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„Wer mag er gewesen sein?“

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Dieser wahre Künstler und wahre Mensch, der seine Zeit in sich trug und an ihr litt, die Botschaft des unverfälschten Christentums im Herzen, war, so lange er lebte, von den meisten verachtet, von vielen mißverstanden, nur von einigen wirklich hochgeschätzt.“ So schrieb in einem ersten Versuch über Georg Trakl der gleichfalls jung aus dem Leben geschiedene Freund des Dichters, Erwin Mahr-holdt. Und Rilke wandte sich bald nach Trakls Tod mit einem Brief an den Herausgeber des „Brenner“, der mit den Worten schließt: „Ich denke mir, daß selbst der Nahestehende immer noch, wie an Scheiben gepreßt, diese Aussichten und Einblicke erfährt als ein Ausgeschlossener: denn Trakls Erleben geht wie in Spiegelbildern und füllt seinen ganzen Raum, der unbetretbar ist wie der Raum im Spiegel. Wer mag er gewesen sein?“

Diese Frage bedrängte wohl jeden, dem das Werk Trakls etwas bedeutet. Sie ist deshalb so beunruhigend, weil sich unser Gefühl weder mit einer ästhetischen noch mit einer psychologischen — auch mit keiner tiefenpsychologischen! — Deutung zufrieden geben will, und weil wir spüren, daß sich wohl nur dem in die letzte Tiefe dringenden, dem theologischen Blick, das Geheimnis dieser im Irdischen unbehausten Existenz und damit auch die Symbole des dichterischen Werkes erschließen könnten. Und wir erkennen, in den Anblick der wenigen Bilder Trakls vertieft, „daß aus dem Antlitz nicht Trüb- und Wahnsinn gesprochen, sondern Liebe, Mitleid, unsägliches Leid, dazu gewaltige Stille des schauenden Menschen“ (Karl Borromäus Heinrich). Der Hauch von Verfall und Untergang, der über dem Gesamtwerk Trakls gebreitet liegt, darf uns die Sicht nicht trüben, daß der Dichter immer wieder versucht, „das Erlebnis vom Todesgeruch des Lebens auf geistige Weise einzufangen und vom Jenseits der Dinge her zu begreifen“ (Josef Nadler).

Die Betreuung des dichterischen Werkes lag zunächst in den Händen des hochverdienten Ludwig von Ficker, der als einer der ersten den wahren Rang Trakls erkannte — im Unterschied zu so gewiegten und eifrigen Anwälten des „Echten“ in der neuen Literatur, wie Hermann Bahr und Karl Kraus, die nicht mehr als ein flüchtiges Interesse für Trakls Werk aufbrachten und damit vor einer der wesentlichsten Leistungen des neuen Jahrhunderts versagten. Im Brenner-Verlag erschien auch 1926 die durchweg aus authentischen Zeugnissen bestehende Sammlung „Erinnerung an Georg Trakl“. Da durch sie unser tiefstes Interesse geweckt wurde und die Frage „Wer mag er gewesen sein?“ auch in der Zwischenzelt lebendig blieb, greift man voller Erwartung nach dem neuen Trakl-Buch, das uns seinen Nachlaß und eine Biographie, Gedichte, Briefe, Bilder und Essays verheißt.

