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Wie man laufend Jubiläen produziert

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Der vor einem Jahr verstorbene Rainer Leignitz war Slawist, Journalist, Presse- und Kulturrat, Querdenker, Meister ellenlanger Schachtelsätze ... Demnächst erscheint in der Edition Atelier sein Buch „Der Ort wahrer Größe - Millenarisches im Goldenen Tiger zu Prag”. Hier eine Leseprobe.

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Der vor einem Jahr verstorbene Rainer Leignitz war Slawist, Journalist, Presse- und Kulturrat, Querdenker, Meister ellenlanger Schachtelsätze ... Demnächst erscheint in der Edition Atelier sein Buch „Der Ort wahrer Größe - Millenarisches im Goldenen Tiger zu Prag”. Hier eine Leseprobe.

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Mögen sich Wahlplakate, Parteiprogramme, Regierangserklärungen und anderes Werbematerial sowie die zwecks Po-sitivierung der öffentlichen Meinung kraft Verfassungsgesetz eigens zu mehrstündigen Unterhaltungssendungen ausgebauten Wetterberichte des österreichischen Hörfunks und Fernsehens auch noch so sehr um die Propagierung des Zutrauens zu günstigen, hoffnungsfroh stimmenden Prognosen bemühen, der Österreicher läßt sich von solcher Propaganda nicht irremachen, hält an seinem gesundem Instinkt entspringenden Zukunftspessimismus fest, bleibt dabei, hoffnungsfroh sich der Vergangenheit zuzuwenden, je weiter diese zurückliegt, umso sicherer, geborgener, vertrauenserweckender und attraktiver erscheint sie ihm.

Natürlich ist darauf zu achten, daß zum Objekt der jeweiligen Nostalgien ein gewisser Sicherheitsabstand eingehalten wird, die allzu nahe, unmittelbar benachbarte Vergangenheit, die Welt der Eltern, ist nämlich zumeist wenig geheuer, zerklüftet von Generationenkonflikten und Vergangenheitsbewältigungen, erst die Welt der Großväter bietet der wahren Nostalgie wieder Zuflucht und unbeschwerte Gelegenheit zur freien gärtnerischen Gestaltung überwucherter Vergangenheit. So manche als besonders fortschrittlich deklarierte Zukunftsvision, die sich als revolutionär, ökologisch, biologisch oder sonstwie aufrüttelnd ausgibt, ist nur Verkleidung des heimlichen Wunsches, sich eben diese von chiliastischem Schrecken erfüllte Zukunft zu ersparen und in die heile Welt der Großväter zu entfliehen, in der die Menschen auf autolosen Straßen einander hoch grüßten, man mit Holz statt mit Atomstrom heizte und ein Schnitzel noch aus dem Fleisch auf grünen Almwiesen grasender Kühe gewonnen wurde.

Nachschub an Gedenktagen

In diesem ausgeprägten Retrospekti-vitätsbedürfnis, das ihn von westeuropäischer Fortschrittssucht ebenso deutlich unterscheidet wie von östlicher Gegenwartsverhaftung, ist der Österreicher keineswegs allein, sondern seinen mitteleuropäischen Schicksalsgenossen und zum Teil ehemaligen Landsleuten eng verwandt, wo aber etwa der Ungar, auch bei seinen Jubiläen vor allem auf farbenprächtige Grandiosität,

auf die Einmaligkeit des zu feiernden Ereignisses bedacht, es nicht unter der Auffindung eines neuen Attila-Grabes oder wenigstens der Rückkehr der Stefanskrone aus dem Exil macht, wo der Pole, dem nationale Weihefeste ohne ergriffenes Schluchzen der Menge unziemlich dünken, sich hauptsächlich mißglückter Aufstände gegen Russen und Deutsche entsinnt oder der Böhme sich in grimmiger Beharrlichkeit konstant, ohne modische Erweiterungen des Bepertoires an eine Handvoll nach strengsten nationah bewußten Kriterien ausgewählter Landespatrone wie dem Heiligen Wenzel, Kaiser Karl dem Vierten und Meister Jan Hus klammert, dort lechzt des Österreichers entwickelter Theatersinn nach einem abwechslungsreicheren Programm, bewegterer Inszenierung, dichterer Besetzung und aufwendigerem Spektakel.

