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Wie ich es sehe

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Ich reise nicht als ein Tourist durch die Welt.

Meine Reisen haben einen politischen Zweck. Auch dieser Besuch in Österreich galt nicht nur dem Studium dieses kleinen und für die Weltpolitik kaum sehr bedeutenden Landes. Das besorgen meine Experten, deren gründliche Berichte mich auf dem laufenden halten. Aber ich habe zur Zeit die verschiedenen Tribünen eines solchen Staatsbesuches im neutralen Ausland verwendet, um zu Adressaten und Hörern in anderen Ländern zu sprechen. Die Journalisten aus den westlichen Staaten standen ja in Rudeln um mich herum und schrieben jedes Wort mit. Eine ganz possierlich Bande übrigens: manchmal etwas naiv, wenn sie mich ausgerechnet in Linz fragen, was es mit den parteipolitischen, Differenzen in der Sowjetunion auf sich hat . ]. gerade das werde ich ihnen auf die Nase binden. Oder wie wir uns zum Südtirolproblem stellen ... das weiß zur Stunde noch nicht einmal der wackere Genosse Togliatti, der mich kurz vor meiner Österreichreise in Moskau besuchte. Ganz lustige Burschen auch die österreichischen Journalisten. Sie haben mir eine Publicity gegeben — so nenrien das die Amerikaner ja wohl —, die meine langweiligen Parteichinesen zu Hause nicht und nicht zusammenbringen. Der Adschubej soll etwas von ihnen lernen. Die ausländischen Politiker, denen ich von Österreich aus etwas begreiflich machen wollte, haben es ja wohl vernommen. Ich war laut und deutlich genug. Vor allem habe ich es auch oft genug wiederholt: daß die Amerikaner von einer wildgewordenen Soldateska beherrscht werden ... das'habe ich ihnen von der Burg der alten österreichischen Kaiser aus auf russisch und dann sogar noch deutsch übersetzt erklärt. Daß Adenauer eine Art Nachfolger Hitlers ist ... das habe ich ihm von Mauthausen aus versiert. Daß die Großdeutschen in der Bonner Republik immer noch an den Anschluß und die Auslöschung Österreichs denken ... das habe ich gerade den Salzburgem in der Residenz ihrer alten Fürstbischöfe klargemacht. Daß sich auch andere Völker an der Neutralität Österreichs ein Beispiel nehmen sollen, das haben sie ja wohl alle zur Kenntnis genommen,'für die es bestimmt war: die Deutschen, die Japaner und wer sonst noch Lust hatte, zuzuhören., sDas Glockenläuten kann sich der Ärmsie im Dorf in die Stube kommen lassen, wenn er das Fenster aufmacht“, heißt ein altes russisches Sprichwort. In meiner Jugend hörte ich es oft, als noch die Glocken über den Dörfern läuteten. Und richtig ist es auch heute geblieben. *

Ja, aber: die Österreicher. Ich kenne sie ja nicht erst seit heute. Den Raab, den Pittermann, den Figl, den Kreisky habe ich ja schon bei den Verhandlungen in Moskau gesprochen. Auch den Karl Karlowitsch Waldbrunner, der ja sogar einmal ein paar Jahre bei uns gearbeitet hat. Und doch: ich bin aus ihnen nicht ganz klug geworden. Nicht, daß ich an den Gesetzen des Marxismus-Leninismus zweifeln würde. Der Marxismus ist allmächtig, weil er wahr ist, und der Untergang des Kapitalismus ist unaufhaltsam, weil ihn seine eigenen Gesetze zum Untergang zwingen. Der Klassenkampf macht auch vor diesem Land nicht halt. Aber es war doch etwas merkwürdig, als dieser Olah vor mir stand und mit mir diskutierte, nicht so scharf und provokant wie vor einem Jahr die amerikanischen Gewerkschafter, aber mit einem verdammten Selbstbewußtsein. Daß er ein Arbeiter ist, kann niemand bestreiten, der ihn sieht. Daß er die Interessen seiner Klasse vertritt, haben mir alle bestätigt. Daß er und seine Leute etwas erreicht haben: man sieht es, wenn man durch Wien fährt. Und doch glaubt er, daß das nur in der Zusammenarbeit möglich war, nimmt er das Wort, ,Koexistenz“ in den Mund, wenn er von den Verhältnissen in seinem eigenen Land spricht. Ich glaube nicht, daß sein Selbstbewußtsein und seine Gelassenheit gespielt waren. Ich habe da sthon einen Blick dafür. Natürlich sind die Soz alisten dümmer als die Kapitalisten. Die haben wenigstens begriffen, was der Konkurrenzkampf bedeutet. Der eine oder der andere wird mich schon verstanden haben, als ich ihnen klarmachte, daß Österreichs bester und sicherster Handelspartner im Osten sitzt, daß die kapitalistischen Großmächte, des Westens trotz aller schönen Reden die Waren des kleinen Österreich niederkonkurrieren werden .. . weil sie es müssen, weil sie gar nicht anders können. Die Sozialisten sehen das nicht so genau. Sie sind schlechte Marxisten .. . früher waren sie besser in Österreich. Aber irgend etwas ist doch mit ihnen los. Vor allem mit denen im Gewerkschaftsbund.