Da jede Zeile von Trakl kostbar ist, haben wir dem Herausgeber vor allem für die neun Stücke zu danken, die er aufgefunden beziehungsweise zugänglich gemacht hat. (Unter diesen befindet sich eine Variante zu dem bekannten Gedicht „Musik im Mirabell“ und ine unveröffentlichte Strophe des Karl Kraus gewidmeten „Psalms“.) Daß in diesen Versen kein neuer Ton aufklingen würde, war zu erwarten. Motivisch am interessantesten ist das kurze Gedicht „An Luzifer“. Hierauf folgen, gleichlautend mit dem Erinnerungsbuch des „Brenner“-Verlags, Briefe Georg Trakls an Freunde (S. 18—58). Daran schließen sich zwei literarische Kritiken aus der Feder des Dichters über einen zeitgenössischen Roman, dessen Autor leider verschwiegen wird, und über das Drama des Jugendfreundes Gustav Streicher, „Mona Violanta“. Den breitesten Raum nimmt ein dreiteiliger Essay des Herausgebers ein, Leben, Lyrik und Dramen Trakls behandelnd. Darin wird eine Reihe neuer Fakten und interessanter Details aus Trakls Leben mitgeteilt. Auch fällt neues Licht auf den Tod des Dichters. Doch kann, rein dem Umfang nach, dieser biographische Abschnitt (S. 66—94) mit den im Gedenkbuch des „Brenner zusammengestellten Zeugnissen nicht konkurrieren. Der essayistische Versuch einer W e r k d e u-t u n g aber, so interessant er im einzelnen sein möge, scheint uns in diesem Rahmen überflüssig. Das gleiche gilt von der gedankenreichen Studie über Trakl und Hölderlin von Eduard Lachmann, die den Band beschließt.

Den wesentlichen Unterschied zwischen den beiden Dichtern, deren Gemeinsames er vor allem aufzuzeigen bemüht ist, sieht Lachmann darin, daß Hölderlins späte Welt immer noch machtvoll überglänzt ist von seiner griechischen Vision, während Trakl vor dem Gorgo-Antlitz der Welt die Augen schließt. „Der Dichter, der den Vers niederschrieb von dem, “ der das Tiefste gedacht hat und das Lebendige liebt, spricht, selbst als ihn schon die Schatten der Umnachtung überwölken, cfie Sprache eines Wachenden. Trakls Sprache aber ist die eines Träumenden, von dunklem Licht erhellt ...“ Hölderlin habe bis zuletzt um ein geistiges Bild gerungen für das, was er sagen wollte, er stemmte sich gegen die Uber-flutung durch das Dunkle, „während Trakl auf dem stygischen Fluß in einem Nachen hinunterfährt, der allzu rasch unter den Trauerweiden am Ufer verschwindet“.

Mit zum Ergreifendsten dieses Buches gehören die Bilder: das des treublickenden Vaters (der aus dem Schwäbischen stammte und Protestant war) und das der jugendlichschönen Mutter Maria, geb. Halik: ein Gesicht, wie man ihm in slawischen Ländern häufig begegnet. Dann die Kinderbilder, die Geschwister, unter denen der etwa Dreijährige bedrohlich-fremdartig heraussticht, das Bild mit der Lieblingsschwester, der .Mönchin“, der „Knäbin“ der Dichtungen!

Die Arbeiter von Babel. Von Ernst Hello. Ausgewählt und übersetzt von Franz Lischka, mit einem Nachwort versehen von Otto Mauer. Thomas-Morus-Presse, Verlag Herder, Wienj/

Hier drängt es den Besprecher einmal zum Hymnus des Lobes, denn was in den Gefangenenlagern des zweiten Weltkriegs als die Lehre der jüngsten Gegenwart erahnt wurde, das hat Ernst Hello, wahrhaft Arzt und Seher, im Frankreich der Jahrhundertwende klar prognostiziert und vollendet ausgedrückt: „Das Christentum ist nicht mehr ausschließlich die sittliche Notwendigkeit der Welt, es ist auch zur materiellen geworden.“ Vom Turmbau zu Babel und der Sprachentrennung, von der Wirklichkeit also, deren Bild auf jeder Seite der Weltgeschichte wiederkehrt, bis zu dem kommenden, das erste Pfingsten abbildende Pfingsten, bis zu dem inneren Näherkommen durch die Liebe, das durch alles technisch bewirkte äußere Näherkommen vorbereitet und gefordert ist, führt der kühne und oft hinreißend schöne und sinnerfüllte Bilder enthüllende Gedankenweg.

Eine glänzende Auswahl upd eine Ubersetzung, die eine fremde Ursprache nicht ahnen läßt, ein zur Entscheidung vor, dem Vorbild Helios drängendes Nachwort Otto Mauers machen diese Schritt zu einer Tat der Thomas-Morus-Presse. Dr. F. Lehne

Kleist. Roman. Von Joseph H a n d 1. Humboldt-Verlag, Wien.

In einer Zeit, die den biographischen Poman zur Mode erhob, geht man mit Zurückhaltung an eine solche Lektüre. Wie soll ein kurzes Leben, das gleichwohl eine unerhörte innere Weite umspannte, romanhaft nachgestaltet werden? Das Buch läßt die Jugendzeit beiseite, um sogleich zu den bekannten Höhepunkten zu schreiten: etwa 1792 bis 1802, 1803 bis 1809 und 1809 bis 1811, gewissermaßen drei Sätze einer Symphonie, denen ein Vorspiel, die Grundthemen anschlagend, vorausgesetzt ist. Dabei werden vorwiegend die Briefe, wie sie an die Schwester Ulrike, an die Braut Wilhelmine von Zenge, aber auch Äußerungen an Kleist (etwa von Wielahd), Schilderungen, wie die des Wismarers Dahlmann von seiner Reise mit Kleist nach Österreich, in geschickter, ungezwungener und, was betont werden muß, mit literargeschichtlicher Treue verwertet, ohne zur Aufzählung auszuarten. Gerade das Reflexionslose der Briefe (von jenen der Jugend abgesehen), diese Aufschreie eines gepeinigten, sich nie genügenden Gemüts, machen das Buch zu einem einzigen Monplog. Der Sprache . gelingt es, die unaufhörliche Hochspannung . dieses Geistes durchzuhalten, das Kleist so oft als sein Einziges Gesetz kennzeichnet. Wer in der gewählten Form — der des Tagebuches an deri Werther erinnernd, dessen Syiriptome Goethe an Kleist so mißfielen — das Auf und Ab, das Schwanken von gewaltigsten Vorsätzen zu verzweifeltem, Verzicht, diese dauernden Wanderungen an Abgründen entlang, nicht, wie der Titel mißverständlich angibt,'als Roman, sondern als menschliche Bekenntnisdokumente auffaßt, der wird, habe er auch nie von Kleist gelesen, die Worte des letzten Briefes an Ulrike verstehen: ,Die Wahrheit ist, daß mir auf Erden nicht zu helfen war. Hanns Salaschek

Gasthaus Jamaika. Von Daphne du M a u r i e r. Aus dem Englischen übertragen von Siegfried Lang (Jamaica Inn). Neudruck 1949. Verlagsgesellschaft Heidrich-Fretz und Wasmuth, Zürich. 387 Seiten.

Der Roman, in dem Mary Jellan die verbrecherische Geschichte einer Bande von Strandräubern entdeckt, die im Gasthaus Jamaica im Moorland von Cornwall ihren sichtbaren Sitz hat, ist nicht ohne Spannung erzählt, und darauf ist wohl auch die Verbreitung in Amerika zurückzuführen; Unwahr-scheinlichkeiten im psychologischen und . reinen Tatsachenbereich stören allerdings die Unterhaltung des Lesers. Das Büch ist nicht schließlich als Knabe und junger Mensch im Kreise der Freunde: immer fremder, abweisender, am erschreckendsten auf dem Titelbild, etwa aus dem Jahre 1910.

Der Gesamteindruck von diesem Band ist zwiespältig. -Die Aufgaben und Ziele, die sich der Herausgeber gestellt hat, sind nicht klar abgestedct. Hier ist zu viel an Deutung und zu wenig an Material geboten. Und in welchem Verhältnis steht dieser Band zu dem Erinnerungsbuch des „Brenner'Verlags? Weder macht er ihn überflüssig, noch ergänzt er ihn in ausreichendem Umfang. Auch fehlen unter den Bildern die, meiner Meinung nach, besten: die Photographien aus den Jahren 1912 und 1914.

