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Kurt Drawerts Essay über "Madame Bovary".

Emma Bovary ist eine der großen Figuren der Weltliteratur, doch: Wer war diese Frau? Diese und noch mehr dieser Frage stellt sich Kurt Drawert in seinem Buch "Emma", worin er noch einmal ihren Weg beschreitet, die Geschichte als Element der Gewordenheit des Heute aufrollt.

Unerfüllte Leidenschaft

Wer also war Madame Bovary? Sie ist ein Wesen, das von einer sympathischen Unberechenbarkeit ist: Mit der Ungeduld und Ursprünglichkeit des Kindes fordert sie das eigentliche Glück ein, das freilich ebenso wie die Ironien und Brechungen der Lebensgestaltung vom Bürgertum ge-und vor allem erfunden wurde, an dem sie scheitert. Ihre Leidenschaften speisen sich aus dessen - freilich: legitimen - Fiktionen, die ihr zugleich von diesem (wie von ihrem Autor Gustave Flaubert) nicht erfüllt werden: "Die Heldin, deren Liebesglut in den Bildern der schlechten Literatur ihren Vorwand fand, gleitet hinüber in Tod und endgültige Kälte mit dem Geschmack der Flüssigkeit im Munde, die ihre Existenz bestimmte", nämlich dem der Tinte, so schreibt Jan Starobinski in seiner "Kleinen Geschichte des Körpergefühls" über Flauberts Figur.

Ist aber dieser Tod unausweichlich, das Uneigentliche abzustreifen, das ihm und vor allem dem Leben der Bovary so eindrücklich anhaftet? Ist die Intransparenz der strategischen Lüge um die Heldin mit ihren unbedingt empfundenen Wünschen durchdringbar - oder eben Bedingung gerade dieses Lebensentwurfs, der dies verkennend nicht mehr eigentlich, sondern sentimentalistisch mit dem Tod endet, ist doch auch und gerade die Bovary "Motor des Utilitarismus", wie Drawert schreibt?

Zu den Quellen und zurück

Mit großer und nachvollziehbarer Sympathie für die Variante eines doch nicht bloß aus Hysterie erwachsenen Unheils geht Drawert dieser Frage nach, und zwar zu den Quellen und zurück, unterfüttert mit Fußnoten und Bildern, die aber nie die Antwort ersetzen, die dieser blendende Essay zu formulieren sich anschickt. Er folgt den "Negationen des Fortschritts", worin Anspruch und Mittel einander entsprächen, ohne diese wie Flaubert - "das Leben ist nichts, und die Kunst ist alles, jedenfalls für Flaubert" - gegeneinander auszuspielen, er bleibt im Zentrum dessen, was da nicht aufgeht, in der "Sprache als Überschreitung eines Konflikts mit der Sprache", der wiederum "Bedingung des Schreibens an und für sich ist".

Schlüssel zur Wirklichkeit

So wird das Substantielle der Figur in den Problemen ihrer dichterischen Realisation archäologisch erarbeitet. Drawert zeigt, dass die Tragödie der Individualität hier exemplarisch ist, es also eine unmögliche Individualität an sich ist, die hier gegeben ist. Man könnte da fast sagen, Drawert verkenne die Kunst Flauberts als Wirklichkeit sui generis - doch ist dies zugleich, wie sein Text nachweist, der vielleicht einzige und ein jedenfalls klug gewählter Weg, diesem Werk beizukommen: es eben wirklich als Schlüssel zur Wirklichkeit zu gebrauchen. Vor allem zeigt sich dabei der Widerspruch zwischen der Absicht Flauberts und der Intention des Textes, der erst so freigesetzt wird.

Flaubert "will mit Emma die Romantik zerstören, aber er provoziert die Auferstehung der Romantik durch eine zu Herzen gehende Tragödie des romantischen Helden"; damit ist sein Verhältnis zur Romantik Spiegelung dessen der Bovary, so wäre hinzuzusetzen - beide scheitern an der zugespitzten Dialektik von Eigentlichkeit und Ironie der Romantik, deren stringente Nicht-Synthese Friedrich Schlegel in der "Ironie der Ironie" fasste.

Und zum Schluss? Ist das Glück notwendig, aber fast undenkbar. Beides weist Drawert mit kriminologischer Akkuratesse nach, dabei nicht ohne Bedauern, das aber aufgrund der durchgehaltenen Spannung nirgends ins Kitschige abgleitet. Nur einmal, in der Wiederholung eines längeren Zitats - An Ernst Chevalier, Rouen, 24. Juni 1837 -, und zwar ohne strukturelle Notwendigkeit, lässt Drawert diese Exaktheit missen. Das nimmt diesem bis in die wunderbaren Illustrationen gelungenen Band jedoch nichts an Reiz und Gewicht; eine empfehlenswerte Lektüre.

Emma

Ein Weg

Von Kurt Drawert

Mit Fotos von Ute Döring. Sonderzahl Verlag, Wien 2005. 120 Seiten, geb., mit Fotos, e 16,50

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