Und dann der Raab. Mir war der Mann sympathisch, seit ich ihn kenne. Ich weiß eigentlich nicht, warum: Er ist ein echter Kapitalist — ein kleiner zwar, aber das tut für den Marxismus nur wenig zur Sache. Für den Kommunismus ist er in jeder Hinsicht verloren. Nicht nur, weil er schon zu alt zum Umlernen ist, sondern auch deswegen, weil er von seinen religiösen Vorurteilen niemals loskommen wird. Ein so gescheiter, schlauer, humorvoller Mann, dieser Raab. Aber.es gibt Punkte in seinem Denken, die mir immer ein Rätsel bleiben werden. Ein Realist, dem keiner etwas vormachen kann, und er glaubt an Gott, sogar an den römischen Papst. Je mehr ich es mir überlege, desto mehr bezweifle idi, ob er überhaupt ein richtiger Kapitalist ist: so einer, wie er eigentlich sein muß: auf den, ,Klassenkampf von oben“ bedacht, eiskalt, brutal. Neben seinem Glauben scheint es da noch etwas anderes zu geben, das sein Handeln stärker bestimmt als aller Kapita-Iismus .... „Österreich“ nennt er es. Übrigens dasselbe Wort, das auch Olah mit großem Ernst eebraucht hat. Aber kann es das geben? Können der kapitalistische Unternehmer und der sozialistische Gewerkschaftsführer wirklich ein gemeinsames Vaterland haben? Ist das nicht doch nur eine Phrase, ein Potemkinsches Dorf, für mich, den Gast aus einer fremden Welt, aufgebaut? Ich habe erfahren, daß wenige Tage vor meinem Eintreffen die Koalitionsregierung wieder einmal auseinanderzubrechen drohte an ihren unüberbrückbaren Klassengegensätzen. Aber „Nein“ war nicht das letzte Wort, sagte mir der Vizekanzler Pittermann in Linz. „Nein“ ist bei diesen merkwürdigen Österreichern anscheinend nie das letzte Wort.

