Überlieferung der Kirche schöpfend, das ausdrucksvollste Bild vermittelt. Solange wir Menschen dieser Zeit nicht aus Gebet und Betrachtung das ewige Mysterium des Glaubens neu zu formen und in lebendigen Worten auszudrücken verstehen, werden wir dankbar zu Büchern solcher Art greifen. Wir erkennen aber auch daran, wie wenig schöpferisch das christliche Glaubens- und Erömmigkeitslcben der letzten Jahrhunderte gewesen ist und wie weit wir noch von dem Ziel entfernt sind, dem wir zuzustreben haben.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung