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O Cott, dessen Vorsehuitg sich in ihren Anordntmgen nicht irrt, wir bitten Dich ftehentlich, Du mbgest alles Schddliche von uns abwenden und alles Heilsame uns- ge- wdhren.

(Kirchengebel vom 7. Sonntag nach Pfingsten)

Vor kurzem starb — mit dreiundfiinf- zig Jahren recht jung — einer der inter- essaniesten modernen Philosophen Frankreichs, Merleau-Ponty. Er sagfe von sich selbst, dafj er einer der wenigen wirklich konsequenten Atheisten sei. Und er sagte auch, von welchem Ausgangspunkt her er sein grundsatz- liches und radikales Nein zu Gott ent- wickelfe: eben vom Begriff der Vor- sehung aus. Das Wesen des Menschen in der uns allein erkennbaren Welt schiert ihm durch die vollige Unsicher- heif, die nie errechenbare Unqewifjheit der nachsten Zukunft bestimmt. Die Vorsfellung, dafj es einen leifenden und lenkenden Gott uber dieser Un- sicherheif geben musse, von dem es etwa im heutigen Kirchengebet heifyf, „dafj sich seine Vorsehung in ihren Anordnungen nicht irre”, nannfe Merleau-Ponty einen feigen Selbstbetrug des Menschen, der unfahig sei, diese Unsicherheit des Lebens zu erfragen und positiv zu bestehen. Vielleichf klang ihm unbewufjf auch noch die gurgelnde deutsche Stimme im Ohr, die jeden Gewaltstreich, jede Schurkerei mit dem Auftrag der „Vorsehung” legi- timieren wollte. Unser so schlichtes, ganz kindliches Sonntagsgebet halt auf den ersten Blick der kritischen Frage des Philosophen kaum stand. Aber es gewinnt eine andere Dimension, wenn wir es aus dem kleinen irdischen Kreis von Vorher und Nachher, von Ursache und Wirkung Ibsen, wenn wir grund- satzlich und einsichtig darauf verzich- fen, von Gott Rechenschaff und Auf- klarung daruber zu erwarten, was denn nun wirklich „schddlich” oder „heil- sam” ist. Wenn wir lernen, Gott als den Anderen zu sehen und Ja saqen zur wahren Ungewitjheif und Ungeklarf- heif unserer irdischen Lebensspanne. Wenn wir unsere unvollkommenen Vorstellungen von Lohn und Strafe nicht in ein Jenseits ubertragen, das sich buchhalterisch errechnen liefje und uns Ibsen von einem heidnischen Gotfes- bild, dessen Reaktionen zu ergriinden oder gar zu erkaufen sind. Wenn wir unser Vertrauen zur Vorsehunq so resf- los ausweiten, dafj wir auch das Nicht- wissen uber ihren Gang auf Lebens- zeit in Kauf nehmen, dann haben wir den Schritt uber uns selbst, aber auch fiber den radikalen Zweifel des Philosophen hinaus getan. Dann sind wir auf der anderen Seite des Grabens und dennoch ganz in diesem zu besfehen- den Leben auf der Erde geblieben.

Es ist gewiB rfihrend, daB ein im harten Pfarrdienst ergrauter Seelsorger von seinen stimmlichen Noten mit dem Preisgesang der Osternacht, dem ..Exsultet”, berichtet. Aber deswegen wird die Liturgie dieser groBten Stunde des ganzen Kirchenjahres bestimmt nicht geandert werden.

Natfirlich finden sich in diesen vom ,.KIerusblatt” in nichtsystematischer Weise abgedruckten Leserzuschriften auch Gedankengiinge, die von der praktischen Erfahrung her genau das ausdriicken, was ohnedies die Konzils- vater schon jetzt bewegen dfirfte: die Verwendung der Muttersprache bei bestimmten Teilen des Gottesdienstes oder die so wichtige Brevierreform, die allerdings kaum darin bestehen wird, die bisherige Verpflichtung zum „Labialgebet” (das heifit zum lippen- geformten Aussprechen der Texte) wegen angeblicher Uberlastung von Herz und Lunge durch blofie Betrach- tung zu ersetzen. Auch die manchmal nur bei unwesentlich gewordenen Ein- zelheiten (wie etwa dem ffir Laien ganz ungebrauchlich gewordenen, ffir Priester ja nur am Griindonnerstag in Frage kommenden KtiB des Bischofs- ringes bei der Kommunionspendung) stehenbleibende Absicht, bestimmte

„byzantinische” oder „latinistische” Formen des kirchlichen Lebens zeit- gemafi abzuandern, wird von den Vatern des Konzils bestimmt verstan- den und ernst genommen werden. Papst Johannes XXIII. ging hier ja mit gutem Beispiel voran. Aber eine solche Riesenaufgabe kann nicht mit ein paar allgemeinen Bemerkungen her waltigt werden, die recht Umvichtiges neben ‘ Fundaniehtales,’ wie etwa die Handwaschung wahrend der Messe, stellen. Nur der Fachmann weifi, welche diffizilen und in der Ehrfurcht verstandlichen Erwagungen der Riten- kongregation der Anderung auch nur eines einzigen liturgischen Wortes, einer einzigen Rubrikbestimmung vor- ausgehen.

