Wie David Irving zu 45 Millionen Schulden kam

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Der Auschwitz-Leugner klagte eine Autorin, die ihn als Auschwitz-Leugner bezeichnet hatte.

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Der Auschwitz-Leugner klagte eine Autorin, die ihn als Auschwitz-Leugner bezeichnet hatte.

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David Irving sitzt auf rund 45 Millionen Schilling Schulden. Er muss die Prozesskosten der von ihm wegen Ehrenbeleidigung verklagten amerikanischen Autorin Deborah Lipstadt und ihres Verlages "Penguin Books" bezahlen. Lipstadt hatte den britischen Autor zahlreicher zeitgeschichtlicher Werke in einem Buch über Holocaust-Leugner als einen solchen bezeichnet. Einer ihrer Kernsätze lautete: "David Irving ist einer der gefährlichsten Sprecher der Holocaust-Leugner." Irving fühlte sich dadurch nicht nur in seiner Ehre, sondern auch in seinen wirtschaftlichen Interessen beeinträchtigt und klagte. Dabei behauptet er seit Jahren, es habe in Auschwitz oder anderswo keine Gaskammern gegeben. Außerdem seien die Massenmorde an Juden hinter Hitlers Rücken geschehen. Er selbst habe die Juden sogar eher beschützt.

Massenerschießungen gibt Irving zu. Immerhin hält er "in Chelmno und in Auschwitz-Birkenau Vergasungen auf ,kleiner experimenteller Basis' für möglich ...: ,Damit meine ich aber nicht, dass Herren in weißen Mänteln und mit Stoppuhren herumstanden.'"

Die Autorin Lipstadt wurde freigesprochen. Selbstverständlich, ist man versucht zu sagen. Andererseits fragt man sich doch, wie ein simpler Ehrenbeleidigungsprozess zur wirtschaftlichen Vernichtung des Klägers führen kann. Die Nachricht von Irvings 45 Millionen Schilling Schulden als Folge eines verlorenen Ehrenbeleidigungsprozesses könnte ohne zusätzliche Informationen leicht einen unguten Nachgeschmack hinterlassen. Daher kommt das Buch "Der Holocaust vor Gericht - der Prozess um David Irving" von Eva Menasse zur richtigen Zeit. Eva Menasse, die mittlerweile als Kulturkorrespondentin der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" in Wien tätig ist, berichtete monatelang für die FAZ über den Londoner Prozess.

Prozess wie im Film Ihr Buch ist voll von Informationen über Vorgeschichte und Hintergründe. Angereichert mit köstlichen Formulierungen wie: "Wenn sich Ausländer in London wie Briten zu benehmen versuchen, geht alles schief." Aber auch voll dichter atmosphärischer Schilderungen. Das britische Prozessgeschehen gibt in dieser Hinsicht bekanntlich besonders viel her. Wir erfahren, dass Richard Rampton, "ein grauer Sir ... mit Perücke völlig anders aussieht als ohne". Er sieht David Irving im Kreuzverhör möglichst nicht direkt an, "sondern immer ein wenig zur Seite, so wie es ein gut Erzogener tut, wenn ein anderer sich erbricht". Eva Menasse meint, dass Rampton, der die Beklagten vertritt, "möglicherweise viel agiler ist, als er glauben machen möchte, wenn er sich immer leicht seufzend von seinem Stuhl erhebt". Wenn ihn seine Perücke, "ein adrettes Ding, das im Nacken in zwei kunstvoll geflochtene Schwänzchen ausläuft", zu jucken scheint, "schiebt er sie hin und her und kratzt sich ausdauernd am Ohr." Wer denkt nicht an Charles Laughton im Film "Zeugin der Anklage" mit Marlene Dietrich?

