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Wenn die weiben Haschen gestorben sind..

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25 Uhr.“ Von Constantin Virgil Gheorglu. Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart. 504 Selten

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25 Uhr.“ Von Constantin Virgil Gheorglu. Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart. 504 Selten

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.Wächter, wie spät ist es in der Nacht?“ Unzählige Male wurde in der Dunkelheit der letzten Jahrzehnte die alte Prophetenfrage wiederholt. Philosophen, Kulturhistoriker und Romanciers von Format, aber auch Millionen einfacher Menschen haben sie in härtester Bedrängnis neu formuliert und — jeder auf seine Weise — beantwortet. Obereinstimmend war ihr Urteil: Spät, sehr 6pät...

Alle Zeitdiagnostiker übertrifft an Schwermut Constantin Virgil Gheorgiu, alle Hilferufe, einer in äußerste Bedrängnis geratenen Menschheit überschreit dieser junge rumänische Schriftsteller von einigen dreißig Jahren, der mit dem vorliegenden, bald nach seinem Erscheinen in zwanzig Sprachen übersetztem Buch Weltruf gewann. Es ist nicht 6pät — es ist bereits zu spät, nicht fünf Minuten vor zwölf zeigt die Schicksalsuhr der alten Welt, die wir als Abendland kennen und lieben, sondern 25 Uhr. „25 Uhr ist wohlverstanden nicht die letzte Stunde — es ist die Stunde nach der letzten Stunde.“

Der Grund zu diesem erschütternden Schluß: das Sterben der weißen Häschen.— womit jene Tiere gemeint sind, die die ersten U-Boot-Fahrer mit In die Tiefe nahmen. Ihr Tod war das Alarmsignal, daß, wenn auch von den Menschen noch unbemerkt, der Sauerstoff zu Ende Ist. Auftauchen, und zwar ohne Verzug, oder elend zugrunde gehen: das Ist die alleinige Alternative, wenn die weißen Häschen einmal gestorben waren.

Gheorgius „weiße Häschen“ sind Menschen aus Fleisch und Blut, Menschen seiner Heimati seine Familie und Freunde — er selbst und seine Frau. Ihr tragisches Schicksal im letzten Jahrzehnt soll auf jenen gefährlichen Substanzverlust aufmerksam machen, den unsere Gesellschaft erfahren hat. Der Mensch ist nicht mehr der Herr der Zivilisation, der Technik, der Maschinen. Wie in der Antike Spartakus; so haben 6ich jetzt die Milliarden moderner technischer Sklaven, die ein Hebeldruck rief und eine Schalterumdrehung wieder an die Kette legte, gegen die Herrschaft des Menschen erhoben. Die Menschen sind der Suggestion der Technik erlegen und der Automatik der Maschinen verfallen. Ihre Gesetze traten an die Stelle dessen, was dem Menschen zum Menschen machte: Schönheitssinn, Rechtlichkeit und Achtung vor dem Nächsten.

Die weißen Häschen: da ist vor allem der rumänische Bauer Ion Moritz, ein schlichter, liebenswerter Mensch, der Mensch schlechthin. Der Schurkenstreich eines Gendarmen bringt ihn, den orthodoxen Christen, der zufällig Moritz heißt, 1940 in ein rumänisches Arbeitslager für Juden. Die Flucht nach Ungarn bedeutet nur einen Wechsel des Lagers und der Peiniger. Hier gilt bereits jeder Rumäne als suspekt und als getarnter Spion. Die nächste Station: Fremdarbeiter in Deutsch-landj einer von jenen, die durch eine Unterschrift zu Hunderten und Tausenden über den Kontinent verschoben werden — Handelsware. Ein extravaganter Rasse„forscher“ entdeckt Ion Moritz' urgermanische Schädelformation. Deshalb muß er SS-Mann werden. Doch mit französischen Kriegsgefangenen rückt er zu den Alliierten aus. Hier ist er der gefeierte Held — für eine Woche. Dann öffnet sich wieder ein Lagertor. Bedauerliches Achselzucken, alle Rumänen werden als Feinde interniert, ehemaligen SS-Leuten wird automatisch der Prozeß gemacht. Viele Camps folgen. Endlich gibt der Stacheldraht wieder sein Opfer frei. Für 18 Stunden, denn — hier wandelt sich der Erlebnisbericht in eine grausige Vision — der dritte Weltkrieg ist ausgebrochen. Angehörige der Oststaaten werden konfiniert. Um dem 108. Lager seines Lebens zu entgehen, meldet sich Moritz freiwillig. So wird er zum bewunderten Held, zum Kämpfer gegen die „Barbarei“...

