"Wer als Weichei gilt, hat verloren"

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Der Psychotherapeut Joachim Lempert mit Schwerpunkt Konfliktlösung über hartnäckige männliche Rollenbilder, abwesende Vorbilder und sein Weg in der Arbeit mit Gewalttätern.

* Das Gespräch führte Regine Bogensberger

Gewalt ist Männersache. Das sei keine Provokation, sagt der Therapeut Joachim Lempert, sondern eine Feststellung. Je nach Delikt seien zwischen 85 und 99 Prozent der Täter männlich, sagt Lempert, der seit 20 Jahren mit Gewalttätern arbeitet. Wo Frauen gehäuft gewalttätig sind, sei der Bereich Erziehung. Ursachen und Auswege erklärt er im FURCHE-Interview.

Die Furche: Herr Lempert, eine extreme Gewalttat eines Jugendlichen erschütterte jüngst Deutschland: der Amoklauf in Winnenden. Alice Schwarzer vertritt die Meinung, dass Frauenhass das Hauptmotiv des Täters gewesen sei. Hat sie recht?

Joachim Lempert: Ich finde das ausgesprochen mutig, so etwas zu behaupten, ohne dass man den Betreffenden gesprochen hat.

Die Furche: Die Opfer waren tatsächlich überwiegend Frauen und Mädchen.

Lempert: Ja, das legt den Schluss nahe, aber ich habe den jungen Mann nicht gesprochen. Ich war bei der Tat nicht dabei.

Die Furche: Die Polizei hat angeblich einige gewaltvolle Pornos beim Täter gefunden.

Lempert: Einen männlichen Jugendlichen zu finden, der noch keine Pornos geguckt hat, dürfte schwierig sein.

Die Furche: Es sollten angeblich sehr gewaltvolle Pornos gewesen sein? Sind solche auch so stark verbreitet?

Lempert: Das ist auch sehr spekulativ. Ich kenne die Pornos nicht. Der Begriff "gewaltvoll" ist sehr schwammig. Ich finde das, was Alice Schwarzer geschrieben hat, ideologisch sehr eingefärbt und unseriös, wenn sie als Belege Aussagen aus der Bild-Zeitung heranzieht.

Die Furche: Sie könnte trotzdem recht haben. Aber nun allgemein: Hat Konsum gewaltvoller Pornos eine Auswirkung auf das Verhalten junger Männer?

Lempert: Ja. Es bestimmt ihr Bild von Sexualität. Wenn Jungen anfangen, sich fürs andere Geschlecht zu interessieren, wissen sie oft nicht, wie sie in Kontakt mit Mädchen treten können. Und wenn sie als Hintergrund Pornos haben, dann klafft zu ihrer Welt eine riesige Lücke unheimlich auseinander. Das stimmt mit ihrer Realität überhaupt nicht überein. Dann kommen sie sich noch kleiner, noch mieser, noch mehr als Versager vor.

Die Furche: Pornos sind ein Medium, das auf die Identitätsbildung Einfluss nimmt. Es wird oft beklagt, dass sich vor allem die heranwachsenden Männer so schwer damit tun. Stimmt das?

Lempert: Sie stehen vor einem Problem: Auf der einen Seite wird von ihnen gefordert, aggressiv und erfolgreich zu sein, sich also durchzusetzen. Auf der anderen Seite sollen sie kooperativ sein. Das ist eine Herausforderung, die größer ist als früher; es ist heute schwieriger, diese Bandbreite unterzubringen: Er soll kein Softie sein, aber gleichzeitig ein liebevoller Vater.

Die Furche: Was sind für die jungen Männer die Quellen für ihre Identität?

Lempert: Sie gucken sich um. Mit welchen Männern hat man zu tun: Vater, Großvater, Lehrer, Männer in Medien. Die Schwierigkeit dabei ist, dass sich diese männlichen Personen meistens nicht als Vorbild zur Verfügung stellen, aber es trotzdem sind. Viele Lehrer definieren sich - zumindest in Deutschland - als geschlechtslose Wissensvermittler. Das ist es auch, was Jungs sich abgucken: Aha, als Mann ist man neutral, emotionslos und zeigt nichts von sich.

Die Furche: Weil diese Männer auch Probleme mit ihrer Identität haben? Ist die männliche Verunsicherung tatsächlich so groß, wie oft behauptet wird?

Lempert: Das ganze Leben besteht bei jedem Menschen aus Identitätssuche. Bei Männern stellt sich die Frage, was macht den Bereich der männlichen Identität aus. Das war früher kein Thema. Auch über den Beruf ist es nicht mehr möglich, sich als Mann zu definieren.

Die Furche: Um nochmals Alice Schwarzer zu strapazieren, die zur Zeit in Wien lehrt. Sie sagt, in letzter Konsequenz würden junge Männer zu Gewalt greifen, um wirklich als Mann zu gelten. Sie greifen auf alte Rollenbilder zurück.

