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Werden die Steine bleiben?

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Unter dem Titel „Volkstum und Literatur in Rumänien“ haben wir vor zehn Jahren in der „Warte“ (1946, Folge IS) einen Artikel veröffentlicht, in dem versucht wurde, ein Panorama der zeitgenössischen rumänischen). Literatur ZU entwerfen. Es war ein buntes Und'vielgestaltiges' Bild, das sich dem Betrachter damals bot, aus dem die Gestalten der großen Epiker Mihail Sado- veanu, Liviu Rebreanu und Cesar Petrescu hervorragten, deren Hauptwerke auch ins Deutsche und in andere europäische Sprachen übersetzt worden sind. Was ist in der Zwischenzeit aus diesen Dichtern und ihren Werken geworden, wie sieht die rumänische Literatur heute aus? Durch den Bericht eines rumänischen Schriftstellers der jüngeren Generation, der bis vor kurzem in Bukarest gelebt hat, sind wir in der Lage, unseren Lesern eine Reihe interessanter Fakten mitzuteilen. Die Redaktion der „Furche“

Ein altes rumänisches Sprichwort sagt „Das Wasser fließt dahin, die Steine bleiben". Es meint die vielen Invasionen und Schicksälsschläge, die das rumänische Volk im Laufe seiner leidvollen Geschichte erlitten — und immer wieder überstanden hat. Die Fremden kamen und gingen wieder; das Volk, sich duckend oder sich in die Berge, vor allem in die Karpätenfestung Siebenbürgen zurückziehend, nach Transsylvania, das Land jenseits der Wälder, hat immer wieder überlebt und die Fremdherrschaft überstanden. Wird es physisch und geistig auch seine jetzigen Zwingherren bestehen können? Werden die Steine bleiben? Die letzten zehn Jahre und die' gegenwärtige Situation erlauben leider keine günstige Prognose.

Von den bekannten und bedeutenden Schriftstellern sind mir einige im Lande geblieben, und von diesen haben sich nur wenige bereit gefunden, auch unter dem neuen Regime weiter zu publizieren. Der 1885 geborene Siebenbürger Liviu Rebreanu, Autor des 1920 erschienenen und in mehrere europäische Sprachen übersetzten Bauernromans „Ion“, hat unmittelbar nach dem Einmarsch der Russen Selbstmord begangen. Der zweite berühmte Romancier, der 1880 geborene Moldauer Mihail Sadoveanu, der bis zum Krieg etwa 60 Fächer veröffentlicht hatte und der sozialdemokratischen Bauernpartei nahestand, also von Anfang an unter dem neuen Regime einen besseren Start hatte, mußte einen seiner bekanntesten Romane („ oimii") in dem Sinne umschreiben, daß der Akzent auf die Hilfe gelegt wurde, welche die Russen den moldauischen Bauern in ihrem Freiheitskampf gewährten. Dieser neue Roman heißt ietzt „Nicoara Potcoava". Ebenso geschah es mit anderen Werken des Autors. In einem Gegenwartsroman Sadoveanus. „Mitrea Cocor“. wird erzählt, wie ein rumänischer Bauer 1941 gegen die

Russen in den Krieg zieht und dann — bekehrt und als Freund der Russen — in seine Heimat zurückkehrt. Von der literarischen Oeffentlich- keit viel , bemerkt und..kommentiert wurde dea\ Umstand, daß die Wandlung des Helden nicht, 'aufgezeigt wird, daß gewissermaßen in der Mitte des Romans eine Lücke klafft. Diese auf glaubwürdige Art auszufüllen, ging anscheinend auch über die Kräfte eines linientreuen Schriftstellers.

Am eindringlichsten spiegelt sich die literarische Situation im Schicksal des vor zehn Jahren meistgelesenen rumänischen Romanciers Cesar Petrescu. (Zwei seiner Romane, „Das schwarze Gold“ und „Der Schatz des Königs Dromichet" erreichten seinerzeit in den deutschen Uebertragungen hohe Auflagen.) Nachdem Petrescu sein vor 20 Jahren erschienenes Hauptwerk „Intunecarea" („Die Verdunkelung") in der Neuauflage so stark umarbeiten, mußte, daß von dem alten Buch kaum noch etwas übrigblieb, beschloß er zunächst, sich aus dem literarischen Betrieb zurückzuziehen. Nachdem aber eine Reihe seiner Verwandten, darunter zwei Schwestern, in einen politischen Prozeß verwickelt waren und unter Anklage standen, begann er wieder zu schreiben, natürlich — um seine nächsten Angehörigen zu schützen: streng auf der Linie. Sein früheres Leserpublikum hat er mit diesen Werken, denen jeder literarische Wert abgesprochen werden muß, zwar verloren. Aber er selbst wurde — man bedenke das groteske der Lage! — zur Belohnung für seine eifrige literarische Aktivität zum Mitglied der neuen Rumänischen Akademie ernannt. Ein Schicksal, würdig einer Darstellung aus der Feder dieses bedeutenden Psychologen und Gesellschaftskritikers. Vielleicht wird Petrescu diesen Bericht eines Tages schreiben können ...

