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WER IST DER TÄTER?

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Die Kriminalgeschichte ist nicht eine Erfindung des Films, des Rundfunks oder Fernsehens, obwohl sie gerade in der Filmgeschichte vielfach als der Urtyp des Films, ja als der Film schlechthin hingestellt wird. Diese Annahme aber verböte schon die grundsätzliche Denkfaulheit des Films, der sich in seiner Stoffwahl häufig an mehr oder minder Literarisches (oder auch nur Gedrucktes) anlehnt.

In modernen Lexika, etwa Herders Weltliteraturlexikon, hat die Kriminalgeschichte, im Filmjargon kurz Krimi genannt, ihr eigenes Stichwört. Man kann sie literarisch allerdings — und das ist das erste Auffallende daran — nicht weiter zurückverfolgen als bis auf die Ausläufer der Räuber- und Abenteuergeschichte in Schillers und E. T. A. Hoffmanns Novellen. Edgar Allan Poe, der 1941 mit „The Murders in the Rue Morgue” die erste Detektivgeschichte schuf, hatte bald Nachfolger. Den Älteren unter uns ist der 65 Jahre alte „Hund von Baskerville” mehr bekannt als daß sein Autor Sir (!) Arthur Conan Doyle der Erfinder der „Sherlock-Holmes- Gestalt” ist (er erfand sie übrigens in Wien als Student!). Im folgenden entfaltete sich eine geradezu seriöse Kriminalliteratur, an der D. L. Sayers, G. K. Chesterton, Agatha Christie und J. B. Priestley teilhatten. Zu Spezialisten wurden Dashiell Hamett und R. Th. Chandler in den USA, Edgar Wallace und E. W. Hornung und natürlich G. Simenon, Gardner und Durbridge. Aber auch Faulkner und Graham Greene, wie Huch und Wassermann sowie Dürrenmatt streiften gelegentlich das Genre: Wir sind in bester Gesellschaft!

Um so erstaunlicher ist es, daß es über den Filmkrimi, der einen beachtenswerten Prozentsatz der gesamten Produktion einnimmt, so wenig deutschsprachige Literatur gibt, zumal schon seit geraumer Zeit Rundfunk und Fernsehen (hier besonders die Spiele in Fortsetzungen und die gleichfalls dem Film entlehnten Quizfragen nach dem Täter) kräftig mitmischen, ja der Film geradezu in seiner Art Klassiker („Zwölf Uhr mittags”, „Rififi”, „Der Gehetzte”) entwickelt hat, an denen Typisches abzulesen ist.

Die Hauptfrage ist wohl die nach der ungeheuren Anziehungskraft des Kriminalfilms auf Menschen jeden Alters, Geschlechtes und sozialen Standes (Juristen, Ärzte, Schauspieler!).

Da der Tod, der Mord, sehr häufig der Angeilpunkt des Krimis ist, ist hier anzusetzen. Tatsächlich übt der Anblick und das Miterleben des Todes, dieses unfaßbaren Schnittes zwischen zwei Welten, ein eigentümliches, nicht selten lustvolles Grauen auf Menschen aus. Psychologen wissen davon, daß solche Erlebnisse häufig in Kindern eine seelische Verwundung fürs ganze Leben auslösen. Der moderne Verkehrstod konfrontiert auch die Erwachsenen täglich damit: Die berühmte, zu Unrecht echt wienerisch genannte Ansammlung bei so traurigen Vorfällen hat nicht immer bloß Neugierde und Sensationslust, sondern den obenerwähnten Schauer und die geheime Genugtuung des Überlebenden zur Wurzel.

Damit nun operiert der Kriminalfilm. Der Mordfilm, der Film mit geheimnisvollen Todesfällen, ist die weitestver- breitete Gattung des Kriminalfilms.

Auf fällt, daß der Krimi im Frieden häufiger als in Kriegszeiten auftritt. Dies führte Psychologen auf die Spur des Kriminalfilms als Befriedigung verdrängter Triebe, hier von Aggressionstrieben (James Bond!), die unleugbar in jedem Menschen mehr oder minder ausgeprägt schlummern, im Kriege sozusagen „natürlich” befriedigt werden, in Friedenszeiten aber nach Notausgängen suchen, wozu sich der Krimi, ein typischer „Aktionsfilm”, hervorragend eignet. Die ihm eigene Brutalität, besonders liebevoll ausgespielt durch professionelle „Schläger”, wird von Erziehern bisweilen als gefährlicher für unreife Menschen gehalten als die fast jeden Krimi begleitende Sexualität (von der die Brutalität ja nur eine Spielart ist).

So vorsichtig Richter gegenüber Aussagen von Jugendlichen sind, die den Film zum Sündenbock ihrer oft unverständlichen Gewalttaten machen wollen, sei doch zugegeben, daß der allzu häufige Besuch und damit die Filtrierung mit der erwähnten Brutalität des Krimis zu einer grundsätzlichen Verrohung führen kann, die sich dann, genau nach dem „Leitbild”, in kriminellem Verhalten niederschlagen kann.

