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Weltgeschichtliches Vorspiel
Ein Metternichbrief aus bisher nicht veröffentlichten Akten des Staatsarchivs
Ein Metternichbrief aus bisher nicht veröffentlichten Akten des Staatsarchivs
Am 3. März 1840 übersandte der preußische Schriftsteller und Ex-Diplomat Varn- hagen von Ense dem Fürsten Metternich ein Werk, das er über die „Napoleonische Epoche" und die Kongreßzeit der Jahre 1814 und 1815 verfaßt hatte. Das vom 26. März 1840 datierte Dankschreiben Metternichs für diese Widmung (hinterlegt im österr. Staatsarchiv, Kriegsakten in genera, Faszikel 512 von 1840) lautete:
An Herren Varnhagen von Ense
Ich bin Euer Wohlgeboren für die Übersendung Ihrer neuesten Schriften sehr verbunden. Soviel mir die Zeit es gestattete, habe ich Bruchstücke aus denselben, den Wiener Congreß aber ganz gelesen. Da. dieser Aufsatz ein mir wohlbekanntes Feld berührt, so dürfte Ihnen die Versicherung angenehm sein, daß ich in dem Bilde nur wenig zu verändern finde, um es, vom Standpunkt, welcher der Ihrige war, betrachtet, als der vollen Wahrheit treu zu erkennen.
Eine Bemerkung mache ich hier, weil sie eine historische Tatsache betrifft. Sie haben unter der Impression geschrieben, als habe sich Gentz nach der Rückkehr Napoleons von Elba, für eine friedliche Aussöhnung mit ihm erklärt. Dieß war nicht der Fall und wäre dem auch nicht so gewesen, so würde dessen Ansicht in der wichtigen Entscheidung keinen Einfluß gehabt haben. Der Hergang der Sache war der folgende, und wenn ich ihn im kurzen Umriß wiedergebe, so war der Krieg in einem kaum längeren Zeitraum entschieden, als ich bedarf, um das Geschichtliche hier niederzuschreiben.
Die erste Kunde des Durchgehens Napoleons von Eliba habe ich, und dieß zwar auf die folgende Weise erhalten. Eine Konferenz in meinem Kabinette, zwischen den Bevollmächtigten der „fünf Mächte“, hatte sich in der Nacht vom 6. auf den 7. März bis gegen drey Uhr erstreckt. Da die Cabinette z'u Wien vereint waren, hatte mein Kammerdiener den Befehl, midi, wenn Curiere bei Nacht ankämen, nicht zu wecken. Diesem Befehle ungeachtet, brachte mir derselbe gegen 6 Uhr frühe eine Depesche, wofür ich ihn derb ausmachte. Auf dem Couvert stand: „vom k. k. General Consulate zu Genua". Ich legte die Schrift, ohne selbige zu öffnen, auf meinen Nachttisch und kehrte unwillig zur Ruhe, welche ich jedoch nichtmehr fand. Gegen TYi riß ich die Depesche auf. Sie enthielt in sechs Zeilen die Anzeige; der engl. Cormmis- sair Gampbel seye soeben auf der Rhede erschienen, um sich zu erkundigen, ob Napoleon sich zu Genua habe blicken lassen, den von Elba seye er verschwunden? In wenigen Minuten war ich angekleidet, denn vor acht Uhr war ich bey dem Kaiser.
Der Kaiser las den Bericht und sprach ruhig und gefaßt, wie er es in allen großen Gelegenheiten war, die folgenden Worte zu mir: „Napoleon scheint den Abentheurer spielen zu wollen; dieß ist seine Sache. Die Unsere ist, der Welt die Ruhe, welche er Jahre lange störte, zu sichern. Gehen sie ohne Verzögerung zu dem Kaiser von Rußland und idem König von Preußen, und sagen sie Ihnen, daß ich bereit bin, meiner Armee alsbald den Ausmarsch nach Frankreich zu befehlen. Ich zweifle nicht, daß beyde Monarchen mit mir einverstanden sein werden.“
Um 8 Yi war ich beym Kaiser Alexander, welcher mich mit denselben Worten beschied, wie der Kaiser Franz. Um 8 V? Uhr erhielt ich dieselbe Erklärung von dem König Friedrich Wilhelm. Um 9 Uhr war ich zu Hause und bat die Minister der fünf Mächte, sich um 10 Uhr bey mir zu versammeln. Um dieselbe Stunde waren bereits Adjutanten in allen Richtungen unter Wegs, um den zurückziehenden Armeeabteilungen den Befehl des Haltmachens zu befehlen. Sie sehen, daß der Krieg gegen Napoleon in weniger als zwey Stunden beschlossen war.
Die Minister, als sie sich um 10 Uhr bey mir einfanden, wußten nichts von dem Geschehenen. Talleyrand war der erste, der ein- trat; ich gab ihm den Bericht aus Genua zu lesen. Er blieb kalt und zwischen uns fand das folgende lakonische Gespräch statt:
Talleyrand: „Savez-vous oü va Napoleon?“
Moi: „Le Rapport n’en dit rien."
Talleyrand: „II debarquera quelque part sur la cote d’Italie oü se jettera en Suisse."
Moi: „II ira droit k Paris!"
Dies ist die Geschichte in ihrer ganzen Einfachheit. Ein Paar Tage später reiste der
Herzog von Wellington und Talleyrand mit mir nach Preßburg, woselbst wir die Ausgleichung mit dem Könige von Sachsen bewirkten und wo der Herzog 3 Kavallerieregimenter, welche bereits auf dem Rückmärsche nach Frankreich waren, vor sich defilieren ließ
Empfangen Sie die Versicherung meiner vollkommenen Hochachtung
Metternich
Wir, die wir heute in der Zeit der endlosen Konferenzen und diplomatischen Noten leben, können das Europa der napoleonischen Zeit nur darum beneiden, daß die Einigkeit der damaligen Verbündeten, die frei von eigensüchtigen Hemmungen zu ihrem gegebenen Wort standen, so rasch wie möglich dem Kontinent die Freiheit und den Frieden wieder gab.
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