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Wie bauen in den Alpen?

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Wo immer über die Baukunst eines Volkes gesprochen wird, ist gleichzeitig auch die Rede von den Menschen selbst, wie sie sein wollen, wie sie sich selbst sehen und wie die Gäste anderer Völker sie sehen möchten.

Da es eine einheitlich geschlossene Kultur seit der Biedermeierzeit wohl kaum mehr gibt, ist auch die Vorstellung, die der fremde Gast vom Bauen im Alpengebiet hat, eine sehr vielfältige: sie reicht, je nach Bildungsgrad, von der Almhütte zur Bauernhausimitation am Stadtrand, von den Barockkirchen bis zu einem sensatio- nierten Gebirgsmodestil. Allerdings haben die Einheimischen selbst auch keine klaren Begriffe, wie ihre Baukunst aussehen solle. Die Angst vor dem Neuen verführt immer wieder zu einer beschämenden Rückständigkeit. Viele betrachten Berge, Landschaften und Siedlungen als folkloristische Gegebenheiten, wieder andere — und dies sind viele — erträumen sich eine historische Theaterkulisse, die nichts vom Fortschritt und der Gegenwart merken läßt, und wieder andere empfinden alle echte Kultur als etwas Mahnendes, Verpflichtendes, dem man besser ausweicht, weil es so sehr der Mentalität des Abgrasens und Ge- nießens entgegensteht.

Es steht also schon dafür, aus all diesem Wust von Meinungen, Vorstellungen und Wünschen eine Haltung herauszulösen, die einer neuen, zeitgemäßen Baukultur im Alpenraum eigen sein soll: eine Aufgabe, der Mithilfe der Besten wert! an, das ganze Dasein erhält Aspekte des „Gespielten vor anderen”; es wird zum Theater. Das Haus, die Wohnung, das Alltagsleben, die Wunschvorstellungen und das Schöpferische sind immer stärker für den anderen, den Fremden, da, so daß die Heimat nicht mehr Ort und Gestalt des Ewigen wird, die Arbeit nicht mehr etwas, was Gott für den Menschen und durch den Menschen an dieser Stelle der Erde tut.

In Wahrheit ist der Mensch der Alpen innerlich schwer: er kann alle Belastungen nur tragen, wenn er in einem Höheren geborgen ist. Seine Fröhlichkeit kann das Tragische überdecken und jene himmlische Heiterkeit hervorbringen, die die Kunst des Barocks, des Rokokos und des Biedermeiers zu so kostbaren Leistungen führte. Geht diese feste Gründung verloren, dann wird alles läppisch, grob statt kraftvoll, aufdringlich statt stolz, patzig statt gewichtig. Wo früher Kunst in den einfachsten Schöpfungen des Bauens eine unabdingbare Selbstverständlichkeit war, ist jetzt nur noch selten ein neues und gutes Werk zu finden. x

Das Erlahmen der künstlerischen Begabung wäre noch kein Unglück. Wohl ist aber ein solches die Lüge, mit der gegenwärtig der Versuch gemacht wird, Stimmungsrequisiten hinzustellen, Bauformen früherer Generationen sinnlos weiterzuverwenden und sich damit ein stilistisches Mäntelchen umzuhängen, das in lächerlichem Gegensatz zu den sonstigen modernen Lebensgewohnheiten steht.

Die Städter haben ihre „Bauernstuben”, die Landbewohner ihre „Stilmöbel” aus dem städtischen Geschäft. Man bleibt zu gerne in ausgefahrenen Geleisen und weicht dem Neuen tunlichst aus. So entstehen rundum jene Häuschen in einer Mischung von alpenländischen Stileigenheiten und neuzeitlichen Erfordernissen, die nur eine Verzerrung des früheren Guten darstellen,., meist- , aber..-, einem… he-, schämendetl Kiwch bedenklich nahe- komntttt. ‘lHe TragtfTötf e fcte iWf- men überhaupt noch weiter entwickel bar seien, wird kaum bedacht. Mit dem Schlagwort „Tradition” unterbindet man jeden Versuch einer neueren Gestaltung und hat sofort die träge Mehrheit für sich.

Wenn sich nun vor allem die Jugend dagegen auflehnt, immer nur Altes weiterzukopieren, und durch einen Kult des Nochniedagewesenen dagegen ankämpft, dann wird, so ehrlich dieser Versuch auch ist, doch wiederum jegliche Verbindung abgerissen und ein Band zerschnitten, das für die Wesensart des Alpenmenschen kennzeichnend ist.

Auch das Verhältnis zur Natur hat sich grundlegend geändert. Sie ist ihm nicht mehr ein Letztes, denn er weiß- hinter ihr eine höhere transphysische Welt, welche in viel größerem Ausmaße zur Demut und Ehrfurcht führt, als dies bisher vorstellbar war. Wenn wir uns der Zerstörung der Landschaft entgegenwerfen, wenn der Raubbau an Energie, an Wäldern und Flüssen die Schönheit der Heimat bedroht, dann gilt diese Bedrohung auch gleichzeitig dem eigenen Inneren, das mit dem Äußeren — der Umwelt — geheimnisvoll verwoben ist.

Unsere Mitbürger sollten ehrlicher werden: ihre Proteste geigen das neue Bauen kommen doch gar nicht aus einer künstlerischen Mitbetroffenheit, sondern vielmehr aus der Unfähigkeit, entweder selbst etwas schaffen zu können, oder aus der Trägheit, zu Neuem Stellung nehmen zu müssen. Der Fremde geht nur davon aus, ob ihm die Dinge seiner Umgebung gefallen oder nicht: der Einheimische aber muß sich Rechenschaft geben, ob diese Dinge „seine” Dinge sind, aus seiner Wesensart entsprungen, oder ob sie Leihgaben darstellen, die anderen besser zugehören. Zugegeben: der Durchschnittsmensch denkt gar nicht an die Frage nach Stil, Kunst oder Kitsch, sondern nur an den Gang der jeweiligen Geschäfte. Unsere Sorgen werden immer nur von einer Minderheit verstanden und getragen werden!

Da wir mit Recht befürchten müssen, daß der gebildete Fremde auf die Dauer nicht mit dem romantischen Ersatzmilieu zufrieden sein wird, das man ihm allerorts hinstellt, wird das Mühen um neue Formen zu einer dringlichen Sorge der Gestalter. Neue Formen im Bauen verbreiten sich überall und nehmen den Charakter eines europäischen Einerleiheitsstiles an. Ist dies gut und erfreulich? Es wäre erfreulich, wenn man die Unbekümmertheit, mit der dies geschieht, als gut bezeichnen wollte.

Sind die Völker und Länder einander gleich? Solange auch einzelne Stämme in erblichen Unterschieden verschieden sind, solange wird auch das Bedürfnis ein echtes bleiben müssen. diese feinen Nuancen der Verschiedenheit auch in der Kunst, im Bauen, wie in der Musik, in Sitten und Gewohnheiten, beizubehalten, zu pflegen und zu entwickeln. Das Erlöschen dieser feinen Nuancen wäre gleichbedeutend mit dem Verlust der Eigen- persönlichkeit. Welcher Fremde käme noch gern in ein Gebiet, das seine Wesenszüge zusehends nivelliert

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