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Wie ich zu „Karl V.“ kam

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Ernst Krenek empfing mich, den damals Zwanzigjährigen, mit einer distanzierten Liebenswürdigkeit, wie man sie Gleichrangigen entgegenbringt, und die mich daher nicht wenig verwirrte. Zugleich aber bauten vollendete Umgangsformen, die hinter einer sozusagen aristokratischen Berührungsscheu fühlbar wurden, alle Brücken und erleichterten mir meinen Auftritt vollends. In das sehr helle, sehr übersichtliche Arbeitszimmer seines Heimes, draußen, zwischen Lainzerstraße und Hietzinger Hauptstraße, flutete an jenem Märztag des Jahres 1935 das huschende Licht des Vorfrühlingstages mit seinen jagenden Wolken und mit dem Glitzern des letzten Schnees und der Tropfen, die von den Bäumen des kleinen angrenzenden Gartens fielen.

Ohne Umschweife brachte ich meine Bitte vor: Krenek möge mir für die Studentenzeitschrift, die ich damals mit viel Eifer und wenig Erfahrung redigierte, ein paar Zeilen über „Karl V.“ schenken. Manches war durchgesickert über häßliche Szenen während der Proben in der Wiener Staatsoper und über Sänger, die sich geweigert hätten, „Unsingbares“ und „Entartetes“ zu singen. Unsere Empörung darüber war nicht gering, und wenigstens wir Studenten wollten uns öffentlich zu Ernst Krenek und zu seinem Werk bekennen.

Während ich sprach, trat mehrmals, aber nur für Sekunden, in Kreneks Augen jenes fast erschreckende, blicklose Aufglänzen, das seinem Gesicht einen Ausdruck gespannten innerlichen Horchens verlieh pnd das ich sofort wiedererkannte, als ich ihm, dem Heimgekehrten, nach vielen Jahren noch einmal begegnen durfte.

Ernst Krenek nickte. Er werde schreiben, ich möge mich gedulden. Zwei Tage später brachte mir die Post ein Manuskript. Es enthielt die Antwort auf die rhetorisch gestellte Frage „Wie ich zu Karl V. kam“.

ERICH THANNER

„Da ich den meiste.i Menschen fast nur als Verfasser der Oper ,Jonny spielt auf“ bekannt bin, jenes Werkes, das durch eine Verkettung von lächerlichen und ärgerlichen Mißverständnissen ebenso berühmt wie berüchtigt geworden ist, hat man vielfach nicht daran geglaubt, daß Ich mich der dramatischen Gestaltung der Geschichte Karls V. aus innerer Notwendigkeit zugewendet habe. Man hat sogar vermutet, mein ,Karl V. sei das Produkt eines besonders wendigen Konjunktursinnes, der mich im gegebenen Augenblick zur Abfassung eines .vaterländischen Stückes veranlaßt habe. Ein einziger Blick auf das Werk könnte die Unhaltbarkeit einer solchen Vermutung erweisen: Hätte ich wirklich etwas Derartiges im Sinn gehabt, warum war ich dann nicht ,klug" genug gewesen, bei der Komposition einen musikalischen Stil zu vermeiden, der wegen seiner .Modernität" das wesentliche Hindernis für die Aufführung meines Bühnenwerkes bildet! Einem halbwegs tüchtigen Konjunkturjäger muß man doch gewiß zutrauen, daß er sieh nach Belieben der gerade gewünschten Ausdrucksmittel bedienen wird. Aber abgesehen davon, ist schon die Entstehungszeit Beweis genug: Als ich 1931 an die Ausarbeitung des mir schon seit Jahren vorschwebenden Planes ging, war von einer vaterländisch-österreichischen .Konjunktur" noch weit und breit keine Rede. Am 24. Mai des Jahres 1933 setzte ich den Schlußstrich unter die Partitur des längst vorher vollendeten Werkes.

Soviel zu den äußeren Zusammenhängen. Wer sich die Mühe nehmen wollte, meinem gesamten Schaffen ein wenig Aufmerksamkeit zu widmen und im ,Jonny" nicht bloß ein leeres Spektakelstück zu sehen, wozu sich die meisten Beurteiler durch ein paar Äußerlichkeiten verleiten ließen, würde sehr bald auch innere Zusammenhänge entdecken. Umsonst habe ich mich vom ersten Tag an bemüht, zu zeigen, daß es mir in ,Jonny spielt auf nicht auf die Verherrlichung des amerikanischen Jazz-Wesens ankam, sondern auf die Darstellung der tragischen Situation der europäischen Kultur, deren schöpferischen Kräfte, von ihrer eigenen Problematik paralysiert, dem skrupellosen Ansturm einer vehementen Vitalität ausgesetzt sind. Das ist das eigentliche, von oberflächlichen und gehässigen Menschen verkannte und beiseite geschobene Hauptproblem von ,Jonny spielt auf .

