Werkzeuge, Rituale und Hemmungen

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Rolf-Bernhard Essigs schier unerschöpfliche Materialsammlung über "Schreiberlust & Dichterfrust".

Hüter der Verwandlung", so hätte Rolf-Bernhard Essigs Wunschtitel für seine beeindruckende Sammlung gelautet, die quer durch die Literaturen und Jahrhunderte Zitate, Berichte und Anekdoten zum Thema Schreiberlust & Dichterfrust versammelt. Von diesem Titeldisput mit dem Verlag berichtet der Autor ebenso wie von anderen Details seiner Arbeit am vorliegenden Buch, denn Essigs kompilierter Werkstattbericht vom Entstehen eines Buches schließt seine eigene Arbeit mit ein.

Sehr belesen

Rolf-Bernhard Essigs Belesenheit ist mehr als beachtlich; seitenweise zitiert er aus Briefen, Tagebuchaufzeichnungen und Selbstaussagen einer unübersehbaren Fülle von Autoren, allen voran Flaubert und Balzac, Nabokov und Raymond Carver, George Simenon und Raymond Chandler, Astrid Lindgren, Tolkien und Johanna Rowling. Aber auch Goethe und Schiller, Capote und Pirandello, E. T. A. Hoffmann und Robert Luis Stevenson, Kafka und Hemingway und daneben unzählige andere Autoren werden vorgestellt und herbeizitiert als Kronzeugen und Fallbeispiele zu Themen wie Schreibanfänge und Schreibhemmungen, Strategien der Stoffbewältigung und Figurenbenennung. Ein Kapitel zum Thema Schreibwerkzeuge fehlt ebenso wenig wie eines über Schreibrituale und das Problem mit dem Brotberuf Schriftsteller. Entstanden ist eine schier unerschöpfliche Materialsammlung über Autoren und ihr Verhältnis zum Schreiben und über die "ungeheuren Anstrengungen, die Autoren beim Schreiben "erleiden", wie Juli Zeh in ihrem Vorwort formuliert.

Tendenziell gibt es bei all diesen Themen, das macht die Materialfülle beeindruckend sichtbar, so viele Strategien und Eigenheiten wie Autorinnen und Autoren. Da Essig darauf verzichtet, nach Zusammenhängen zu Fragen, also etwa wie sich ein bestimmtes Schreibkonzept zum Werk und dem historisch bedingten Verständnis von Schreiben und Autorschaft verhält, ist das strukturelle Prinzip die Reihung nach dem Muster: es gibt Autoren die sich so verhalten, andere wiederum anders.

Ein wenig ist dieses Problem vielleicht auch dem zwiespältigen Konzept geschuldet. Essig selbst formuliert zu Beginn sein "Ziel" so: "ich möchte Mut machen, Bücher und Schriftsteller mit neuen Augen zu sehen". Da man zum Sehen weniger Mut braucht, deutet die Formulierung vom "Mut machen" in eine Richtung, die Essig zu Beginn auch verfolgt, nämlich Einblick zu geben in Handwerk und Berufsalltag von Autoren, um so vor allem junge Menschen zum Schreiben anzuregen.

Betont flapsig

So erzählt er in den ersten Kapiteln von jugendlichen Frühstartern und handelt Basics ab, wohl bewusst in etwas flapsigem Ton. ("Der Begriff Stoff bezeichnet in der Literatur allerhand.") Dieser Teil scheint sich tatsächlich an das jugendliche Publikum zu wenden, das die Verlagswerbung als Adressatengruppe nennt. Zumindest arbeitet Essig hier mit einer Fülle von amikalen Du-Anreden an den Leser; die kommen auch späterhin immer einmal wieder, aber sie verlieren sich dann über weite Strecken, was für erwachsene Leser die Lektüre durchaus erleichtert. Dafür sind wohl didaktisch motivierte Einschübe stehen geblieben, wie "Besonders dumme Menschen behaupten, es sei von Vorteil, wenn Schriftsteller arm seien und Not litten". Oder "Talent und Fähigkeiten, Erfahrungen und Ideenreichtum kann kein Rauschgift ersetzen … Lustig ist, dass die Kunst selbst aber doch wie eine Droge wirkt." Oder: "Die Idee, eigene Erfahrungen und Gefühle als Stoff für literarische Werke zu verwenden gibt, es sehr lange", und über die Bronte-Schwestern heißt es, für sie "galt Friedrich Schillers Sprichwort:, Früh übt sich, was ein Meister werden will.'"