Diese Leserbriefe eines priesterlichen Standesblattes wurden nun in einer bewuBt nicht offiziell redigierten Form durch die „Kathpress” veroffentlicht. Die Absicht war an sich klar: Man wollte die Offentlichkeit darfiber in- formieren, was derzeit unter den osterreichischen Seelsorgen in Hinblick auf das kommende Konzil Gesprachs- thema ist und wrelche Gedanken in Priesterkreisen erortert werden. Nun entstand aber vielfach der Eindruck, daB es sich hier um irgendwelche Ein- zel- oder gar Kollektivvorschlage kirchlicher Stellen Osterreichs handelt. Dies trifft natfirlich nicht zu. Jene wenigen Personlichkeiten des osterreichischen Klerus (Laien sind ja aus unserem Lande trotz eines ausdruck- lichen Wunsches unserer Bischofs- konferenz vom Frfihjahr 1961 immer noch keine in die vorbereitenden Kommissionen berufen worden und werden wahrscheinlich auch nicht mehr berufen werden), jene Persdn- lichkeiten also, die befugt und betraut sind, Wfinsche und Gedanken an das Konzil heranzubringen, haben dies bereits in der vorangegangenen ersten Vorbereitungsphase schriftlich getan. Der Inhalt dieser Eingaben unterliegt ebenso, wie alles, was in diesen Kommissionen besprochen wird, einer sehr strikten Geheimhaltungspflicht. Die in Frage kommenden Personlichkeiten (Bischbfe und Theologen) lassen den geringsten Bruch dieses strengen Schwe’gens als vollig ausgeschlossen erscheinen. Es kann sich bei diesen Veroffentlichungen also nur um vollig unmafigebliche Privatmeinungen han- deln, zu deren AuBerung allerdings jeder katholische Christ, ja auch jeder andere Mensch guten Willens, ein un- verbruchliches Recht besitzt. Ob man den Leserbriefschreibern des ,,Klerus- blattes” und den von ihnen vertrete- nen Anliegen durch die grofi aufge- machte Veroffentlichung hochst un- systematisch skizzierter Privatgedan- ken allerdings einen besonderen Dienst erwiesen hat, muB dahingestellt bleiben.

Der richtige Weg

Kann man also um der Sache wil- len nur hoffen, daB manches, was da geaufiert wurde. wie etwa der an jose- finische Vorstellungen erinnernde Wunsch, „dem Seelsorgeklerus die gleiche Entlohnung wie den Staats- angestellten mit gleichem Studien- gang zu gewahren” (der nicht wegen der nur allzu berechtigten Gehaltswfinsche der driickend schlecht bezahlten Seelsorger, sondern wegen der Orien- t i e r u n g am idealen Modell der Staatsverwaltung problema- tisch wirkt), daB solche und ahnliche Gedankengange moglichst schnell und moglichst grfindlich vergessen werden, so ware es doch grundfalsch, die Ungeschicklichkeit und stellenweise Peinlichkeit dieser ersten Veroffentlichung zum AnlaB zu nehmen, nun moglichst fiberhaupt nichts mehr zu sagen oder gar zu schreiben. Die bereits von Papst Pius XII. als unerlafi- lich geforderte offentliche Meinungs- bildung in’ der Kirche vollzieht sich eben nicht nur im geschliffenen Ge- sprach der Dogmatiker und Kirchen- juristen. Die Stimme des Landpfarrers im Diasporagebiet, der weiB, was es bedeutet, jahraus, jahrein allsonntag- lich drei find mehr Mes’sen zelebricreh zu mfissen. des iiberlasteten GroB- stadtkaplans, der keine beschauliche Ruhe zum taglichen Breviergebet hat, gehort zu dieser offentlichen Mei- nungsbildung mit gleichem Recht, auch’ wenn sie nicht so glatt und geschult ist wie die des kurialen Kanonisten. Der Wiener Oberhirte, Kardinal Dok- tor K d n i g, hat sich daher mit einer im Wiener Diozesanblatt vom 1. Juli veroffentlichten Bitte an alle seine Mitbrfider im Seelsorgeamt gewendet, und sie gebeten, ihm bis zum Ende der Ferien im August schriftlich Anregun- gen und Gedanken ffir die Kirchen- versammlung mitzuteilen. Im AnschluB an diese Bitte sind die Themen ge- nannt, zu denen sich der Kardinal eine MeinungsauBerung vorstellen konnte. Man kann dieser Themenliste Freimut und Offenheit nicht abspre- chen. Keiner, der sie beantwortet, braucht Angst zu haben, ein „heiBes Eisen” anzufassen. Sein eigener Bischof fragt ihn, ob die Kirche zum Atom- krieg oder zur Geburtenkontrolle Stellung nehmen soil, ob die Leichen- verbrennung gestattet oder die Tracht der Ordensangehorigen geandert werden soli. Ja, sogar nach der Meinung zu einem selbstandigen Diakonat (unter Wegfall der Zolibatsverpflich- tung) wird gefragt. Wer immer von den Priestern der Wiener Erzdiozese seinem Bischof auf diese Fragen ant- woriet, kann eines mit Sicherheit wis- sen: Er ist an der richtigen A d r e S s e, und das, was hier nieder- gelegt ist, wird das Konzil, in dessen vorbereitender Zentralkommis- sion ja der Kardinal von Wien sitzt, unter alien Umstanden in jener Form e r r e i c h e n, die am wirksamsten ist.

Es scheint nach Lage der Dinge am vernfinftigsten zu sein, wenn Priester und Laien (die ja im Gegensatz zu den Bischofen nicht zur „lehrenden”, sondern zur „horenden” Kirche gehoren) statt unfruchtbarer und ins Leere gehender Einzelinitiativen in den wenigen noch verbleibenden Monaten vor dem Konzil besonderen Kontakt zu ihren Bischofen suchen, die eben auch beim kommenden Konzil aller Wahrscheinlichkeit nach die e i n- z i g e n, aber auch die sichersten Anwiilte ffir all das sein werden, was uns, Priestern und Laien, schwer am Herzen liegt.

Und das ist gewiB nicht wenig ...

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