Lempert: Das ist auch der Ansatz, mit dem ich arbeite. Gewalt ist ein Thema für Männer und Burschen. Durch Ausführen von Gewalt können sie Männlichkeit konstituieren. Sie können nach außen darstellen, ich bin ein richtiger Junge, ein richtiger Mann.

Die Furche: Sie haben Macht?

Lempert: Eben nicht. Es ist meist eine Abwehr von Ohnmacht. Man schlägt in Situationen, in denen man ratlos ist und nicht mehr weiterweiß. Geschlagen wird nicht in einer Situation, in der jemand selbstbewusst ist, sondern in Situationen, in denen er nicht mehr weiterweiß und genau das zu vertuschen versucht. Einem Gewalttäter geht es nach der Tat besser. Er hat sich stabilisiert.

Die Furche: Und da setzen Sie in Ihrer Täterarbeit an.

Lempert: Wir versuchen in unserer Arbeit, den betroffenen Mann "mächtiger" zu machen, das heißt, er soll handlungsfähiger werden, damit er solche Situationen nicht als überwältigend erlebt, sondern als Konflikt, den er auch mitgestalten kann.

Die Furche: Wie arbeiten Sie konkret mit den Männern, die zuschlagen?

Lempert: Wir sprechen das Thema direkt an. Der Mann erwartet von mir, dass ich mich auskenne und ihm helfe; ich bin der Experte dafür. Er erwartet auch schnelle Resultate, er möchte innerhalb kurzer Zeit erleben, dass er sein Verhalten verändern kann, dass die Beratung funktioniert. Wir werden am Anfang sehr genau schauen, in welchen Situationen schlägt er und was kann er konkret in diesen Situationen tun. Es soll ihm bewusst werden: Wenn er sich zum Beispiel aus einer Konfliktsituation zurückzieht, dann ist das nicht feige, sondern er übernimmt Verantwortung.

Die Furche: ... die Täter meist abschieben.

Lempert: Ja, ich möchte, dass er die Verantwortung trägt. Die Frau kann ihn reizen, ihn ärgern oder sonst was tun, dafür hat sie die Verantwortung; aber egal, was jemand anderer macht, die Verantwortung fürs Schlagen liegt beim Täter. Wichtig in der Beratung ist ein hohes Maß an Respekt voreinander, aber auch an Konfrontation. Dazu gehört, dass der Betroffene genau weiß, woran er ist. Wenn ich Zweifel habe, ob ein Mann es schafft, nicht wieder zuzuschlagen, dann sage ich das direkt; dann überlegen wir uns, wie wir das hinkriegen, dass er bis zur nächsten Sitzung nicht rückfällig wird.

Die Furche: Also ganz praktische Schritte.

Lempert: Ja. Das ist es auch, was die Männer überzeugt. Dieser Pragmatismus. Der macht was und ich erlebe, es funktioniert, es hilft. Ich kann selbst etwas verändern.

Die Furche: Warum ist Gewalt immer noch Männersache?

Lempert: Weil es eine Funktion hat, sich selber zu stabilisieren. Wer als Weichei gilt, hat verloren. Mädchen wird eine gewisse Verletzlichkeit und Hilflosigkeit zugestanden, Jungen nicht.

Die Furche: Es wird doch schon seit Jahren versucht, alte Rollenbilder aufzubrechen, dass etwa auch Buben weinen dürfen? Greift das nicht.

Lempert: Ein Bub, der weint, ist eine Heulsuse, kein Heulpeter. Er wird also zum Mädchen und nicht zu einem achtbaren Jungen.

Die Furche: Auch im pädagogischen Bereich, in dem großteils Frauen arbeiten, bemüht man sich doch, Rollen aufzubrechen?

Lempert: Ein Bub kann von seiner Lehrerin Wunderbares lernen, aber nicht, wie man als Mann lebt. Wenn sie sagt, du darfst weinen, dann hat er gelernt: Aha, Frauen dürfen weinen. Aber ich will ja ein Mann werden. Da muss ich im Zweifelsfall genau das Gegenteil tun, dann bin ich auf der richtigen Seite.

Die Furche: Wie soll man also Buben und Mädchen erziehen, damit sie nicht zu Gewalt greifen. Gleich oder unterschiedlich?

Lempert: Die Jungen brauchen Männer in ihrem Umfeld, an denen sie sich reiben können, die Rede und Antwort als Mann stehen. Kinder brauchen männliche und weibliche Gegenüber. Frauen sollen etwa dem Buben nicht zu vermitteln versuchen: Ich bringe dir bei, wie ein richtiger Mann zu sein hat. Sondern: Ich kann dir zeigen, wie du auf mich als Frau wirkst.

Lempert leitet seit 1992 das Institut Lempert mit Sitz in Wien und Hamburg, das Fort- und Weiterbildung für jene anbietet, die mit gewalttätigen Menschen arbeiten. Lempert, geboren 1958 in Hannover, entwickelte auch die Hotline für Gewalttäter und -täterinnen: 0820-439258 (www.euline.eu).

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