Was mich an der Figur Karls V. seit jeher anzog, bevor ich noch Einblick in die konkreten, historisch-politischen Probleme seiner Geschichte gewonnen hatte, war der geheimnisvoll passive Zug des großen Kaisers.

In ihm war jenes tragische Moment der Lethargie vorhanden, das mich stets auch an den Figuren Grillparzers so sympathisch berührt hatte, als eines unvergleichlich Menschlicheren und Wahrhafteren als die simpel zupackende Vitalität des .tumben" Helden. Nicht die Ohnmacht der Unfähigkeit und Bedeu tungslosigkeit war hier zu sehen, sondern die scheinbare Passivität der tiefsten Weisheit eines, dessen Geist noch höher stand als selbst die ungeheure Macht, die sich in seiner Hand vereinigte, eines, der gerade von dem überragenden Gipfel, den er erreicht hatte die .vanitäs vani- tatum klarer als alle überblickte. War aber diese Haltung, die nach außen hin so leicht als Entschlußunfähigkeit, Schwäche und Kompro-

mißlertum aussah und auch so gedeutet wurde, nicht etwas typisch Europäisches und Katholisches, damit auch österreichisches? Mußte nicht ein edler Geist, der sich an den Leitsternen des Göttlichen orientierte, über die irdischen Dinge erhaben, schließlich auch die Fülle der Macht in unendlich verkleinertem Maßstab erblicken und als der Mühe des müden Herzens unwert von sich abtun, um nur noch der Betrachtung des Ewigen zu leben?

Je mehr ich mich indessen in die

Geschichte Karls V. vertiefte, um so mehr drängte sich mir freilich das Problem auf, ob gerade der christliche Herrscher auf sein Amt verzichten durfte. Die Macht, die er trug, war nicht bloß ein menschlichpsychologisches Problem, ein grandioses, vom sittlich-religiösen Standpunkt aus eher indifferentes Phänomen, wie etwa die Alexanders des Großen oder Tamerlans. Es war die Macht des .Reiches", der aus dem alten römischen Imperium hervorgegangenen föderativen Universalmonarchie der christlichen Völker des Abendlandes. Seit langer Zeit zum erstenmal und in einem in jeder Hinsicht kritischen Augenblick erster Ordnung war dieses Reich in der Person Karls V. wieder reale Möglichkeit geworden, und ihm war sichtbar aufgetragen, diese in Wirklichkeit zu verwandeln. Durfte er, bevor das Werk vollbracht war, abdizieren? Mußte er nicht bis zum letzten Schein einer Chance weiterkämpfen? Dieser Einblick in die unvergleichliche Werthaftigkeit dessen, was Karl V. zu vertreten hatte: die römische, übernationale Reichsidee — ließ in mir den Einfall reifen, zum eigentlichen Thema des Werkes die Frage der Rechtfertigung des Kaisers vor der Geschichte, unej da der Geschichte hier ein ganz bestimmter, nämlich christlich - heilsgeschichtlicher Sinn unterlegt war, auch vor

dein Gericht Gottes zu machen. So spielt sich das eigentliche Drama im Vordergrund ab, als Diskussion Karls V. mit seinem jungen Beichtiger, später auch mit dem Jesuitengeneral Francisco Borgia, während die wichtigsten Szenen aus dem Leben des Kaisers auf einem zweiten Plan erscheinen, von ihm als Erinnerungen und Beweisstücke zu seiner Rechtfertigung herauf beschworen.

Bezeichnenderweise ist ,Jonny spielt auf , welches Stück mir den Ruf eines .Kulturbolschewiken eingetragen hat, in einem musikalischen Stil komponiert, der vergleichsweise mit der in ,Karl V.' erreichten Entwicklungsstufe durchaus gemäßigt genannt werden kann. Daß ich gerade bei dem Thema ,Karl V." zu dieser .radikalen Schreibweise gelangt bin, ist kein Zufall. Ich halte es für selbstverständlich, daß zu einem Buch, welches die letzten Dinge in die dramatische Gestaltung einzubeziehen sucht, auch eine Musik gehört, die mit sich selbst und den tiefsten Konsequenzen ihrer eigenen Geschichte ernst macht. Da es sich bei .Karl V." nicht um ein romantisierendes Kostümdrama handelt, das die Vergangenheit als ein durch Entfernung verklärtes Refugium behandelt, sondern um ein Werk, das die Geschichte aus dem Gesichtswinkel der Konsequenzen betrachtet, die sich aus ihr für die Gegenwart ergaben, muß auch die Musik eine Sprache sprechen, die unserer Zeit angehört.“

Kreneks „Karl V." wurde in Wien, für dessen Staatsoper das Werk geschrieben worden war, nicht aufgeführt. Die österreichische Premiere fand im Rahmen des „Steirischen Herbstes“ in Graz statt. „Die Furche“ hat darüber ausführlich in ihrer 45. Folge berichtet.

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