Das intellektuelle Anforderungsprofil an die Leser von Essigs Kompendium ist verwirrend heterogen. Während "Michelangelo, der italienische Bildhauer" erklärt wird, bleibt Nietzsche, "der Pferdeflüsterer" unerlöst stehen. Hier geht Essig entweder davon aus, dass auch das jugendliche Publikum um die Umstände von Nietzsches Zusammenbruch weiß, oder er nimmt einfach hin, dass eine Verbindung mit dem gleichnamigen Bestseller jüngeren Datums hergestellt wird. Auch die mitunter forcierte Vereinfachung von Buchinhalten - Karl Philipp Moritz' Anton Reiser flüchtet in die Welt der Bücher, weil sein Vater immer mit ihm "schimpft" - ist wohl auf jugendliche Leser hingeschrieben. Das alles wäre durchaus einsehbar, aber es wird nicht durchgehalten, sondern flackert nur zwischendurch unvermutet auf.

Denn das durchgängige Prinzip des Buches ist die Lust am kundigen Namedroping: auf jeder zweiten Doppelseite finden sich acht oder mehr Namen von Schriftstellern aus allen Kulturen und Jahrhunderten - das ist Literatur für Kenner, aber kaum für "literarische Einsteiger"; auch wenn die Lebensdaten oft beigefügt werden, setzt eine lustvolle Lektüre doch eine prinzipielle Vertrautheit mit den literarhistorischen Grundlagen voraus. Ein Tribut an jugendliche Leser ist allenfalls die häufige Präsenz von Rowling, aber Harry Potter gefällt dem Autor selbst sehr gut. Wertungsfragen gibt es eigentlich überhaupt nicht, bei älteren Autoren gilt der Kanon, bei Gegenwartsautoren der Erfolg: Benjamin Lebert und Flavia Bujors Das Orakel von Oonagh oder Rowling stehen völlig gleichauf neben Max Frisch, Günther Grass oder Elfriede Jelinek und all den anderen.

Feilen am Text

Gegen Ende des Buches geht es logischerweise um das Beenden von Büchern und Essig beschreibt und zitiert verschiedene Herangehensweisen an die langwierige Arbeit des "Feilens" am Text. Ein wenig davon hätte vielleicht auch dem Band Schreiblust und Dichterfrust zu einem einheitlicheren Stil verhelfen können.

Vielleicht ist das aber auch nur eine jener "dummdreisten und gemeinen Kritiken", von denen Essig spricht, der selbst als Literaturkritiker arbeitet, um die Abgründe dieser Rolle also gut Bescheid weiß. Dass man manche Autoren vermisst (Handke zum Beispiel) oder kleine Irrtümer findet (Schnitzler war gerade nicht gern zugleich Arzt und Schriftsteller), das fällt bei einer monumental angelegten Stoffsammlung wie dieser hingegen wirklich nicht ins Gewicht.

Der Verlagstext kündigt das Buch als "Literaturverführer" an, das verweist auf Rolf Vollmanns Roman-Verführer, der mit einem ähnlichen Darstellungsproblem zu kämpfen hatte: als bloße Kompilation bleibt von der großen Geste nur eine - äußerst amüsante - Anekdotensammlung. Das freilich ist auch nicht wenig.

Schreiberlust & Dichterfrust

Kleine Gewohnheiten und große Geheimnisse der Schriftsteller

Von Rolf-Bernhard Essig

Hanser Verlag, München 2007

318 Seiten, geb., € 20,50

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