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Wenn die Pharaonen Rache nehmen

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Dem Fernreisenden drohen einige gefährliche Krankheiten. Gegen die meisten kann man sich jedoch gut schützen.

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Dem Fernreisenden drohen einige gefährliche Krankheiten. Gegen die meisten kann man sich jedoch gut schützen.

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Zwei Monate nach der Rückkehr aus Costa Rica bemerkte Michael K. eine leichte Schwellung in der linken Leiste. Bald daraufsetzten nächtliche Fieberschübe und starke Gliederschmerzen ein. Binnen zehn Tagen hatte sich in K's Hüfte eine faustgroße Geschwulst gebildet. Die erste Diagnose: Eine Infektion hatte die in der Leiste befindlichen Lymphknoten zum Anschwellen gebracht. Die Folgen: Drei Wochen Aufenthalt im Krankenhaus, wo rund 40 Milliliter Eiter und andere Sekrete aus der Leiste abge- _ saugt wurden. Woran K. litt, wird er nie erfahren: Die für die Erkrankung verantwortlichen Erreger konnten nicht entdeckt werden.

Für gewöhnlich jedoch passiert es sehr selten, daß man eine geheimnisvolle Krankheit als unerwünschtes Souvenir aus dem Urlaub in fernen Ländern nach Hause zurückbringt. Reisekrankheiten beschränken sich zumeist auf einige wenige bekannte - nichtsdestotrotz gefährliche - Leiden. „Man hat hierzulande zu viel Angst vor den Exoten”, meint Herwig Kolleritsch, Professor am Institut für Tropenmedizin der Universität Wien. Die Chancen, daß man sich als Urlauber mit furchterregenden Krankheiten wie Ebola, Lepra oder der Schlafkrankheit infiziert, seien äußerst gering, beruhigt der Mediziner.

Die mit Abstand häufigste Krankheit, die man sich bei einem Urlaub fern der Heimat zuziehen kann, ist eine eher banale: Durchfall. Ungefähr die Hälfte aller Reisenden wird von diesem Leiden geplagt, das je nach Urlaubsziel die klingenden Namen „Der Fluch der Pharaonen” oder „Monte-zumas Rache” trägt. Von den Betroffenen erwischt es ein Drittel so stark, daß sie das Bett hüten müssen, die Hälfte der Opfer muß bestimmte Unternehmungen dem Wüten ihres Verdauungstraktes opfern. Man stelle sich vor: Die Pyramiden von Gizeh und keine Toilette weit und breit.

Eine Durchfallerkrankung ist in den allermeisten Fällen nicht lebensbedrohlich, dauert im Durchschnitt dreieinhalb Tage und vergeht in der Regel von alleine.

Übertragen werden Durchfallerkrankungen hauptsächlich über die Nahrungsmittel, die in tropischen Ländern häufig hygienisch nicht einwandfrei sind. Hierfür ist vor allem die mangelhafte Trennung zwischen Trink- und Abwasser verantwortlich. Leitungswasser, Eiswürfel, Eiscreme, Salate, rohes Gemüse, ungeschälte Früchte sowie roher Fisch und rohes Fleisch sind daher zu vermeiden. Für Herwig Kolleritsch gilt die Devise: „Cook it, boil it or forget it.” - Kochen, sieden, oder vergessen.

Eine andere, relativ häufige Reisekrankheit ist die Malaria, deren Auswirkungen von regelmäßig wiederkehrenden Fieberschüben bis zum Fall ins Koma reichen. Weltweit sind 400 bis 500 Millionen Menschen mit der Krankheit infiziert, mindestens zwei Millionen jährlich sterben daran. Wer nach einer Reise in die Tropen unter Fieber leidet, sollte sofort einen Arzt aufsuchen, denn es könnte sich um Malaria handeln.

Die Malaria kennt keine sozialen Schranken: Auf einer Dienstreise nach Afrika im Mai hat sich der deutsche Wirtschaftsminister Günther Rexrodt damit angesteckt. Er leidet an der gefährlichsten Form dieser Krankheit: Der malaria tropica, der Gehirnmalaria. Sie sollte in den ersten Tagen nach ihrem Ausbruch behandelt werden. Ohne Behandlung endet sie für 40 bis 60 Prozent der Betroffenen tödlich. 1994 etwa starben 19 deutsche Touristen an dieser gefährlichen Krankheit.

Für die Malaria gilt, was für viele sogenannte tropische Krankheiten gilt: Nicht nur das Klima, sondern auch die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse sind für deren Verbreitung verantwortlich. Noch vor

_ wenigen Jahrzehnten war die Malaria in Österreich heimisch. Nach Angaben von Heinrich Stemberger, Leiter des Instituts für Sonnen- und Tropenmedizin in Wien, gab es hierzulande noch in den fünfziger Jahren 1.000 hausgemachte Malariafälle. Mittlerweile ist die Malaria in Osterreich selbst jedoch ausgerottet.

