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Wenn die Seele schreit

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Mangelnde Anerkennung und das Gefühl der Hilflosigkeit bei der Bewältigung des Lebens fuhren bei vielen Menschen allmählich zum Gefühl des völligen Ausbrennens, zum „Burn-Out-Syndrom”.

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Mangelnde Anerkennung und das Gefühl der Hilflosigkeit bei der Bewältigung des Lebens fuhren bei vielen Menschen allmählich zum Gefühl des völligen Ausbrennens, zum „Burn-Out-Syndrom”.

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Ich fühle mich allmählich verbraucht”, klagt die 28jährige Nancy. „Zwischen den Problemen der Doppelbelastung, die in meinem Haushalt nicht gelöst, nicht einmal zeitweise in Einklang gebracht sind, den Bedürfnissen des Babys, den beruflichen Anforderungen, meinen Eltern, Freunden - fühle ich mich immer schuldig oder zermürbt oder beides. Ich rase von Rolle zu Rolle und fühle mich seelisch gespalten.”

Susan ist eine 44jährige alleinerziehende Mutter. Sie muß einen Beruf, ein Kind, einen Haushalt, ihr Privatleben und finanzielle Probleme unter einen Hut bringen. Ihre Arbeit als Chefsekretärin, „ein Sackgassenjob in meiner Firma”, empfindet sie als undankbar und enervierend. Ihren Frust läßt sie ari dem Kind aus. Sie leidet an schweren Schlafstörungen, nimmt tagsüber Valium und trinkt vor dem Schlafengehen regelmäßig ein paar Gläser Whisky.

Die beiden Frauen leiden an Rurn-Out. Sie .sind .ausgebrannt. .Der Psychoanalytiker Herbert Freudenber-ger und die Journalistin Gail North haben sich in dem Buch „Burn-Out bei Frauen” (Fischer Taschenbuch Verlag 1992,, 116 Schilling) mit diesem Phänomen in den Vereinigten Staaten auseinandergesetzt. Sie definieren Burn-Out als eine Erschöpfung aufgrund von Überforderungen, die von innen oder von außen kommen und ihren Opfern Energie, Bewältigungsmechanismen und innere Kraft rauben. „Ich fühle mich wie ein Zom-bie” beschrieb eine Patientin ihren Zustand.

Das Ausbrennen ist ein Prozeß, dessen Symptome von den Opfern häufig bis zuletzt als Teil ihres Lebens wahrgenommen werden. Am Anfang steht der Zwang, sich zu beweisen. Es folgen die Vernachlässigung der eigenen Gefühle, Verdrängung und Verleugnung der auftretenden Probleme. Das Gefühl innerer Leere und massive Depressionen markieren die Stufen vor dem Endstadium, der völligen Erschöpfung. In diesem Zustand kann es zu Selbstmord und schweren psychosomatischen Erkrankungen kommen.

Inzwischen ist Burn-Out auch in Österreich als „Erschöpfungssyn-drom” eine offizielle diagnostische Kategorie geworden. Die Wiener Psychotherapeutin Ursula Margreiter, die sich beruflich mit Burn-Out-Prävention beschäftigt: „Burn-Out ist nichts Frauenspezifisches” sagt sie, aber Frauen seien davon öfter betroffen als Männer.

Uberforderung ist eine Ursache

Überforderung sei nur einer der Faktoren, die zu Burn-Out führen, analysiert Margreitef, wobei die zweifache Belastung von Frauen durch Familie und Beruf sicherlich eine Rolle spiele. „Doch es ist naiv und oberflächlich, die Diskussion nur an der Doppelbelastung der Frau festzumachen” fügt sie hinzu.

In der Tat ist die Relastung von Frauen durch Familie, Haushalt und Reruf erheblich, wie der Frauenbericht 1995 des Rundesministeriums für Frauenangelegenheiten belegt: Obwohl sich Mariner mehr an 1 lausarbeit und Kinderbetreuung beteiligen als noch vor 15 Jahren,SsX der Zeitaufwand der Frauen dafür mehr als doppelt so groß. Ein Drittel der berufstätigen Männer beteiligt sich überhaupt nicht an diesen Aufgaben.

Der Reitrag von Vätern zur Kinderbetreuung beschränkt sich zumeist auf gemeinsames Spielen, auf Ausflüge und andere Freizeitaktivitäten, stellt der Frauenbericht fest. Auch für die Pflege älterer Angehöriger müssen zumeist Frauen herhalten: 70 Prozent dieser Leistungen werden von Ehefrauen, Töchtern und Schwiegertöchtern erbracht.

Zu diesen familiären Verpflichtungen gesellt sich bei vielen Frauen ein komplettes Rerufsleben: 60 Prozent der Ehefrauen mit Kindern sind berufstätig und sogar vier von fünf alleinstehenden Müttern. Rei nur 20 Prozent dieser Arbeitsverhältnisse handelt es sich um Teilzeitbeschäftigungen.