Die mit der Sicherstellung kontinuierlichen Nachschubs an Gedenktagen betrauten, in dieses umfassende patriotische Bemühungswerk verstrickten österreichischen Institutionen vollbringen wahre Höchstleistungen an Findigkeit und im Ausschöpfen aller nur verfügbaren Reservoirs, spezielle Dienststellen des Bundes, der Bundesländer und der Gemeinden, der kleinsten Marktflecken selbst halten sich, unterstützt und flankiert von Universitätsinstituten, historischen Gesellschaften, li-

terarischen Vereinen und sporadisch auftauchenden Forschungsgrappen, komplette, auf volle Kriegsstärke gebrachte Regimenter von Historikern, Bibliothekaren, Pressereferenten, schreibkundigen Beamten und Friedhofsgärtnern, die mit unermüdlichem Eifer, der anderen Zweigen der öffentlichen Verwaltung als nachahmenswertes Vorbild dienen könnte, Archive und Bibliotheken durchstöbern, in vergriffenen Büchern und alten Zeitungen blättern, von geschäftstüchtigen Witwen stück- und blattweise angebotene Nachlässe durchwühlen, Grabstein um Grabstein entziffern, um nur ja immer neue Gedenktage ausfindig zu machen, welche dann dem ungeduldig neuen sensationellen Enthüllungen aus Österreichs Vergangenheit entgegenfiebernden Publikum

vorgesetzt, gewürdigt, festlich begangen und in den Medien gebührend herausgestellt werden können.

Bei großen, bereits bei vorangegangenen Gelegenheiten hinreichend propagierten Namen ist dies ja weiter kein Kunststück, hier genügen für die Wiederverwertung zu Jubiläumszwecken geringfügige Ad-aptierangen des Lebenslaufes, dessen Ergänzung um einige pikante Skandalgeschichten oder die Andeutung von allerlei insgeheim betriebenen Unziemlichkeiten („XY - wie er wirklich war”), um dem erneut Gefeierten aktuellen Anwert zu verschaffen, wie uns etwa das Mozartjahr 1991 gezeigt hat, welches uns filmgerechte Ausschmückungen der Biographie des Meisters und eine rasante Steigerung des Absatzes der nach ihm benannten Süßwaren bescherte, keine Feuerwehrkapelle, kein Maultrommel-Quartett, keinen Triangel-Solisten von der serienweisen Darbietung der „Kleinen Nachtmusik” aussparte.

Gedenktagenahversorgung

Aber mit solchen Projekten allein, welche auf der Auffrischung der Popularität ohnehin schon populärer Persönlichkeiten basieren, kann, da deren Zahl zwangsläufig begrenzt ist, natürlich nicht das Auslangen gefunden werden.

Die Massenproduktion von Indi-vidualjubilaren, die nach ihrer Entdeckung und erstmaligen Verwendung konserviert, auf Lager gelegt und im Bedarfsfall bei Jährung der jeweiligen Geburts-, Sterbe-, Erst-veröffentlichungs- oder Premieredaten zu neuerlichem Einsatz mühelos wieder abberufen werden können, dient insbesondere der kontinuierlichen, branchenweisen und lokalen Gedenktagenahversorgung, wollen doch sämtliche Berufsgruppen von den Abgasreinigern, Asbestentsor-gern und Aufzugsüberwachern bis zu den Zauberkünstlern, Zeiterfassern und Zitruspressern mit wenigstens einem prominenten Berufskollegen im offiziellen Memorialkatalog vertreten sein (so wie ehedem ihre Vorgänger mit einem speziellen Heiligen im Kirchenkalender),

möchte doch heute keine Streusiedlung darauf verzichten, sich mit wenigstens einem „Großen Sohn der Stadt” im Fremden Verkehrsprospekt auszuweisen.

Weitaus höhere Ansprüche als diese (allerdings gediegene und strapazierfähige) Ronfektionsware stellt freilich die Auswahl von Gedenktagen allgemein historischer, kulturhistorischer und politischer Natur mit ihren landesweiten, ja oft sogar internationalen Auswirkungen, unentbehrlich für die Entfaltung und Pflege der ohnehin nur spärlich entwickelten patriotischen Gefühle.

Welch Unheil allein schon die unbedachte vorzeitige Ausplauderang jubiläumsträchtiger Daten zur Folge haben kann, möge euch, liebe Freunde, ein Vorfall in Graz illustrieren, woselbst vor geraumer Zeit ein junger, unerfahrener und noch nicht zur Übernahme höherer Verantwortung ausreichend frustrierter Amtshistoriker in sträflicher Überschreitung seiner Befugnisse, war er als eben eingestellter Wissenschafts-konzipient der untersten Gehaltsstufe doch lediglich mit der meritorisch unbedenklichen Suche nach mittelalterlichen Sterzrezepten betraut, zur Einschulung sozusagen, zwar unversehens, aber doch unbefugt in einer alten, unbereinigten Schrift auf die Eintragung stieß, wonach ein Traun-gauer Markgraf, ein gewisser Otakar Nummer 3, ein auch sonst hochfahrender und risikofreudiger Mann, sich im Jahre 1156 über die wohlmeinenden Ratschläge besorgter Schwertbrüder und Dienstmannen hinweggesetzt und nicht gescheut habe, das beschauliche, traute Hartberg, seine bisherige Residenz, zu verlassen und in das rauhe, von tausend Gefahren umlauerte Graz zu übersiedeln, die Hauptstadt der Grünen Mark also mutwillig dorthin zu verlegen.

