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Wie lebt Triest?

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Wenn man in der Gegenwart nach Triest eine Reise unternimmt und, gleichviel welcher Nationalität, einmal dort daheim war, so bricht die Adria-stadt und ihr Hafen ihr irgendwie beklemmendes Schweigen. Sonst stumme Zeugen einstiger Prosperität führen eine beredte, legendäre Sprache, jenseits von Gut und Böse der Tagespolitik.

Im Hafen ist das Leben eine schwankende Größe geworden. Ziffern und Zahlen allein schaffen keine Klarheit. Plötzliche Rückschläge im Güterumschlag sind an der Tagesordnung, wohl durch die oftmaligen Arbeitsniederlegungen und Streiks der Hafenarbeiter mitbedingt. Die Gegenwartslage Triests, im nationalen Leben als ständige Krise empfunden, beschäftigt die großen Zeitungen des Landes in laufenden Artikelserien. Sie wird untersucht, dieses und jenes bemängelt, Vorschläge werden an die römische Regierung gerichtet, Pessimismus und Optimismus werden gleicherweise gerügt. Das hindert aber nicht, daß die Tendenz alteingesessener Großunternehmen der Triester Wirtschaft, allen voran die Versicherungsgesellschaften, ihre Zentralen und Direktionen nach Mailand oder nach anderen Städten Italiens zu verlegen, ungemindert anhält. Eine Tatsache, die an sich genügt, die im Lauf der letzten Jahrzehnte bereits schwer in Anspruch genommene psychische Sensibilität der Triestiner in einen fast chronischen Alarmzustand zu versetzen. Selbst die unter allen Triester Industrien den berechtigten Stolz der Stadt ausmachenden Schiffswerften kommen nicht mehr recht zum Zuge, vor allem weil sie teurer arbeiten als der übrige Schiffsweltmarkt, nicht zuletzt deshalb, weil die auf Triester und überhaupt italienischen Werften gebauten Schiffe einrichtungsmäßig künstlerisch geschmackvoll und daher kostspieliger sind.

Das Stadtleben selbst offenbart beim ersten Blick nichts von einer schleichenden Krise — ganz im Gegenteil. Die „trattorie“ und „ristoranti“ sind mittags und abends gesteckt voll; der Triestiner weiß ein reichliches und gutes Essen zu schätzen. Die „Bars“ — unseren Espressi entsprechend — sind jederzeit von anscheinend beschaulich-müßiggängerischen Männern überfüllt, die dem Kartenspiel oder anderen, „verbotenen“ Spielen (Mora) frönen -oder in stummer Andacht ihre Augen auf den Bildschirmen des unerläßlichen Fernsehapparates geheftet halten. Man weiß nicht recht: weil es ihnen zu gut geht oder weil sie arbeitslos geworden sind.

Das Leben ist in Triest alles andere als billig — selbst das gute Gemüse kostet am Standlmarkt, kaum zu glauben, mehr als in Wien. In den Geschäften ist ein Preisnachlaß für Großeinkäufer daher eine Selbstverständlichkeit geworden. Am schlimmsten sieht es auf dem Wohnungsmarkt aus. Wohnungen, vor allem in Neubauten, kann man sich nach Herzenslust aussuchen — aber zu welchem Preis I Meist Eigentumswohnungen im sogenannten Condominium, wobei der Mieter nicht immer auch der Eigentümer der Wohnung ist. Neubauwohnungen kosten mehr oder weniger soviel wie in Wien. Arg sind aber die Verhältnisse der Altwohnungen, die zwar noch nicht ganz ,,sbloccati“ sind, das heißt immer noch unter Mieterschutz stehen, aber in prozentueller Progression von Jahr zu Jahr teurer werden. Meist ist der Vorgang folgender: Ein Haus aus Urgroß-mutters Zeiten erhält, statt des bisherigen Hausbesorgers, eine automatisch-elektrische Toröffnungsanlage — in besseren Häusern mit Sprechanlage — und die Wohnungen werden einzeln an den Mann gebracht. Meist von Spekulanten aufgekauft, um dann zu schier unglaublichen Preisen, nach einigen Renovierungen weiterverkauft zu werden. Die monatlichen Mieten für eine derartige, oft recht düstere Vierzimmerwohnung (ohne Bad) betragen an die 1200 bis 1500 Schilling. Will der Hauptmieter einige Zimmer vermieten, so muß er sich die Erlaubnis der Polizei und des Hauseigentümers einholen und 40 bis 50 Prozent an den letzteren abliefern, so daß die Hauptmiete entsprechend hoch ansteigt. Also für den Hauptmieter kein leichtes gutes Geschäft!

Und all dies zwielichtige, von mannigfachen Faktoren beeinflußte und schwer überschaubare Dasein der Adriastadt, deren Industriehafen sich redlich bemüht, durch steuerliche und sonstige Erleichterungen (Kredite) ausländisches Unternehmerkapital nach Triest zu ziehen, hüllt sich in eine Wolke von Gerüchten gegensätzlichster Art. Die einen — sie sind wohl die Mehrzahl — sehen unausgesetzt den Schatten Titos vor sich und fragen sich, wie lange es wohl noch dauern werde, ehe Triest entweder sloweni-siert werde, weil man den slowenischen Minderheiten allzusehr entgegenkomme, oder gar Jugoslawien ganz ausgeliefert würde. Dieses Gerücht will es wahrhaben, daß im Jahre 1964, also zehn Jahre nach Abschluß des Londoner Verständigungs-Memorandums zwischen Italien und Jugoslawien über die Aufteilung des ehemaligen Triester Freiterritoriums, Triest und sein Gebiet für zehn Jahre von Jugoslawien verwaltet werden soll. Und zwar auf Grund einer schon berüchtigten angeblichen „Geheimklausel“ obigen Memorandums, sozusagen auf „Probe“, denn abwechselnd sollte dann wieder Italien die Verwaltung für zehn Jahre übernehmen.