Das Gegenstück zu dem einfachen, unkomplizierten Ion Moritz, aber mit ihm durch gemeinsame Heimat und unsichtbare Schicksalsfäden verknüpft, ist Trajan Koruga, der Denker, der Dichter. Er bemüht sich, die Leiden der Zeit zu verarbeiten und zu deuten. Trajan Koruga ist niemand anderer als C. V. Gheorgiu selbst. Korugas und seiner Frau Irrfahrten erzählen die harten Erlebnisse des Verfassers. Die Klage und Anklage gegen eine Welt, die nur mehr in Kategorien denkt, die den Menschen auf den technisch-sozialen Nenner reduziert hat, wird zur Selbstbiographie. Hier, gerade hier klafft aber auch in dem düster-grauen Bild ein Spalt, durch den . das warme Rot des Lebens in ein Bild grauer Trost- und Hoffnungslosigkeit einbricht. Trajan Koruga geht halb irrsinnig in den Stacheldraht des Internierungslagers, C. V. Gheorgiu aber lebt heute weltbekannt in Cannes und Paris. Nicht alle weißen Häschen sind al60 gestorben. Als sie in den letzten Zuckungen lagen, tauchte das Schiff wieder auf. Vielleicht nur für kurze Zeit — wer weiß es —, aber es muß für die nächsten Stunden der Weltgeschichte genügen, was auch immer noch kommen mag. Gheorgiu lebtl Er und die vielen, die so viel Hartes im letzten Jahrzehnt erlitten haben, atmen noch. Und so lange wir atmen, sollte doch auch, einer ewigen Weisheit folgend, der Hoffnung ein Platz eingeräumt werden.

25 Uhr — „die Stunde nach der letzten Stunde“: eine laute, nicht zu überhörende Mahnung. Autobiographie und Zukunftsvision, erregt dieses Buch vor allem durch seine direkte Aussage. Keines Mediums einer Zukunftsgesellschaft von 1894 oder 2074 bedient sich Gheorgiu. Bei ihrem richtigen Namen werden die Ungeheuerlichkeiten unserer Zeit genannt und gedeutet. 25 Uhr? Diesmal noch ein Buch, eine Warnung — der Schuß vor den Bug...

Ein Inselfrühling. Ein Tagebuch aus Rhodos. Mit den sizilianischen Tagebuchblättern „Aus der goldenen Muschel“. Von Ernst Jünger. Diana-Verlag, Salzburg-Wien. 80 Seiten.