Und dann der Figl. Ich hab' ihn wirklich gern. Und dabei sagt er es mir immer wieder ganz offen hinein: daß er kein Kommunist ist und nie einer sein wird. Zweimal habe ich diesen Mann gesehen, jedesmal von einer verschiedenen Seite, und immer wieder hat er mir irgendwie imponiert. Da waren wir auf seinem Bauernhof. Eine Kulakenfamilie sind die Figls, hartgesottene Kapitalisten seit vielen Generationen. Zu Tausenden haben wir solche Leute liquidiert, als wir die Landwirtschaft kollektivierten. Und da sitze ich plötzlich auf so einem Kulakenhof: Ein Kruzifix hängt natürlich auch dort. Und der Figl spricht auch noch davon: von der Bauernfreiheit, die auf dem Eigentum beruht, bekennt sich zu einer Lebensform, deren Ende ich selbst in den nächsten Jahrzehnten schon auf der ganzen Welt erhoffe, nein, mit Sicherheit kommen sehe. Nicht allzu weit vom Figl-Hof entfernt liegt bereits die tschechoslowakische Volksdemokratie. Sie wird schon in ein paar Jahren ein rein kommunistischer Staat sein. Keinen einzigen selbständigen Bauernhof wird es mehr geben. Aber den Figl scheint das nicht zu stören. Er ist davon überzeugt, daß noch seine Nachkommen hier sitzen und arbeiten werden, vor allem aber, daß er seine Wette um eine Sau gewinnen wird, die er mit mir abgeschlossen hat, weil er an meine Maiszuchtmethoden nicht glaubt. Kukuruz nennt er ihn. Aber davon verstehe ich eben do.ch mehr als die Österreicher. Einen Tag später-, steht derselbe Figl vor mir auf dem Appellplatz von Mauthausen. Um ihn herum stehen Hunderte und Hunderte andere. Antifaschisten, Opfer der Hitler-Verfolgung, die hier für ihre Überzeugung namenloses Leid erdulden mußten. Gewiß: auch Kommunisten unter ihnen. Aber die anderen, zu denen Figl gehörte? Waren sie nicht ebensolche Gegner des Kommunismus wie des Nazismus? Sind sie es nicht noch? Wieder ein Stück Österreich, das nicht ganz in meine Berechnungen paßt. Die Kommunisten hier im Lande werden es mir bestimmt genau erklären, dialektisch auseinandersetzen können. Ich schäme mich natürlich nicht, zu ihnen zu gehören, obwohl Herr Pittermann höhnisch sagte, daß sie die kleinste Parte: des Landes seien. Aber irgendeinen Grund muß es ja doch haben, daß sie hier in diesem Österreich weder in den zehn Jahren, da wir zu den Herren des Landes gehörten, noch in den fünf Jahren darnach anwuchsen, daß sie verloren haben und verlieren von Wahl zu Wahl. Und daß die Menschen diese anderen wählen: den Raab, den Figl, den Olah, den Pittermann .. .

Überhaupt die Menschen hier. Ich habe sie mir schon genauer angesehen, als es vielleicht den Anschein hatte. Ich habe nach ein paar Tagen die immer wiederkehrenden Spaliersteher,Fähnchenschwenker und Jubler erkannt. Die braven Genossen, die. ihr möglichstes tun. Und ich habe gemerkt, daß hinter ihnen keine Massen standen. Ich habe mich auch bemüht, hinter die in der Mehrzahl freundlichen Gesichter der anderen zu schauen, etwas von dem zu erkennen, was in den Köpfen und Herzen der Österreicher vorgeht. Ich habe gehört, daß die Kirche aufgefordert hat, bei meinem Besuch Zurückhaltung zu üben und in eigenen Gebetsstunden der sogenannten ..schweigenden“ Kirche in den1 Ländern der Volksdemokratie zu gedenken. Die Zurückhaltung war deutlich zu spüren. Aber die kleinen Leute: das stimmt, sie liefen vor mir weder davon noch liefen sie mir nach. Sie sahen mich recht unbefangen an. da und dort empfing ich einen finsteren Blick offener Feindschaft, da und dort aber auch das, überhöfliche Grinsen eines verächtlichen An-'f biederers. Für gewöhnlich war er an -einem!1* Smoking zu erkennen .. . Meine Reise ist noch nicht zu Ende. Aber ganz klug bin ich aus diesem Land nicht geworden.

Da ist doch etwas in der Luft, was sich von uns nicht messen läßt. Der Olah, der mir so sicher ins Gesicht hinein widersprach, der. Raab, der mich höflich in die Burg geleitete, als ich bei der Österreichisch-Sowjetischen Gesellschaft sprach, der aber demonstrativ den Beifall 'erweigerte, als ich .über die Amerikaner herzog, der Figl auf dem Bauernhof, der Figl auf dem Appellplatz in Mauthausen . . . und dann die Menschen, die vielen, die da waren, die vielen, die nicht kamen, die vorbeigingen an mir, höflich und gelassen ... auch Minister und Abgeordnete unter ihnen ...

Wie ist das nur mit diesem Land ... Ich muß irgendwo darüber nachlesen. Ich glaube, der letzte marxistische Autor, der über Österreich schrieb, war Stalin. Vor dem ersten Weltkrieg allerdings. Aber vielleicht gibt es Neueres.

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