Fremdbestimmung und mangelnde Gestaltungsmöglichkeiten sind weitere Ursachen für das Ausbrennen, die Ursula Margreiter nennt. Ist die Möglichkeit der freien Gestaltung vorhanden, führt auch anstrengende und zeitintensive Arbeit nicht zu Rurn-Out. So kann eine als positiv empfundene berufliche Tätigkeit eine als langspjjiig ejnpfündene . Hausarbeit Kompensieren - oder umgekehrt. In diesem Fall wird die Doppelbelastung sogar zu einem Gegenmittel gegen das Ausbrennen.

Das Gefühl der Ohnmacht ist ein weiterer Rurn-Out-Faktor, der von Paul Weingarten, Assistenzprofessor am Institut für Psychologie der Universität Wien und Leiter des Instituts für angewandte Psychologie und Beratung, ins Treffen geführt wird. Die Erfahrung, an einer Situation nichts mehr verändern zu können, kann sich ins Bewußtsein eingraben. Man wird dann selbst unter gjpstigen Bedingungen unfähig, Veränderungen herbeizuführen und seine Situation unter Kontrolle zu bringen. In der Psychologie werde dies als „Gefühl der erlernten Hilflosigkeit” bezeichnet, ergänzt Weingarten. Dieses sei bei Frauen verbreiteter als bei Männern.

Enttäuschung und Undank

Mangelnde Anerkennung und Undank sind auch ein wichtiger Faktor bei der Entstehung von Burn-Out, weiß der Psychotherapeut Michael Lenert von der sozialwissenscliMtli-chen Abteilung der Wiener Arbeiterkammer: Einerseits erfreue sich die Arbeit der Frauen im Haushalt keiner großen Akzeptanz, andererseits seien Frauen im Berufsleben in vieler Hinsicht benachteiligt, zum Beispiel, was die Bezahlung anbelangt. Anerkennung drücke sich in unserer Gesellschaft eben auch über Geld aus, sagt Lenert. Laut Frauenbericht erzielen Frauen nur etwa 70 bis 77 Prozent der Männereinkommen.

Lenert beschreibt den Prozeß des Ausbrennens als ein Aufeinanderfolgen fortwährender Enttäuschungen. Ohnmacht, Fremdbestimmung und Undank führten zu Frustrationen und damit hinein in den Sog des Burn-Out. Je größer das Engagement und die Motivation, desto größer die Gefahr von Enttäuschung und damit des Burn-Out. Vor allem Beschäftigte in sozialen Berufen seien hochmotiviert, viele definierten sich selbst geradezu

über ihre Tätigkeit als Helfer. Jeder kleine Bückschlag und jeder Fehler stellten da die gesamte Existenz in Frage. „Das ist das Helfersyndrom” erklärt Lenert.

Ursula Margreiter schlägt in die selbe Kerbe: „Helfen macht müde” Und gerade in helfenden Berufen, also im Sozialbereich, seien Frauen überproportional vertreten, da ihnen im Laufe ihrer Sozialisation die Werte des Helfens und Dienens vermittelt worden seien. Dadurch allerdings seien sie seit ihrer Kindheit an die das Ausbrennen verursachenden Bedingungen gewöhnt und somit widerstandsfähiger gegen Burn-Out als Männer. „Eine Frau ist auch dann noch belastbar, wenn ein Mann schon längst ausflippt”, präzisiert Margreiter.

Zum Thema „Burn-Out bei Frauen” können die befragten Experten nicht mit exakten Daten aufwarten. Auch zu Burn-Out im allgemeinen liegen nur wenige Zahlen vor: Laut einer Studie der Arbeiterkammer aus dem Jahre 1992 zeigen 25 Prozent der österreichischen Fluglotsen „erwähnenswerte bis gesundheitsgefährdende” Rurn-Out-Symptome.

Im Sozialbereich schätzt Michael Lenert, einer der Verfasser jener Studie, die Burn-Out-Rate auf mindestens 30 Prozent - eine konservative Schätzung, wie er betont. Ursula Margreiter wagt es erst gar nicht, eine Zahl zu nennen.

Verwechselt mit Depression

„In Österreich geht Rurn-Out unter in der Diagnose der Depression”, meint Psychotherapeut Lenert. Da fortgeschrittenes Rurn-Out das Vollbild einer Depression zeige, werde es oft fälschlicherweise als solche diagnostiziert und behandelt. Das habe zur Folge, daß bei den Rurn-Out-Kranken nur die Symptome, nicht aber der Grund der Depression behandelt werde. In Analogie zu den Fluglotsen schätzt Lenert den Anteil von unerkanntem Rurn-Out auf ein Viertel aller als depressiv eingestuften Patienten. Und das sei eher eine vorsichtige Schätzung.

In ihrem Ruch raten Herbert Freu-denberger und Gail North den Rurn-Out-Opfern, auf sich selbst und ihre Redürfnisse zu achten. Sobald sie ihre zwanghaften und selbstüberfordernden Denk- und Verhaltensmuster erkennen, sollen sie ihr Tempo auf ihren eigenen natürlichen Rhythmus einstimmen. Ist der Prozeß des Ausbrennens schon weit vorangeschritten, so empfehlen die Autoren, unbedingt einen Psychologen, Psychiater oder Psychotherapeuten aufzusuchen.

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