Ein vierter berühmter rumänischer Schriftsteller, Ionei T e o d o r e a n u, der nicht durch Umstände, wie sie eben geschildert wurden, zum Schreiben gezwungen war, hatte sich zwölf Jahre lang, von 1944 bis 1956, bis zu seinem Tod, aus der Literatur völlig zurückgezogen und lebte als Rechtsanwalt in seiner Vaterstadt Jassy.

Nachdem man, besonders während der letzten zwei Jahre, eingesehen hat, daß die neue, linientreue Literatur keine Leser findet und die alten Schriftsteller nicht so fleißig sind, wie man es sich erhoffte, begann eine umfassende Aktion mit Neuausgaben älterer und früher vielgelesener Bücher: Die oft unerwünschte Tendenz dieser Werke — so in den bekannten Romanen „Der Aufstand" und „Der Wald der Gehängten" von Rebreanu wurden mit Vorreden ausgestattet, die das Amüsement der literarisch Interessierten bilden. Immerhin kauft das Publikum diese

Bücher und erwartet mit Ungeduld gerade jetzt die angekündigten Neuauflagen zweier beliebter und literarisch bedeutender Romane des bereits erwähnten Ionei Teodoreanu, „Die Straßen der Kindheit“ und „Nach Medeleni“. Ebenso gespannt ist man auf die neuen dialektischen Vorreden.

Ein anderer Autor der mittleren Generation, Radu T u d o r a n u, hatte mit zwei linientreuen, trotzdem aber literarisch nicht wertlosen Werken („Ein Hafen im Osten“ und „Das Dorf der armen Mädchen") großen Erfolg und fand auch staatliche Anerkennung. Aber während der letzten Jahre hat er sich ganz auf Kinderbücher umgestellt, da ihm der von der „Linie“ eingegrenzte Weg auf die Dauer anscheinend zu eng ist.

Große Sorge macht den rumänischen Schriftstellern ein neuer Paragraph, der vor kurzem in die Statuten der „Uniunea scriitorilor“, des Schriftstellerverbandes, aufgenommen wurde. Dieser Artikel 12, Absatz e besagt, daß jeder rumänische Autor, so angesehen beim Publikum und bei der Presse er sein mag, selbst wenn er schon in den Schulbüchern figuriert, alle Vorteile und Begünstigungen, die das Regime den geistig Schaffenden gewährt, verliert, wenn er unter eben diesem Regime nicht laufend neue Werke veröffentlicht. Nach diesem Paragraphen wurden vor kurzem insgesamt 120 rumänische Schriftsteller aus ihrer Standesorganisation ausgeschlossen. Ihr Los ist nicht leicht.

Ein Blick auf die benachbarte Sparte der Komponisten zeigt ein ähnliches Bild: viel Aktivität, aber sehr geringe künstlerische Resultate. Merkwürdig ist, daß einst so produktive und originelle Komponisten wie Sabin D r a g o i und Paul Constantinescu seit mehreren Jahren keine bedeutenden Werke mehr hervorgebracht haben. Was man von jüngeren, etwa von Gheroghe Dumitrescu, hört, ist nicht von Bedeutung. Der reine, strenge Folklorismus, der einen Hauptreiz der rumänischen Musik bildete, weicht immer mehr einem einheitlichen, von außen importierten Plakatstil.

Besser steht es bei den Malern. Diesen ist es gelungen, eine gewisse Unabhängigkeit zu bewahren. Ihnen und den bildenden Künstlern haben einige heftige und korporative Proteste gegen die staatliche Einmischung anscheinend wirklich genützt: man ließ sie im großen und ganzen in Frieden, so daß sie sich freier entwickeln konnten. Nur so ist es zu erklären, daß die rumänischen bildenden Künstler Corneliu Barba, C. Baraschi, Irinescu, Medrea, Anghel und Mirea (von denen freilich einige zehn Jahre 0lang.,fiichtt,jöffentlicb ausgestellt haben) bei der Biennal . Venedig hohe Anerkennung fanden, ähnlich einigen polnischen Künstlern. Aber, wie gesagt, die bildende Kunst bildet hier eine glückliche Insel.

Auf die Frage, ob sich seit der E n t s t alini s i e r u n g etwas geändert hat, muß man für Rumänien leider antworten: so gut wie nichts. Einige westliche Filme, Jazzmusik in den Lokalen — und endlose Diskussionen in den Versammlungen und in parteioffiziösen Zeitungen: das war bisher alles. Bezeichnend ist auch, daß es auf literarischem Gebiet weder oppositionellemodernistische Zirkel noch auch Zeitschriften gibt, die eine offene Sprache führen, etwa dem Petöfi-Kreis oder manchen Revuen im neuen Polen vergleichbar.

Das Wasser fließt und fließt und treibt die Mühle der Parteiredner. Werden die Steine, die guten und echten, bleiben — oder am Ende doch fortgespült werden?

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