Bei der Ausstattung hat sich der Verlag Mühe gegeben. Einige sehr störende Druckfehler und Verhebungen mögen bei einer Neuauflage berichtigt werden. Das gleiche gilt auch von den bereits in 6. Auflage erschienenen Dichtungen in der Anordnung Karl Rocks. — Die Zeit für eine kritische Gesamtausgabe scheint gekommen.

Dr. H. A. Fiechtner frei von Pikanterien; eine davon ist die, daß der verborgene Lenker aller dieser Verbrechen ein Methodistenprediger ist, der bei seiner Entdeckung Mary Yellan unwidersprochen bekennt: „Ich werde Ihnen erzählen, wie ich Schutz vor mir selbst im Christentum gesucht und wie ich fand, daß dieses auf Haß, Gier und Eifersucht beruhe..., während das alte heidnische Barbarentum einfach und klar gewesen ist“ (S. 354)... „Ich werde Sie lehren, zu leben ... wie Mann und Weib seit mehr als 4000 Jahren nicht mehr gelebt haben“ (S. 356). Dr. Margarethe S c h m i d

Schloß Ribelra, Romantrilogie. Von Au-gusto da Costa. Paul-Zsolnay-Verlag, Wien. 518 Seiten.

Drei portugiesische Romane in drei Generationen eines Adelsgeschlechtes. Der Leser nimmt das gut ausgestattete Buch des Verlages, der uns eben mit einer Neuausgabe der Forsyte-Saga, des großen englischen Generationengemäldes, erfreut hat, erwartungsvoll zur Hand. Eine portugiesische Saga, die Deca-dence eines großen Geschlechtes im Verfall Portugals im 19. Jahrhundert? Ein Werk, das sich den großen angelsächsischen Familienromanen zur Seite stellen kann? Mitnichten. Unser Portugiese erzählt schwatzhaft im Stil des leichten Unterhaltungsromans der zwanziger Jahre Aventüren um drei Frauen, die weder durch Milieu, Charakter noch auch künstlerische Formung unser Interesse erwecken' können. Eine Übertragung ins Deutsche läßt sich somit kaum rechtfertigen, zumindest nicht mit künstlerischen und literarischen Argumenten.

Dr. Werner Körner

Stilgeschichte des Exlibris. Von Richard Kurt D o n 1 n. Osterreichische Exlibris-Gesellschaft, Wien.

Ein verlockendes und wichtiges Thema Donin verfolgt es in eingehenden Studien von der Spätgotik bis in unsere Zeit. Er fügt ihnen auch 48 unbekannte Abbildungen bei, doch bleibt es dem Fleiß und dem Kenntnishunger des Lesers überlassen, auch ältere Veröffentlichungen und Fachblätter herbeizuholen, um darin all die geschilderten und zitierten Beispiele betrachten zu können, auf deren Wiedergabe leider verzichtet werden mußte. Vielleicht wäre es gut gewesen, auch der Bekämpfung des Kitsches auf dem Gebiet des Exlibris (für das übrigens immer wieder die schreckliche Ubersetzung „Eignerzeichen“ auftaucht) einen Abschnitt zu gönnen und auch die einfachste, nämlich die stempelartige Form, etwas zu berücksichtigen, mit deren Hilfe künstlerische Leistungen und zugleich nicht kostspielige Ergebnisse zur Freude des Büchersammlers erzielt werden können. Gerade die Abwege des malerischen Exlibris sind stets zahlreich gewesen und auch oft mißbraucht, worden, die vorbildlichen, rein graphischen und manchmal geistreichen Lösungen dagegen sind selten geblieben. Jedenfalls wird das Exlibris viel zu wenig unterstützt, jede Buchausstellung müßte darauf hinweisen und zu Aufträgen anreizen. Daher sind Publikationen wie die von Donin jederzeit willkommen.

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