Der Mann auf der Straße in Gestalt eines Taxichauffeurs der älteren Generation schwor Stein und Bein, daß Italien demnächst die Verwaltung Triests an Österreich wieder abtreten werde, denn das wäre der natürliche Lauf der Dinge — anders ließe sich die Zukunft des Triester Hafens einfach nicht denken. Dieser fromme Wunsch wurde von der Besitzerin eines großen Blumenladens, eine durchaus italienisch gesinnte, brave Bürgersfrau, dahingehend unterbaut, daß die Amerikaner schon seit längerem zu der Einsicht gekommen seien, daß Österreich früher oder später nach Triest zurückkehren müsse. Nun war es bekanntlich die einstige amerikanische Botschafterin in Rom, Boothe-Luce, die als geistig-diplomatische Patin der Auflösung des Triester Freistaates und der Rückgabe Triests an Italien in Erscheinung getreten war. Ein älterer Triester, einstiger „Irredentist“, erklärte offenmütig, das einzige, was die Triestiner seinerzeit von Österreich fordern konnten, sei eine eigene Universität gewesen — alles andere hätten sie schon ohnehin bereits besessen.

Daß nationale Überempfindsamkeiten in Triest anderseits seltsame Blüten treiben, mag daraus erhellen, daß anläßlich des Ablebens eines wohlverdienten Arztes die Tatsache, daß er einst als Schiffsarzt der ehemaligen österreichisch-ungarischen Kriegsmarine gedient hatte, aus der Todesanzeige lieber fortzulassen angeraten wurde. Es verblieb lediglich die Andeutung einer Kriegsmarine schlechthin ...

Eine gewisse Unruhe findet in Triest nur allzuleicht einen konstanten Nährboden. Sie äußerte sich sogar in gelegentlichen terroristischen Bombenanschlägen. Erst kürzlich kam es zu einem Anschlag auf die Wohnung des Triester Exponenten der Widerstandsbewegung, Prof. S c h i f f r e r, der erfreulicherweise glimpflich ausging. Die dafür verantwortliche neofaschistische Jugendbande, als Karsthöhlenforschftr getarnt, konnte verhaftet werden. Weniger gut kam ein Obusschaffner davon, als ein neben ihm sitzender Jugendlicher auf den makabren Einfall kam, auf die Frage des Schaffners, was er denn alles in seiner Schultasche habe, die kaltschnäuzige Antwort zu geben: „Eine Bombe natürlich.“ Kein Wunder, daß der Busführer mit einem schweren Nervenschock in die Psychiatrische eingeliefert werden mußte.

In diesem Klima wird trotz alledem ernstlich geplant und gearbeitet. Ende März fanden in der Triester Handelskammer Besprechungen des „Kontaktkomitees Österreich-Triest der Bundeswirtschaftskammer“ statt, an denen maßgebliche Persönlichkeiten des Triester Wirtschaftslebens, amtliche Vertreter Österreichs, vor allem der Bundesländer Kärnten, Steiermark und Salzburg teilnahmen. Hauptthema war die Frage der Straßenverbindungen zwischen Österreich und Triest. Dem Projekt einer „Pipeline“ von Triest nach Österreich wurde von der Triester und der österreichischen Delegation größtes Interesse entgegengebracht, in Anbetracht der billigen Transportkosten.

Stets aktuell bleibt die Frage des Wettbewerbs zwischen Triest und anderen Seehäfen sowohl im Süden als auch im Norden Europas im österreichischen Überseeverkehr. Frachtpreisliche Gründe sowie Mangel an raschen Schiffsverbindungen (Liniendienste) — so heißt es — lassen Triest oft in die Hinterhand geraten, trotz der verkehrsgeographisch und kilometrisch günstigeren Lage des Triester Adriahafens. Es sollen im Rahmen dieses Wettbewerbs Fälle vorgekommen sein, in denen Warenbestellungen über einen südlichen Adriahafen bei österreichischen Werken davon abhängig gemacht wurden, daß diese Lieferungen mit Hafen- und Seetransportleistungen im österreichischen Überseeimport bezahlt werden können. Gewiß nicht zugunsten Triests. Unweigerlich steht fest, daß Triest in der gesamten Reisedauer bei Transporten nach den Mittelmeerländern, der Levante und nach den hinter dem Suezkanal liegenden Häfen des Mittleren Ostens sowie Ostafrikas wesentlich günstiger abschneidet als die Nordhäfen. Hier dürften die österreichischen Exporteure, besonders jene der Steiermark und Kärntens, Triest als Umschlagshafen den Vorzug geben. Es sei denn, Gegenaufträge veranlassen den Verlader, den Transport einem Konkurrenzhafen auf der östlichen Seite der Adria zuzuweisen. Ganz entschieden sind ferner Transporte aus wichtigen steirischen Industriegebieten nach den USA via Triest preislich billiger als über Hamburg. Aus Kärnten dürfte sich die Lage noch mehr zugunsten Triests verschieben, sind doch die Bahnentfernungen hier noch geringer als aus der Steiermark.

Der erst kürzlich erfolgte Besuch Vizekanzlers Dr. Pittermann, der vor allem den verstaatlichten Industriebetrieben Triests (Monfalcone) und anderer italienischer Städte galt, diente auch dazu, die Möglichkeiten für eine künftige Ölleitung von der Adria nach Österreich an Ort und Stelle zu besprechen, im Zeichen fortschrittlicher Verkehrsbeziehungen.

Vom Autor erscheint in diesen Tagen ein Buch: „Triest — Schicksal einer Stadt.“

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