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WENN MAN TROTZDEM LACHT

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Wir wollen unsere Plauderei über den Humor der Musiker nicht mit einer wissenschaftlichen Definition des Begriffes „Humor“ beginnen, sondern mit der Feststellung einleiten, daß viele, ja die meisten großen Komponisten, Humor besaßen. Dies bezeugen die vielen in Briefen, in Erinnerungen ihrer Freunde und in den Biographien aufgezeichneten Aussprüche, die, wenn man sie sammeln würde (und man hat es getan) ganze Bände füllen könnten. Interessanter wäre schon eine Untersuchung der Ursachen, welche viele große Musiker speziell für den Wortwitz, das Wortspiel, den Kalauer so anfällig machen. Diese Art Witz ist — und darüber sind sich die Tiefenpsychologen einig — fast immer, wie der elektrische Funke, das Resultat von starken Spannungen. Welche Art Spannungen? Auf eine einfache Formel gebracht: zwischen innen und außen. Wir meinen den Kontrast zwischen der schöpferischen Einsamkeit und Stille, in der, bis vor kurzem wenigstens, die meisten musikalischen Meisterwerke entstanden sind, und der Außenwelt, in die der Komponist seine Kinder entlassen muß: ins Rampenlicht des Konzertpodiums oder in das noch grellere der Opernbühne.

So ist es kein Zufall, sondern in Gegenteil sehr bezeichnend, daß unter den neueren Komponisten die meisten Wortwitze und Bonmots von jenem Meister stammen, der wohl als der eigenwilligste, eigenbrötlerischeste, zu Zeiten auch als der einsamste unter seinen Zeitgenossen bezeichnet werden kann; der immer wieder den Primat des schöpferischen Einfalls gegenüber dem fingerfertigen Handwerk verteidigte und der nur in absoluter Stille und Zurückgezogenheit schaffen konnte. Wir meinen Hans Pfitzner. Hier einige Beispiele:

Bei einem „gemütlichen Beisammensein“ nach einer Pfitzner-Aufführung saß neben dem Meister eine Dame, die ihm Komplimente machen wollte. „Ich liebe Ihre Musik ja so, besonders den .Grünen Heinrich'. Worauf Pfitzner blitzschnell bemerkte: „Ach, reichen Sie mir doch bitte mal den .armen Salat' herüber!“ (Die erste Oper Pflifczners von 1895 nach Hartmann von Aue heißt nämlich „Der Arme Heinrich“.)

Eine bekannte junge Sopranistin ließ sich von ihrem wesentlich älteren Mann scheiden, um einen jüngeren Kollegen zu heiraten. Pfitzners Kommentar dazu: „Was ist paradox? Wenn ein Sopran baß erstaunt ist, daß ein Tenor alt wird.“

Als Pfltzners junger Chauffeur mit dem neuen Wagen, einem Ford, der Standardmarke von damals, eine Karambolage hatte, kommentierte Pfitzner den Unfall mit den Worten: „Schnell fertig ist die Jugend mit dem Ford!“ Und auf die Bemerkung, man werde den Wagen wohl abschleppen lassen müssen, sagte Pfitzner: „Holen Sie doch Furtwängler, der schleppt ja so gern.“

Als ein alter Bekannter von ihm, der Liszt-Forscher und Dirigent Peter Raabe, zum Präsidenten der Reichsmusikkammer ernannt wurde, der, mit dieser Funktion betraut, nun öfter zum Dirigieren kam und gern Werke von Liszt auf seine Programme setzte, kommentierte Pfitzner dies mit den Worten des Luther-Chorals „Groß' Macht und viel Liszt sein grausam Rüstung ist!“

Einem während der NS-Zeit besonders geschätzten (und auch heute wieder recht erfolgreichen) Komponisten aus dem „Gau Niedergau“, wo Schirach „Statthalter“ war, ließ er sagen, er möge doch für seinen Protektor eine „Pimpfonie in Bai-Dur“ komponieren.