Derzeit werden in Österreich rund 100 Malariafälle pro Jahr gezählt. Obwohl es gegen die Malaria zahlreiche vorbeugende Medikamente (Prophylaxen) gibt, glauben viele Beisende, darauf verzichten zu können. Sogar wenn das Beiseziel Afrika lautet, schützen sich nur vier von fünf Beisenden. „Das ist dasselbe, wie wenn man mit einem schnellen Motorrad ohne Sturzhelm fährt”, vergleicht Heinrich Stemberger. Er habe zwar seinen „missionarischen Eifer abgelegt”, erzählt er und verweist auf die Verantwortung jedes einzelnen für sich selbst. Trotzdem: „Wenn jemand ohne irgendeinen Schutz an den Viktoriasee fährt, kann ich nur sagen: ,Sie sind wahnsinnig.'”

Denn in Afrika ist die Wahrscheinlichkeit, sich mit Malaria anzustecken, mit Abstand am größten. Achtzig Prozent der Malariakranken weltweit stecken sich am Schwarzen

Kontinent an, neunzig Prozent der Malariatoten sind Afrikaner oder haben sich dort infiziert. Im Jahre 1993 kam einer von 350 Afrikareisenden, die keine entsprechende Prophylaxe verwendet hatten, mit dem Malariaerreger im Blut nach Hause zurück. Zum Vergleich: Bei Beisen nach Asien (ohne Japan, denn dort gibt es keine Malaria) erkrankte einer von 2.500, bei Beisen nach Südamerika einer von 20.000, die ohne Malariaprophylaxe unterwegs waren.

Die Liste der weiteren Reisekrankheiten ist lang: Die Hepatitis A kann ihr Opfer mit Gelbsucht für mehrere Wochen ans Krankenbett fesseln. Das Risiko, sich damit zu infizieren, ist in sozioökonomisch unterentwickelten Ländern enorm hoch. Der einzige Trost für ihre Opfer: Man wird in den allermeisten Fällen wieder völlig gesund.

Schlimmer hingegen ist die Hepatitis B, die oftmals in eine chronische Gelbsucht übergeht - Leberkrebs oder Leberzirrhose können folgen. Die Hepatitis B wird vor allem über ärztliche Eingriffe und über Stiche von Bettwanzen übertragen - und über Geschlechtsverkehr.

Überhaupt sind sexuell übertragbare Krankheiten wie Aids, Syphilis oder Gonorrhoe unter Fernreisenden stark im Zunehmen. In Afrika und Südostasien sind bis zu 90 Prozent der Prostituierten mit dem HIV-Virus infiziert. Die Tropenmediziner apellie-ren daher eindringlich, ungeschützte Sexualkontakte in allen tropischen Ländern zu vermeiden.

Jährlich erkranken weltweit 35 Millionen Menschen an Typhus; für eine Million endet die Krankheit tödlich. An Cholera erkranken weltweit 400.000 Menschen jährlich, allerdings ist die Todesrate um vieles höher: Wird die Krankheit nicht behandelt, stirbt jeder zweite Infizierte. Diese beiden Leiden treten vor allem in unterentwickelten Begionen auf, wo Armut und Trinkwassermangel jegliche Nahrungsmittelhygiene unmöglich machen.

Verheerend ist die Japan-Enzephalitis, eine Krankheit, der cirka 10.000 Menschen pro Jahr in ländlichen Gebieten Südostasiens zum Opfer fallen: Auf Kopfschmerzen und Übelkeit folgt innerhalb weniger Tag' ein tiefes Koma. Die Hälfte der Kranken stirbt und 80 Prozent der Überlebenden bleiben auf Dauer behindert.

Diphterie, Tetanus und Kinderlähmung sind ebenfalls Krankheiten, mit denen man sich auf Fernreisen infizieren kann. Dagegen sollte ohnehin jeder Österreicher geimpft sein.

Auch gegen die meisten anderen Beisekrankheiten kann man sich schützen. Welcher Schutz notwendig ist und welcher nicht, hängt vom persönlichen Beisestil ab: Wer sein Hotel nicht verläßt, braucht sich etwa gegen Cholera und Typhus nicht impfen zu lassen, sehr wohl aber derjenige, der sich in Elendsviertel begibt.

Nur individuelle Beratung ist sinnvoll

„Nur individuelle Beratung ist sinnvoll”, betont Herwig Kolleritsch. Der Beisende müsse dem Arzt ein Maximum an Hintergrundwissen liefern. Wer „rustikal unterwegs” sei, brauche mehr Schutz als ein Pauschalreisender, sagt der Mediziner. In Indien etwa liege das Bisiko, sich mit Hepatitis A zu infizieren, für den gewöhnlichen Touristen bei eins zu 2.000, für den Rucksacktouristen hingegen bei eins zu 50.

Entsprechend sind auch die Kosten: Wer als Pauschaltourist in die Dominikanische Republik reist, kommt für sein Impfprogramm mit 800 Schilling aus. Wer mit dem Rucksack ein Jahr durch Indien reist, muß rund 6.000 Schilling ausgeben, um gegen die gängigsten Krankheiten geschützt zu sein.

Doch ein Restrisiko bleibt: Nicht alle Impfungen und Prophylaxen bieten einen lOOprozentigen Schutz. Und es gibt unzählige seltene Krankheiten, gegen die man sich unmöglich alle impfen kann. „Das Leben ist nun einmal risikoreich ”, sinniert Heinrich Stemberger. Doch den Betroffenen nutzt diese Erkenntnis wenig. Stemberger: „Vom hohen Boß der Statistiker aus hat man leicht reden. Wer eine schwere Krankheit hat, dem ist es egal, wie unwahrscheinlich es war, daß er sich infiziert hat.”

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