Flächenbrand des Zankes

Statt aber diesen - vertrauenswürdigen beeideten Wissenschaftern längst bekannten, aber zu streng reservater Behandlung überantworte; ten - Achivfund pflichtschuldig der Steiermärkischen Landeskommission für Geschichtsverwertung zwecks Prüfung und allfälliger Autorisation vorzulegen, ließ der Unselige, den freilich bald darauf das gerechte Schicksal in Form einer Versetzung nach Linz ereilte, sich dazu hinreißen, das von ihm aufgedeckte Geheimnis einem ihm bekannten Grazer Gemeinderat anzuvertrauen, der, vom Ehrgeiz gepackt, in einer Debatte über die kommunalen Vergnügungssteuern und deren zweckdienlichen Verbrauch den unbedachten Vorschlag machte, diese Übersiedlung für die Ausrichtung von Festivitäten zu nützen.

Da diese Anregung zufällig auch dem Bürgermeister zu wohlgefälli-

gen Ohren kam, schwebte Unheil über dem Land: Eine überstürzte Realisierung der Idee hätte bewirkt, daß Graz nolens volens gezwungen gewesen wäre, mindestens jedes zehnte, womöglich sogar jedes fünfte Jahr den Aufstieg zur Landeshauptstadt zu feiern, egal, was dies den öffentlichen Säckel kostet, zum regelmäßig von neuem angefachten Ärgernis der anno domini 1156 um ihre Zukunftschancen betrogenen, gedemütigten Hartberger, der Zank hätte sich rasch wie ein Flächenbrand ausgebreitet, die sanftmütigen Stainzer hätten ständig interveniert, die händelsüchtigen Kapfenberger mobilisiert, der Landtag wäre vollends durcheinandergeraten, die Landesregierung vollends aktionsunfähig geworden, der Bund hätte sich wieder einmal eingemischt, die Bundesregierung hätte mit der Ankündigung entschiedener, aber undurchführbarer Maßnahmen die Verwirrung zum Chaos gesteigert, der Staat wäre in seinen Grundfesten erschüttert worden.

Von der Unbesonnenheit, auf den (dazu noch baufälligen) Balkon des Bathauses zu treten und frohlockend das Nahen des Festumzugs „830 Jahre Landeshauptstadt Graz” zu avisieren, hielt die Stadtväter in letzter Minute der Protokollführer dieser bedeutsamen Sitzung, ein ungemein belesener Magistratsbeamter, mit der Warnung ab, man könnte in eine Falle tappen: Im gleichen Jahre 1156, das man zu bejubeln gedenke, sei nach jüngsten Informationen der Historikerkommission nicht allein der steirische Landesherr Otakar von Hartberg nach Graz, sondern ebenso auch der österreichische Herzog Heinrich der Zweite mit dem Beinamen Jasomirgott von Klosterneuburg nach Wien verzogen, das Grazer Jubiläum könnte nun die Wiener darauf aufmerksam machen und veranlassen, eilends ihrerseits mit dem Unternehmen „830 Jahre Bundeshauptstadt Wien” loszupreschen, welches angesichts der leidig bekannten engen Verfilzung zwischen den Wienern und den Bundespolitikern die konzentrierte Unterstützung durch alle Ministerien, das diplomatische Corps, die Vereinten Nationen und den Europarat an sich zöge und sämtliche verfügbaren Gelder beanspruchte, kurzum, das Grazer Jubiläum überschattete und überrollte, klüger wäre es vielmehr, die Wiener vorprellen und alle erschließbaren Finanzquellen anbohren zu lassen, von denen mit den bewährten Methoden des föderalistischen Aufbegehrens schließlich weitaus mehr Mittel in die Steiermark umgeleitet als von Graz im Alleingang errungen werden könnten, eine tiefschürfende Analyse der Situation, welche den Stadtsenat be-wog, die Angelegenheit vorläufig zu vertagen und das Jahr 1156 unter Verschluß zu nehmen.

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