Auch als die Schatten länger wurden und mancherlei Ungemach den alten Mann traf, versiegte sein Humor keineswegs, er wurde nur um einige Grade bissiger und sarkastischer. Pfitzners Haus in München wurde von Bomben zerstört, er selbst blieb unversehrt. Als ihn sein Nachbar zu dem Schutzengel beglückwünschte, stellte Pfitzner richtig: „Das scheint mir doch eher ein Schutt-Engel gewesen zu sein.“ Und resignierend bemerkte Pfitzner: „Es ist doch traurig, wenn einem alten Komponisten nichts anderes mehr einfällt als sein Haus!“

Mit diesen makabren Anekdoten, die Pfitzners Biograph Walter Abendroth aufgezeichnet hat, müssen wir uns vom „Palestrina“-Kompönisten ab- und seinem erfolgreichen Antipoden, dem „Rasenkavalier“-Meister, zuwenden. Richard Strauss war aus anderem Holz: robust, weltgewandt, umgänglich — und als schöpferischer Musiker gegen Störungen von außen viel weniger empfindlich. Als einmal ein unangemeldeter Besuch in Garmisch eintraf und sich wortreich entschuldigte, daß er den Meister beim Komponieren gestört habe, sagte Richard Strauss beruhigend: „Macht nix, macht nix, ich treib ja Gott sei dank ein Geschäft, das ich jederzeit unterbrechen kann.“ Strauiss war ein Praktiker, ein souveräner Kenner und Beherrscher auch des Opernbetriebs, hatte, diesem Milieu entsprechend, auch eine „dickere Haut“ und einen drastischen, von Selbstironie keineswegs freien Humor. Im Garten seiner Villa in Garmisch soll ein Marterl stehen, das er zum Andenken an seine durchgefallene Jugeindoper errichtet hat. Es trägt die Inschrift: „Hier liegt der edle Ritter Guntram, vom Orchester des eigenen

Vaters erschlagen.“ Von jener einmaligen verunglückten Aufführung berichtet der Komponist selbst, daß nach den ersten Proben das Orchester streikte und eine Deputation zum Generalintendanten schickte mit der Bitte, die Musiker von dieser „Gottesgeißel“ zu befreien. Und als er seinem Vater, einem Münchener Hornisten, aus der „Salome“ vorspielte, habe dieser verzweifelt gestöhnt: „Gott, diese nervöse Musik! Das ist ja gerade, als wenn einem lauter Maikäfer in der Hose herumkrabbelten.“ Und Richard Strauss überliefert auch persönlich in seinen Erinnerungen einen Ausspruch Cosima Wagners, der er auf ihren dringenden Wunsch, trotzdem er ihr davon abgeraten hatte, die „Solome“ vorspielte: „Das ist der Wahnsinn. Sie sind für das Exotische, Siegfried für das Populäre.“ Wais Richard Strauss mit einem lapidaren „Bumm“ quittierte.

Von Richard Strauss stammen auch die „Zehn goldenen Regeln, einem jungen Kapellmeister ins Stammbuch geschrieben“, von denen wir wenigstens einige zitieren wollen: „Du sollst beim Dirigieren nicht schwitzen, nur das Publikum soll warm werden! — Dirigiere ,Salome' und .Elektra' als seien sie von Mendelssohn: Elfenmusik! Wenn Du glaubst, das Blech blase nicht stark genug, so dämpfe es nochmals um zwei Grade ab! Wenn Du glaubst, das äußerste Prestis-simo erreicht zu haben, so nimm das Tempo noch einmal so schnell.“ Diese Maxime hat Strauss allerdings in späteren Jahren im Hinblick auf Mozart-Dirigenten, folgendermaßen abgeändert: „So nimm das Tempo halb so schnell!“

Doch nun ein kleiner Schritt zurück in die Vergangenheit. Unzählige Anekdoten gibt es um Brahms und Bruckner, die ja zur gleichen Zeit in Wien lebten und komponierten und die, vor allem von ihren Schülern und Parteigängern, immer wieder gegeneinander ausgespielt wurden. Als Bruckner von einigen Schülern umgeben, am Ring Brahms begegnete, machten seine Begleiter Miene, den „Gegenkaiser“ nicht zu grüßen. Worauf sie Bruckner ermahnte: „Meine Symphonien isan mir zwar lieber, aber immerhin, meine Herren, ziehen S' trotzdem Ehre Hut': dort drüben geht der Herr von Brahms!“ Und von einer uneingeweihten Dame gefragt, ob er mehr Wagnerianer oder Brahmsianer sei, antwortete Bruckner: „I bin selber aner!“

Ähnlich erging es Wagner und Rossini in Paris. Rossini sagte von Wagners Musik, sie enthalte einige herrliche Augenblicke, aber manche scheußliche Viertelstunde. Das wurde Wagner natürlich hinterbracht, der aber trotzdem beim Anhören des „Barbier“ zu einem Freund bemerkte: „Wie ich diesen Kerl bewundere — aber ich flehe sie an, verraten Sie das um Hirnmelswillen den Wagnerianern nicht. Die würden mich steinigen!“