Kleine Bizarrerien dieser Art erzeugen Atmosphäre, vermitteln dem Leser das Sinnliche. Die Eigenheiten des britischen Rechts sind natürlich wichtiger. Der bizarre Umstand, dass ein Kläger auf 45 Millionen Schilling Kosten sitzen bleibt, erscheint sofort in einem anderen Licht, wenn wir erfahren, dass die Beklagte kein kleineres Risiko einging, als sie die Möglichkeit eines Vergleichs zurückwies und beschloss, den Fall auszukämpfen. Bei einem Verlust des Prozesses wären die Kosten nebst einer hohen Schadenersatzsumme an ihr hängen geblieben. Und das Risiko, zu verlieren, war nicht gering. Denn das britische Recht forderte von der Beklagten nicht einfach den Beweis, dass es Gaskammern gegeben hat und dass David Irving diese Tatsache notorisch abstreitet. Deborah Lipstadt und ihr Verlag mussten beweisen, dass sich Irving nicht irrt, sondern dass er bewusst fortgesetzt lügt und die Geschichte verfälscht.

Graf Tolstoys Untergang Je komplizierter der Fall ist, je abstrakter die Beweisführung beider Seiten, desto größer wird auch die Gefahr, dass die zwölf Geschworenen den Überblick verlieren und dadurch zu einem Fehlurteil gelangen. Im Fall Irving kam es aber zu einer Einigung, die Entscheidung einem Einzelrichter zu überlassen. Ein Grund dafür war die Komplexität des Falles. Ein anderer Grund war, dass sich Irving selbst vertrat. Vor einer Jury hätte Irvings Auftreten als "litigant in person", als prozessführende Partei ohne Rechtsvertretung, zum Platzen des Prozesses führen können. Der Richter wäre nämlich verpflichtet gewesen, ihn vor Nachteilen aufgrund seiner Unkenntnis der Spielregeln und rechtlichen Möglichkeiten zu bewahren. Wäre Irving eine Äußerung unterlaufen, welche die Laienrichter befangen machen konnte, hätte das Verfahren sofort abgebrochen und mit einer anderen Jury wiederholt werden müssen. Dies hätte zu einer weiteren Kostenexplosion geführt.

Als das Verfahren Irving versus Lipstadt nach dreijähriger Vorbereitung und sechs Vorverhandlungen am 11. Jänner 2000 um 12 Uhr Mittag eröffnet wurde, war wohl niemandem ganz leicht zumute. Alle wussten, dass vor zehn Jahren Graf Tolstoy nach einem Ehrenbeleidigungsprozess einen totalen finanziellen Zusammenbruch erlitten hatte. Auch damals war es um Untaten des 20. Jahrhunderts gegangen. David Irving musste ebenso wie Deborah Lipstadt und den Managern des PenguinVerlages klar sein, worauf er sich einließ. Doch Irving wusste sich dank den Eigenheiten des britischen Rechts im Besitz der besseren Karten. Eine Anklage wegen "libel", Ehrenbeleidigung, bedeutet in Großbritannien finanziell eine tödliche Gefahr. Das englische Recht ist durch die Umkehr der Beweislast, "milde ausgesprochen", so Eva Menasse, "sehr klägerfreundlich, was libel-cases betrifft". Die Schmerzensgelder für verletztes Ansehen betragen oft ein Vielfaches der Entschädigungen für lebenslange körperliche Behinderungen.

Dieselben Anwälte, die vor zehn Jahren in der Causa Tolstoy "die Klingen vor einem voreingenommenen und nicht besonders schlauen Richter gekreuzt hatten" (Menasse), standen einander nun als Richter und Verteidiger gegenüber. Der Vorsitzende des Irving-Verfahrens, Charles Gray, war erst seit eineinhalb Jahren Richter. Vorher war er Anwalt und einer der bekanntesten libel-Spezialisten gewesen und hatte Lord Aldington in seinem Verfahren gegen Tolstoy vertreten: Ein im Rückblick unrühmlicher Sieg. Für einen Schauspieler, der von einem Journalisten als "langweilig" bezeichnet worden war, hatte Gray eine Entschädigung von 50.000 Pfund erstritten. Richard Rampton, der damals eine schwere Niederlage erlitten hatte, verteidigte nun, ein ganzes Team hervorragender Spezialisten hinter sich, Deborah Lipstadt und den Penguin Verlag.

