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Es muss ja nicht immer ein Krimi sein

Die Stimme der Großmutter ist mädchenhaft, ihre Kleidung schrill und über die Vergangenheit will sie nicht mehr reden. Mit ihren 85 Jahren hat sie noch zehn Jahre vor sich und die will sie nutzen: Warum sich nicht verlieben? Dies ist die Ausgangssituation von Fay Weldons drittem Roman "Miss Felicitys kleine Geheimnisse". Ein Roman über Familie und das Fehlen derselben, über die Liebe, für die es nie zu spät ist und über das Altern. Eine zuweilen erfrischend bissige, befreiende Geschichte, die etwas naiv wird, wo es ums Gesellschaftliche geht.

Felicity ist mehr als nur schräg. Sie lebt in Amerika, war drei Male verheiratet, legt täglich das I Ging bei wichtigen, aber auch alltäglichen Entscheidungen, ist wohlhabend, nimmt sich kein Blatt vor den Mund und weiß zu leben. Tabus - was man tun und lassen soll - kennt sie nicht. Sie lebt ungezwungener als ihre Enkelin Sophia in Großbritannien, die als Cutterin beim Film arbeitet, von einem Auftrag zum nächsten lebt, dazwischen keine Zeit hat, ihr Geld auszugeben und neben den beweglichen Bildern so gut wie keinen menschlichen Fixpunkt in ihrem Leben findet: "Du gestattest dir keine freie Minute, damit du dich bloß nicht dabei ertappst, das Wesen des Universums zu ergründen." Familie hat sie keine, Geschwister auch nicht, nur die Großmutter in den Staaten, ihre Mutter ist in Umnachtung gestorben.

Familie und Geborgenheit haben für Sophia etwas Zwiespältiges: "Ich spürte den Sog der Pflicht, den Stachel des schlechten Gewissens und die drückende Last meines Zögern: eben all die Empfindungen, die gemeinhin mit Familienangelegenheiten verbunden sind." Nach einem Sturz kann Oma Felicity nicht mehr allein leben. Zwischen zwei Filmen und der beginnenden Beziehung zum Regisseur Harry, der bei Sophia übernachtet, weil sie so zentral wohnt und er sich das Taxi spart, fährt die Enkelin in die USA. Golden Bowl, das Seniorenheim der Luxusklasse, wird Felicitys neues Zuhause. Dr. Grepalli und Schwester Dawn finden, dass die agile alte Dame in die Gemeinschaft passt und dass Verwandte, die weit weg wohnen, eine Garantie für ein ungestörtes Leben im Heim darstellen.

Da wäre auch noch die laute Freundin Joy, die Sex verabscheute, aber gern einen Mann im Haus hatte, den sie anbrüllen konnte und die sich als Moralapostel berufen fühlt, Recherchen über den neuen Freund anzustellen: "Wenn diese laute Person jetzt schon so viel Krach macht, was macht sie dann in zehn Jahren? Die Stimmbänder versagen oft als letztes." Auch im Heim gibt Felicity ihre Eigenständigkeit nicht auf, geht trotz allen Warnungen zum Begräbnis eines Stiefsohnes und lernt prompt den Mann ihres Lebens kennen.

Da wären auch noch die ungewöhnlichen Gedanken über den Tod: "Derjenige, mit dem man einmal ein Bett geteilt hatte, hatte sich in etwas verwandelt, das sich wie Marmor anfühlte, aber nicht so lange hielt. Nach der Kälte kam der Verfall."

Sophia forscht in der Vergangenheit der Großmutter und entdeckt die verschwiegene Seite der Geschichte. Mit Hilfe eines Dedektivbüros findet Sophia eine neue/alte Verwandtschaft, die sich jedoch als Enttäuschung entpuppt, ebenso wie das Seniorenheim, das die Alten und Kranken, die nicht mehr dem schönen Schein der Prospekte entsprechen, wegsperrt. Man darf der Autorin aber dafür danken, dass sie aus der Geschichte keinen Krimi gemacht hat. Fast scheint es, dass Literatur heute nur noch eine Chance hat, wenn es Tote gibt, als könnten Geschichten nur noch als Fälle erzählt werden. Das Leben als Fall ist wohl zu wenig.

Eine nette Geschichte mit Happy End. Felicity bekommt einen um zehn Jahre jüngeren Mann. Auch wenn er Spieler ist - sie hat genug Geld, um es mit ihm zu verlieren. Es gibt also ein Leben vor dem Tod und auch Sex im Alter. Fay Weldon könnte mit ihrer bissigen und oft schnoddrigen Art eine tolle Geschichte abseits eines Krimi entwickeln. So radikal sie aber für ihre Hauptperson eintritt, so naiv ist sie gesellschaftspolitisch.

Eine reiche 85-Jährige kann ja leicht beschließen, ein tolles Leben zu führen und sich die Einfachheit einer Waldhütte leisten. Für die Millionen anderen stellt sich diese Frage nicht. Sie hält man nicht in Kleingruppen dazu an, das Leben zu genießen, sie haben allenfalls die Wahl, um 18 Uhr oder um 19 Uhr schlafen gehen zu müssen, weil es für das Personal so einfacher ist. Aber auch eine arme Felicity sollte die Chance haben, eigenständig zu leben.

Miss Felicitys kleine Geheimnisse

Roman von Fay Weldon

Hoffmann & Campe, Hamburg 2001

414 Seiten, geb., e 21,15/öS 291,-

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