Damit scheint auch das Phänomen zusammenzuhängen, daß der Krimi (aus naheliegenden anderen Gründen auch der ihm verwandte Agentenfilm!) in Staaten mit totalem Regime unbeliebter ist als in Demokratien. Der Verbrecher ist der extreme Ausdruck menschlicher Individualität und als solcher ein besonders gearteter Feind diktatorischer Ideologie, das Verbrechen selbst aber in Diktaturen „ist nicht, weil es nicht sein darf”.

Nicht selten ist der Krimi ein Kreuzworträtsel und weckt Im Zuschauer das Verlangen, seinen Scharfsinn bei der Entdeckung „des” Täters unter einem Dutzend von Verdächtigten zu üben. Besonders bei den neuerdings so beliebten Serien des Rundfunks und Fernsehens macht dieses Rätselraten die Runde unter Millionen Zuschauern und erwürgt an solchen Abenden, ja wochenlang eine ganze Reihe anderer „kultureller” Veranstaltungen am Ort. Tritt dazu noch der Charakter des Gruselfilms (seit Golem, Frankenstein über Dr. Jekyll bis Hitchcock als Variante des Krimis beliebt und übrigens auch nur eine Spielart des sexuellen Films), wie etwa bei der Fernsehserie „Belphegor”, so ist die Massenhysterie vollkommen und begnügt sich mit der unlogischsten, lückenhaftesten und simpelsten Lösung am letzten Abend.

Auf der Jagd nach dem Verbrecher (eine weitere Gattung des Krimis) führt der Film nicht selten den Zuschauer in die Irre, um nicht zu sagen: an der Nase herum, was vielen Menschen eine qualifizierte Lust am Rätselraten und an der Bewährung ihrer unfehlbaren Pfiffigkeit bereitet.

Manchmal meint man den Autor dabei diabolisch schmunzeln zu sehen, was uns auf den Nebenweg des Humors im Krimi führt. Lustig macht sich der Kriminalfilm über Irrtümer der Exekutive — möglicherweise fossile Reste Chaplinscher Abneigung gegen den Policeman („The Kid”!) als lächerlichen Vertreter der übermächtigen Staatsgewalt. Besser schneidet dabei in der Regel, besonders im psychologischen Thriller, der „Held”‘, der Verbrecher, ab. Er ist selten lächerlich, öfter sympathisch, intelligent, technisch talentiert, tragisch als Verfolgter („Odd Man Out”, „Flucht ohne Ausweg”), als gequälte Kreatur, als der, den die letzte Kugel trifft. Und dies weniger aus Unmoral (der Krimi ist im Grunde amoralisch), sondern aus der Vorliebe des Films überhaupt für extreme Personen und Gestalten.

Eine echte, tiefere Moral taucht nur ganz selten in Kriminalfilmen auf. Meist ist es nur eine läppisch aufgepappte Etikette („Verbrechen lohnt sich nicht” oder „Der Krug geht so lange zum Brunnen…”), die der Film gegen den strengen Zugriff direkter oder indirekter Zensur benützt.

Unverbesserliche Optimisten wollen schließlich im Kriminalfilm ebenso wie in seinem Milchbruder, dem Wildwestfilm, seine eigentümliche Attraktivität in der Befriedigung des Menschen über den endlichen Sieg des Rechtes, also den ganzen Kriminalfilm als eine Art Schillersche moralische Anstalt, ansehen.

Das aber hieße dem Ding (und seinen Herstellern!) doch zuviel Ehre erweisen oder es ganz und gar verkennen. Der Kriminalfilm, in Massen hergestellt und dem Konsumenten von der Stange herab gereicht, reicht nur selten in künstleri sche Atmosphären hinein und ist unzweifelhaft weder der Erzieher und Menschheitsverbesserer unserer Tage, noch geht es an, ihn als Repräsentanten schlechtweg der Nackten und der Toten zu verteufeln und für moralische Untergänge und Sonderfälle allein verantwortlich zu machen, die es längst vor ihm schon gegeben hat.

Der Kriminalfilm ist und bleibt, wie die Kriminalgeschichte im Bucih und auf der Bühne, im Hör- und Femsehspiel, ein Produkt spannender und entspannender Unterhaltung, das seine eigenen Gesetze (bis zum Sonderfall von Michelangelo Antonionis überhitztem, irrealem Film „Blow up”!) entwik- kelt hat und unterschwellige Bedürfnisse des Menschen befriedigt.

Als solcher hat er seine Berechtigung, seine Eigentümlichkeit, seine Vorzüge und Suchtgiftgefahren wie alle anderen Gattungen des Films.

Was zu beweisen war.

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