Für sie alle war Nikolai Tolstoy ein warnendes Menetekel. Nikolai Tolstoy bleibt ein ewiges Beispiel dafür, wie man mit der Wahrheit untergehen kann. Und dass einem dies vor einem englischen Gericht besonders leicht widerfährt. Im Mai 1945 hatten die Briten in Kärnten insgesamt 70.000 von ihnen hinter den deutschen Linien gefangen genommene Russen, darunter viele Frauen und Kinder, den Sowjets ausgeliefert. Ein großer Teil davon hätte aufgrund der internationalen Verträge keinesfalls ausgeliefert werden dürfen. Sie hatten aber keine Chance. Das britische fünfte Korps lud sie auf Lastwagen, die sie angeblich nach Italien bringen sollten, und übergab sie den Sowjets, welche den Großteil der Gefangenen sofort erschossen.

Tolstoy, der in den achtziger Jahren mehrere Bücher und Artikel darüber geschrieben hatte, beschuldigte Lord Aldington, den damaligen Kommandanten des fünften Korps der achten britischen Armee, eines Kriegsverbrechens: Er habe die Befehle seiner Vorgesetzten missachtet, diese 70.000 Menschen ins Hinterland der von den Briten besetzten Gebiete zu transportieren, wo hätte geklärt werden können, wer zu übergeben war und wer nicht. Lord Aldington klagte 1989 Tolstoy wegen Verleumdung und bekam nach 41 Verhandlungstagen, in denen 39 Zeugen gehört wurden, Recht. Eine aus zwölf Laienrichtern bestehende Jury sprach ihm die damalige Rekordsumme von 1,5 Millionen Pfund Entschädigung zu. Da die Prozesskosten dazukamen, war Tolstoy buchstäblich vernichtet.

Als die Beweisdokumente gegen Aldington ans Licht kamen, war es für eine neue Aufrollung des Falles zu spät. Jahre später wies der Autor Ian Mitchell nach, dass die im Besitz des Verteidigungsministeriums befindlichen Dokumente keineswegs zufällig verschwunden waren, sondern "eine Lord-Hand die andere gewaschen" hatte. Mitchell fand keinen englischen Verlag, die britischen Zeitungen wagten das im Eigenverlag publizierte Werk nicht zu rezensieren und die Buchhandlungen hüteten sich, es in ihr Sortiment aufzunehmen. Lord Aldington lebte noch und 1,5 Millionen Pfund Schadenersatz schwebten wie ein Damoklesschwert über ihnen. Offenbar kann das Recht in einer Demokratie eine nicht weniger scharfe Waffe gegen Kritiker darstellen als die Zensur in einem Obrigkeitsstaat.

Abgelehnter Vergleich Die amerikanische Autorin und der Penguin-Verlag hatten also überhaupt nur dann eine Chance, wenn sie die besten libel-Spezialisten heranzogen. Die aber sind Mangelware und entsprechend teuer. Aus diesem Grund führen kaum zehn Prozent aller in England wegen Ehrenbeleidigung angestrengten Verfahren tatsächlich zum Prozess. 90 Prozent der Betroffenen lassen sich schnellstens zu einem Vergleich herbei. Auch David Irving rechnete kaum mit einem Prozess. Schließlich hatten sich bereits mehrere Zeitungen mit ihm verglichen. Auch Deborah Lipstadt und Penguin Books hatte er ein Vergleichsangebot gemacht: Sie sollten 500 Pfund für eine wohltätige Institution spenden und sich schriftlich bei ihm entschuldigen, und er würde die Sache fallen lassen. Jeder englische libel-Erfahrene hätte dieses Angebot mit Freuden angenommen.

