Wider das Tabu des Todes

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Ein Fotograf und eine Journalistin haben Sterbende in ihren letzten Tagen begleitet. Das daraus entstandene Buch liefert bedrückende, zuversichtliche, beängstigende und hoffnungsvolle Ansichten über den Tod.

Michael Lauermann will sein Leben nicht verlängern. Kein Kortison gegen das Ödem, das sich um den Tumor in seinem Gehirn ausbreitet. Nur Morphium, um die Schmerzen zu ertragen, denn die Metastasen drücken auf das Bauchfell.

Der ehemalige Manager verbringt die letzten Tage seines Lebens in einem Berliner Hospiz. Er habe ein schönes Leben gehabt, sagt er und erzählt, wie er 1968 aus der schwäbischen Heimat nach Paris gegangen ist - Studium an der Sorbonne, Baudelaire, Straßenschlachten, Revolution, Frauen. Aber das alles ist lange her. Er weiß, dass es für ihn keine Hoffnung auf Genesung gibt, darum kämpft er nicht gegen den Tod an.

"Ich will, dass es jetzt passiert", sagt der 56-Jährige am Abend. Am nächsten Morgen ist er nicht mehr ansprechbar. Er atmet flach, schnappt in immer größeren Abständen nach Luft, dann bleibt sein Atem stehen. Vor seinem Zimmer wird eine Kerze angezündet. Das Zeichen, dass Michael Lauermanns Leben vorbei ist.

Vor kaum einem Thema wahren die Menschen so viel inneren Respektabstand wie vor dem Tod. Der Fotograf Walter Schels und die Spiegel-Redakteurin Beate Lakotta überbrücken diese Scheu, nähern sich 24 Todkranken. Er in seinen Fotos, sie in ihren Texten über die Menschen, die die beiden in ihren letzten Tagen und Wochen kennen gelernt und begleitet haben. Die meisten von ihnen verbringen diese Zeit im Hospiz. Viele sprechen über ihr Leben und das bevorstehende Sterben, über ihre Hoffnungen und Ängste. Sie lassen sich kurz vor ihrem Tod fotografieren und geben ihr Einverständnis für ein letztes Bild danach.

Ungeheure Sensibilität ist nötig, um das Projekt nicht in die Geschmacklosigkeit abgleiten zu lassen - und die Herausforderung gelingt: Schels wird mit der Kamera nicht zum Voyeur, Lakotta kommt den Porträtierten mit ihren Worten nicht zu nahe, obwohl sie ihnen in jeder Silbe so nahe wie möglich ist.

Der daraus entstandene Bildband zeigt das Sterben als unabwendbaren Teil des Lebens, mit all den Verzweiflungen, Schmerzen und quälenden Fragen, aber auch mit den Hoffnungen, die Menschen am Ende ihres Lebens bewegen. Nicht viele sind dabei so gefasst wie Michael Lauermann. Manche klammern sich an die Chance einer Heilung, die es nicht gibt. Andere hadern mit ihrem Schicksal und mit Gott. Wieder andere verschließen sich ganz, wollen ihre Gedanken nicht mit der Umwelt teilen.

Aber es ist nicht nur ein Buch über das Sterben geworden, sondern auch darüber, was Palliativmedizin und einfühlsame Begleitung gemeinsam leisten können, wenn die Arbeit kurativer Einrichtungen längst beendet ist.

NOCH MAL LEBEN VOR DEM TOD

Wenn Menschen sterben

Von Beate Lakotta und Walter Schels

Deutsche Verlags-Anstalt,

München 2004. 223 S. mit zahlr. SW-Fotos, geb. e 41,10

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