Diese Blätter stellen zwei Abschnitte aus Jüngers umfassendem, im deutschen Sprachraum der Gegenwart einzig dastehendem Tagebuchwerk dar, welches von „Das abenteuerliche Herz“ (erste Fassung) bis zum April 1945 reicht und dessen weiterer Veröffentlichung man mit hochgespannten Erwartungen entgegensieht. — Die in dem vorliegenden schmalen, eleganten Bändchen vereinigten Blätter enthalten hauptsächlich Tier- und Landschaftsstudien: über Sizilien von April bis Mai 1929 und über Rhodos, April bis Mai 1938, also kurz bevor man nur noch in Uniform reisen konnte. — Dem Kenner Jüngers brauchen diese Bücher nicht besonders empfohlen zu werden. Für diejenigen, die von seinem Werk nur aus der Diskussion pro und kontra gehört haben, einige Proben: „In einem heißen Talkessel, der von Gestrüpp und trockenen Pflanzen bewachsen war. Vor seinem Eingang kreiste ein Bienenschwarm, der wie ein großer, lockerer, dunkelbrauner Ball Im Sonnenglanze leuchtete.“ — „Vor der Kaserne Soldaten, kleine Süditahener beim üben des Parademarsches, dei als ,Paso Romano' soeben in der Armee eingeführt worden ist. Obwohl an Schweiß nicht gespart wurde, war doch zu erkennen, daß dergleichen, ähnlich den Teltower Rübchen, wohl nur auf märkischem Sande gedeiht.“ — „Segesta. Der Tempel verbindet sich mit der Landschaft zu einer Einheit von wilder Kraft und Harmonie. Es war trübe und windig; der Zug der Wolken und das Gleichgewicht der Berge erschienen durch das Heiligtum beherrscht. Wenn dieses nicht stünde, würden die Naturkräfte titanisch übereinander herfallen. Das ideale Verhältnis von Macht und Ordnung ist in der waagerechten und vertikalen Aufteilung getroffen! der Geist fühlt 6ich durch die Betrachtung gesichert und beruhigt.“

Außer dem vorliegenden Bändchen hat der Diana-Verlag, der sich für die Verbreitung der Bücher von Jünger durch verhältnismäßig billige und sehr sorgfältig ausgestattete österreichische Lizenzausgaben einsetzt, noch folgende' Werke übernommen: „Strahlungen“, „Heliopolis“ und „Myrdun“ („Briefe aus Norwegen“ in Vorbereitung).

Kirchenbau — ewig neu. Von Clemens Holzmeister. Tyrolia-Verlag; Innsbruck-Wien. 101 Seiten mit vielen Abbildungen.

Holzmeister will mit diesem neuen Büch über den Kirchenbau von heute praktische Anregungen geben: es soll dem Kirchenvorsteher — nach des Autors eigenen Worten — zu Bewußtsein bringen, daß er sich von einem erfahrenen Architekten beraten lassen muß, wenn anders er nicht einen hoffnungslos dilettantischen Bau erstehen sehen will. Wir glauben, daß das Buch dieses Ziel erreichen wird, soweit es überhaupt erreichbar ist. Es ist instruktiv, die Skizzen und Pläne sind mit knappen, aber klaren Worten erläutert. Holzmeister bringt Beispiele für den Kirchenbau mit geringen Mitteln, ein Projekt für eine „wachsende“ Siedlungskirche zum Beispiel; er schließt Richtlinien für die kleine Stadtkirche und sogar noch einige Skizzen über seine Riesenkathedrale an, die er in Brasilien baut.

Und macht vor allem neue, ganz und gar nicht schablonenhafte Vorschläge: den Altar allseits In den Raum zu 6tellen, hinter dem Altartisch Doppeltreppen aufzuführen, auf deren Scheitelpunkt ein Aussetzungsthron für die Monstranz zu stehen kommt und — das ist einer durchaus einleuchtenden Überlegung entsprungen — den Turm derart über dem Altar zu errichten, daß er wie ein Baldachin hell über diesem zu stehen kommt. Im ersten Teil dieses neuen Bildbuches zeigt Holzmeister die herrlichen Kirchenbauten, die er nach dem ersten Weltkrieg in Hermeskeil am Hunsrück, Merchingen und Cleve erbaute und der zweite Weltkrieg zerstörte ... Diese Verbindung von Erinnerung an Vergangenes und Zukunftsplänen verleihen dem Buch einen sehr eigenen, sehr modernen und unmittelbar ansprechenden Charakter. Man freut sich, es zu besitzen.

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