"Perverse Annahme" Doch diesmal hatte sich Irving verkalkuliert. Seine Gegnerin hatte in einer Fund-raising-Aktion, bei der auch der Filmregisseur Steven Spielberg einen Teil ihres Risikos übernahm, die notwendigen Mittel aufgebracht. Trotzdem hätte Irving vielleicht gewonnen, hätte er nicht in seiner grenzenlosen Verblendung voll auf sein Rednertalent vertraut, mit dem er in rechtsradikalen und nazistischen Versammlungen so gut ankommt. Denn eine grundlegende Strategie der Kläger-Anwälte in libel-Prozessen besteht darin, mit Zeugenaussagen, Kreuzverhören und immer neuen Beweisen die zwölf Geschworenen immer mehr zu verwirren, bis sie sich überhaupt nicht mehr auskennen. Vorsitzender Charles Gray behielt aber als ehemaliger mit allen Wassern gewaschener Anwalt stets den Überblick. Auch sein trauriger Sieg über den Grafen Tolstoy mag ihm noch in den Knochen gelegen sein. "Vielen Dank," sagt der wortkarge Gray nach einem Tag voll unsäglicher Irving-Äußerungen zu diesem, "Sie haben Ihren Standpunkt sehr präzise klar gemacht."

Übrigens sammelt Irving auch Gutpunkte. Tatsächlich erwies er als Autodidakt großen Spürsinn beim Aufstöbern wichtiger zeitgeschichtlicher Dokumente, hat ein gewaltiges, stets verfügbares Faktenwissen und mehrere Historiker bescheinigen ihm im Zeugenstand beachtliche Verdienste um die Forschung. Der greise Militärhistoriker John Keegan hat "Hitlers Krieg" übers Wochenende noch einmal gelesen und meint, nachdem er zuvor kühl betont hat, Irving nicht zu kennen und nie mit ihm gesprochen zu haben, das Buch sei "zu bewundern und Anfängern zu empfehlen", weil Irving als Erster die militärischen Entscheidungsabläufe auf deutscher Seite durchleuchtet habe. Deshalb nehme er ihm aber nicht die Theorie ab, dass Hitler nichts von der Endlösung gewusst habe: "Ich denke weiterhin, dass diese Ihre Annahme pervers ist."

Wer seine frühen Publikationen kennt, kann den traurigen Weg vom frühen Irving, der dem ehemaligen Kriegsgegner Deutschland Fairness angedeihen ließ, zu immer mehr und mehr Fairness und schließlich zu einem völlig von Rechtsradikalen und Neonazis vereinnahmten Irving nachvollziehen. Er ließ sich freilich nur zu gerne vereinnahmen.

Eines von vielen Beispielen dafür, wie Irving lügt und Zitate verfälscht: Der aus Berlin in den Osten gekabelte Satz "Die Massenerschießungen haben sofort aufzuhören" dient ihm als Beweis dafür, dass man, Buchzitat Menasse, "ganz oben, also in Berlin, den Juden nichts zuleide tun wollte". Er hat bloß, auch in Österreich kennen wir ja ein glorreiches Beispiel für diese Zitiermethode, unterschlagen, wie der Satz weiterging: "... das soll in Zukunft vorsichtiger gemacht werden."

Es war ein Prozess der juristischen und rhetorischen Subtilitäten und zugleich ein Prozess entsetzlicher Taktlosigkeiten und Unappetitlichkeiten. Für die Subtilitäten sorgten das britische Verfahren und die Juristen, für die Taktlosigkeiten und Unappetitlichkeiten der Kläger. Die Leichenzählungen, zu denen Irving das Gericht zwang, die endlosen Debatten, wieviele Körper die Aufzüge pro Stunde zu den Öfen befördern konnten, wieviele Tote man in wievielen Stunden verbrennen konnte, widerten Gericht und Auditorium an. Er und die Neonazis wollen beweisen, dass Auschwitz rein rechnerisch technisch unmöglich war. Doch diese Milchmädchenrechnung erwies sich ein weiteres Mal als falsch.

Er überlasse, meinte der nunmehr bankrotte Irving, seine teure Wohnung in Mayfair ohne Bedauern der Bank, denn auch in dieser Gegend wohnten längst zu viele Dunkelhäutige.

Der Holocaust vor Gericht - der Prozess um David Irving Von Eva Menasse, Siedler Verlag, Berlin 2000, 192 Seiten, geb., öS 218,-/e 15,84

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