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Wenn er oder sie rot sieht: Wie es zu Alltags-Dramen kommt

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Fast täglich berichten die Medien vom vergifteten Ehemann, der erwürgten Ehefrau, vom bestellten Mord an Exfrau oder Exmann, wobei die Palette äußerst umfangreich ist. Bis hin zum Kindermord, der oft genug eigentlich den Partner treffen soll. Daß jemand einen Menschen ermordet nicht obwohl, sondern weil er ihn liebt, ist besonders rätselhaft. Im Geist, im Traum, in irgendeiner dunklen Ecke des Unbewußten hat wohl jeder schon einen Mord begangen, man denke bloß an Heimito von Doderers „Ein Mord, den jeder begeht” oder an das psychoanalytische Motiv des Vatermordes.

Welche Umstände lassen die Schranke vom Gedanken zur Tat zusammenbrechen? Gibt es Konstellationen (innere und äußere), bei denen dies tatsächlich nicht zu verhindern ist? Wie sehen solche Menschen selbst ihre Tat, wie können sie damit weiterleben? In Deutschland ist jedes zweite Tötungsdelikt eine Beziehungstat. Drei Viertel aller Frauen und jeder zweite Mann, die wegen Mordes vor Gericht stehen, sollen diesen am Ehepartner begangen oder versucht haben. Alice Fuldauer, Journalistin aus Amsterdam, befragte je sieben Frauen und Männer, die ihren Ehepartner ermordeten oder dies versuchten. Sie ließ sie teils noch in der Haft, teils nach der Entlassung ihre Geschichte erzählen. So bekommt man keine soziologischen Abhandlungen über die Theorie des Gatten-mordes vorgesetzt, sondern Einblick in das wirkliche Leben. Dabei wird sichtbar, wie konkrete Menschen eine solche Tat in ihrem eigenen Selbstverständnis sehen, was sie für die Ursachen halten, ob sie sich schuldig fühlen oder nicht, wie sie versuchen, damit fertig zu werden.

Die Autorin weist darauf hin, daß wir zwar unbewußt erwarten, den „typischen Mörder” an der Kopfform, den Händen, der Stimme oder sonstwie äußerlich zu erkennen, daß aber diese von Lavater über Lombroso bis zu einigen Bereichen der gegenwärtigen Anthropologie noch nicht überwundene Vorstellung keineswegs der

Wirklichkeit entspricht. Es gibt kein einziges Merkmal, das auf alle Mörder zutreffen würde, geschweige denn auf alle Gattenmörder. Der französische Philosoph Louis Althusser erwürgte 1982 seine Frau Helene und versuchte auf300 Seiten sich selbst die Frage nach dem Warum zu beantworten. Es gelang ihm nicht. Wer mehr wisse, als er selbst herausgefunden hatte, würde ihm „leben helfen”, schloß sein Manuskript.

Leider verschweigt die nachher alles immer schon gewußt habende Umwelt vor der Katastrophe beharrlich ihre Erkenntnisse. Oft findet man bei Gattenmörderinnen und -mör-dern das Grundmuster der unglücklichen Kindheit, des ständigen Geschlagenwerdens, des Verlustes eines Elternteiles durch Scheidung, der permanenten Erniedrigung, des exzessiven Alkohol- und/oder Drogenmißbrauches, der Neigung zur Gewalttätigkeit und ähnliches mehr. Doch treffen einige dieser Faktoren auf die Hälfte der Gesamtbevölkerung zu, warum, wenn man dies dann Schuld trotz Blackout „ohnehin wußte”, wird dann nicht jeder zweite zum Mörder? Es gibt nämlich auch solche, die eine glückliche Kindheit hatten, nicht geschlagen wurden und in der sozialen Hierarchie hoch oben standen. „Man denkt immer, das tun nur Verrückte. Bis es einem selbst passiert”, sagt einer.

Auffallend ist allerdings: Fast jeder männliche Befragten erklärte im Verlauf seiner Erzählung, daß er im Moment der Tat buchstäblich nicht wußte, was er tat. Da sticht jemand 22-mal mit dem Messer in den Körper seiner Frau und meint nachher, es könne höchstens zwei- bis dreimal gewesen sein. Da würgt jemand seine Frau, denkt dabei „wann stirbst du endlich?” und ist dann entsetzt, als er merkt, daß sie tatsächlich tot ist.

Sind Frauen kaltblütiger? Oder emotionaler? Eine 47-jährige erzählt, daß sie ihrem Mann, der nichts gegessen und seine Insulindosis nicht gespritzt hatte, mit Karateschlägen die Augenbrauen kaputtgeschlagen hatte, „er merkte ja nichts”, dann hat sie „in aller Gemütsruhe ... weitergemacht”, nämlich mit Fußtritten und kochendem Wasser, und während er da lag, „hab ich stundenlang meine Wut an ihm ausgelassen”. Meist greifen, meint die Autorin, Frauen sehr bewußt zum (letzten) Mittel des Mordes, wenn sie jahrelange körperliche Grausamkeit und Gewalt hinter sich haben, obwohl viele erzählen, trotz aller Torturen immer wieder zu ihrem Partner zurückgekehrt zu sein.

Wenn Männer ihre Partnerin ermorden oder dies versuchen, ist es in den meisten Fällen die Angst vor dem Verlassenwerden. Eine Frau, die ihrem Mann nach etwa 20 Ehejahren eines Morgens sagt: „Ich liebe dich nicht mehr und werde dich verlassen”, kann den (scheinbar?) Gutmütigsten zum Verbrecher machen.

Den Fällen gemeinsam ist offenbar das seltsame Phänomen, daß unter bestimmten Umständen das Gehirn ohne Ankündigung ein anderes, dem bewußten Erleben fremdes Programm einschaltet, das jede Selbstkontrolle wegblendet und durch den Akt der Tat ein subjektiv unlösbar scheinendes Problem zu lösen glaubt.

Doch auch wenn jeder Einzelfall rekonstruierbar ist, man Motive und Hintergründe kennt, man bereit ist, mildernde Umstände anzuerkennen, kann das Problem der Schuld nicht aufgehoben werden. Aus Fallgeschichten, wie sie Alice Fuldauer gesammelt hat, kann man aber vieles lernen. Zum Beispiel, daß wir bereit sein sollten, auch beim bösesten Vergehen zu verzeihen, daß aber Verzeihen nie bedeuten kann, die persönliche Schuld zu ignorieren. Aber auch, daß wir auf Menschen, die sich schuldig machten, nicht von oben Steine werfen sollten. Denn das berühmte „Gott sei Dank bin ich nicht so” kann sich für jeden schneller als er glaubt als Irrtum erweisen - nicht nur in den geschilderten Situationen.

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