Von ganz eigener Art war der Humor Erik Saties, der, gemeinsam mit Jean Cocteau, die Ästhetik der Gruppe der „SIX“ begründete und dessen hochoriginelles Werk in unseren Tagen wiederentdeckt wird. Was er sagte, schrieb und komponierte, ist so direkt, so einfach und aufregend, wie die Aussprüche eines klugen Kindes. Dieser bärtige Durchschnittsfranzose, seinem Aussehen nach halb Beamter, halb Faun mit einem Klemmer auf der Nase, sagte von sich: „Ich bin sehr jung in einer sehr alten Zeit zur Welt gekommen.“ Seine Musik hat die elegante Schmiegsamkeit, die Besonnenheit der Bewegung und die Sicherheit des Prankenschlags eines schönen Katzentieres bei seinen Spielen. Vor allem aber dessen instinktsichere Unabhängigkeit. In einer Zeit, als die französische Musik zum Wagnerianismus tendierte, entdeckte er für sich und seine Freunde das Cabaret, den Zirkus, die Musik Hall und das Cafe Cancer! Nur ein Mann wie Satie konnte auf die Idee der „muisique d'ameublement“ kommen, einer Musik, die in den Konzertpausen erklingen und die man nicht speziell anhören sollte. Seine einfachen, eleganten, klaren und unsentimentalen Musikstücke, hauptsächlich für Klavier, versah er mit den amüsantesten Titel und Anmerkungen. Da gibt es „Les veritables Preludes flasques pour un chien“, „Cinque Morceaux en forme de poire“, die „Apergues desagreables“, die „Pieces froides“, eine „Tyrolienne turque“ und eine „Sonatine burocratique“.

Von Satie führen viele Fäden zum größten Musiker unserer Zeit, zu Igor Strawinsky. Von ihm und von Gershwin wird die folgende Geschichte erzählt: Die beiden berühmten Kom ponisten empfanden sich, natürlicherweise, nicht als Kon kurrenten. Gershwin verehrte Strawinsky und seine Musik grenzenlos, und Strawinsky, der davon wußte, dankte ihm dies mit höflicher Anerkennung. Als Gershwin eines Tages hörte, daß sein Idol in New York sei, schrieb er Strawinsky, ob er ihn empfangen könnte und vielleicht bereit sei, ihm Kompositionsunterricht zu erteilen. Das Treffen fand in Gershwins luxuriöser Dachwohnung in der Park Avenue statt. „Nun“, begann Strawinsky zögernd, „es ist sicher ein sehr ehrenvolles Ansinnen. Ehe wir jedoch in Einzelheiten gehen: Wieviel verdienen Sie so im Jahr?“ Etwas erstaunt über diese reichlich direkte Frage antwortete Gershwin errötend: „Wenn ich Ihnen die Wahrheit sage, werden Sie wohl ein wenig überrascht und enttäuscht sein. Tatsache ist, daß ich in den letzten fünf Jahren nie mehr als etwa hunderttausend Dollar verdient habe. Aber es gibt da in Hollywood so ein paar Burschen, die keine einzige Note schreiben können und dabei drei- bis viermal soviel verdienen.“ Strawinsky traute seinen Ohren nicht. „Hunderttausend Dollar im Jahr! Wissen Sie, Mr. Gershwin, daß ich bisher in meinem ganzen Leben noch nicht so viel ver-dient habe? Und da wollen Sie, daß ich Ihnen Unterricht gebe? Passen Sie auf: Gehen wir doch lieber zusammen nach Hollywood und nehmen wir beide Stunden bei diesen Burschen dort!“

Humor der Komponisten — das ist ein weites Feld, ein unerschöpfliches Thema! Doch wir wollten ja kein Kompendium, keine systematische Darstellung dieses Phänomens, sondern nur einige Proben geben. Von zeitgenössischen Komponisten müßten wenigstens noch Ernst Krenek und Werner Egk genannt werden, die beide gern die Notenfeder mit der des Schriftstellers vertauschen und hierbei eine bemerkenswerte Brillanz entfalten. Über such und sein Schaffen hat Gottfried von Einem wiederholt in witzig-sarkastischer Form berichtet, und ein Gespräch mit Alfred Uhl ist stets mit trockenen, zuweilen hintergründigen Bonmots gewürzt Von allen den Genannten gibt es auch heitere Werke, „leichte Musik“. Aber zwischen diesen und dem „Humor“ ihrer Autoren besteht kein unmittelbarer Konnex. Die innere An Spannung und Konzentration beim eigentlichen „Tun“ schafft sich im „Humor“ gewissermaßen ein Notventil. Und dies ist, so scheint ums, dessen besonderer Reiz.

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