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Wie schafft man sich Freunde?

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Die fragwürdigen Hilfsaktionen für die unterentwickelten Länder Von Dr. J. F. K ö V E R, Zürich

AUF EINE RUNDFRAGE haben fünfzig amerikanische Persönlichkeiten geantwortet, daf die Zusammenarbeit mit den unentwickelter Ländern das wichtigste Wirtschaftsproblem dei kommenden Jahre ist. Sie ist eine moralische Pflicht und ein Gebot der politischen Vernunft. Es fehlt aber an einem gemeinsamen Plan und an der richtigen Methode, weshalb auch die erhoffte politische Wirkung meist ausblieb. Seit einigen Jahren kann auch Sowjetrußland wirtschaftliche Hilfe anbieten. Laut einer Zusammenstellung des State Department hat es dafür in dreieinhalb Jahren 1,9 Milliarden Dollar aufgewendet. Dadurch gelangten die Hilfsaktionen in den Bannkreis der weltpolitischen Rivalitäten.

WANN IST EIGENTLICH EIN LAND UNENTWICKELT? Zwei britische Volkswirtschaf ter1 erachten ein Land als unentwickelt, wenn „Industrie und Landwirtschaft von den wissenschaftlichen Fortschritten nicht ausgiebig Gebrauch machen, die Sparte der Selbstversorgung bedeutend und der Handel gering ist, wenn die Weiterverarbeitungsindustrien eine verhältnismäßig geringe Rolle spielen“. Diese Definition mag volkswirtschaftlich richtig sein — politisch ist sie unzulänglich. Denn es fehlt darin die Erkenntnis, daß hinter den Wirtschaftsvorgängen Menschen stehen. Zweitens gibt es neben der absoluten eine relative Zurückgebliebenheit. Die Weltbank zählt Süditalien zu den unentwickelten Gebieten. Das ist es auch, verglichen mit Norditalien. Wie im nationalen Leben können auch in regionalen Beziehungen Niveauunterschiede fühlbar werden. Es gibt somit drei Ebenen: die nationale, regionale oder universale, auf denen sich die Rückständigkeit eines Gebietes bemerkbar machen kann.

RICHTIGE UND FALSCHE HILFE. „Es ist schwer. Hilflosen zu helfen“, seufzte im Palais de Nations in Genf ein hoher Beamter nach einer Tagung der Welternährungsorganisation (FAO). Viele unentwickelte Nationen wollen nämlich ihre eigenen Wirtschaftspläne duVcSütifi.“ AndeftläarMtfefi T&tföfogtt'Atöe atliBKaiiÄFaclfliurf'iSfia sfe“sHrrwer Zugang lieh. Ihre Wirtschaftspläne weisen oft einen von zwei typischen Denkfehlern auf. Entweder sind die Projekte überdimensioniert oder es steht das Projekt mit dem sozialen und Kulturniveau des Landes nicht in Einklang. Professor Dr. Haberler (Harvard University) hat nachgewiesen, daß eine Wirtschaftsplanung die genaue Kenntnis der sozialen Zustände in einem Lande nicht nur im gegebenen Zeitpunkt verlangt, sondern auch in ihrer gesamten Entwicklung. Nur so kann man die mutmaßlichen Reaktionen eines Volkes in einer unerwarteten Lage, vor neuen Problemen, richtig abschätzen. Die Staatsmänner der unentwickelten Länder (jetzt auch bereits die öffentliche Meinung) behaupten, wie einst John Stuart Mill, daß die Wirtschaft bei einem gesunden Staatsaufbau ihre eigene Dynamik entwickelt. Das mag auf die atlantischen Länder zutreffen, aber in den unentwickelten Ländern ist es anders. Die innerpolitischen Verhältnisse sind dort nämlich meist nur im Gesichtswinkel der eben herrschenden Staatsmänner „die einzig richtigen“.

In fast allen unentwickelten Gebieten sind die politische und die Wirtschaftsordnung eng miteinander verflochten. Der Aufstieg muß also zu einer sozialen Umschichtung führen. Diese aber will nur eine kleine, fortschrittlich gesinnte Minderheit. Die führenden Elemente lehnt sie scharf ab, weil sie ihre Vorrechte weglegen müßte. Die fortschrittliche Minderheit kündigt daher dem westlichen Imperialismus den Kampf an oder sie schlägt den Umweg über den Nationalismus ein. Damit kann sie die Volksmassen in Bewegung setzen. In den Augen der unentwickelten Völker ist nämlich die internationale Arbeitsteilung gleichbedeutend mit einer dauernden Abhängigkeit der Rohstoffländer von den Industrieländern. Um nicht weiter der „schwarze Peter“ der Weltwirtschaft zu sein, wollen sie sich in übersteigertem Tempo industrialisieren. Die einzelnen Sparten der kulturellen und materiellen Entwicklung streben dabei immer mehr auseinander, anstatt sich im Gleichschritt zu entwickeln.

ZWEI IRRTÜMER BELASTEN DIE WESTLICHE HILFE. Es laufen viele Aktionen ohne gemeinsame Planung. Der Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen besitzt eine Liste der mit ihm in Verbindung stehenden internationalen Organisationen. Anfang 1956 gab es deren 283. Die Liste der „Union des Association Internationales“ in Brüssel 2ählt 1116 unabhängige Organisationen auf. Daraus ergeben sich große Wert- und Energieverluste. Zweitens beginnt man erst jetzt zu begreifen, daß unsere fortgeschrittenen Gepflogenheiten im Alltag, unsere wissenschaftlich ersonnenen Arbeitsmethoden den unentwickelten Völkern nicht automatisch mehr Wohlstand bringen müssen.

Ferner versagen die Statistiken bei den unentwickelten Völkern ebenso, wie die Einteilung in feste Kategorien: „Die Wirtschaftstätigkeit von vielen Leuten in den unentwickelten Ländern ist als Beschäftigung in mehreren Erwerbsarten aufzufassen und nicht als Arbeit in einem bestimmten Beruf.“ Bei wenig Fachkenntnis und ohne feste Investitionen können sich die Arbeitskräfte in den unentwickelten Ländern leicht einer anderen Arbeit zuwenden. Auf dieser Wirtschaftsstufe ist eine zu weit gehende Fachschulung viel eher ein seelischer Hemmschuh als ein materieller Vorteil.

Die Hilfsaktionen messen dem bestehenden Wirtschaftsgleichgewicht nicht die nötige Aufmerksamkeit zu. In fast allen unentwickelten Ländern fehlt es an Kapital und an Fachwissen, wogegen ungelernte Arbeit im Uebermaß vorhanden ist. Das Material ist wertvoll — nicht aber die Arbeitsstunde. Daher ist auf jener Wirtschaftsstufe die zeitraubende Umgestaltung von Altmetall zu neuen Gebrauchsgegenständen eine volkswirtschaftlich gesunde Tätigkeit. Auch die immer wieder vorgenommenen Reparaturarbeiten an bereits ganz abgenützten Sachen sind volkswirtschaftlich heute noch vertretbar. Daß dabei die Moschee von Kermanshah aus weggeworfenen Benzinbehältern ein neues Dach erhielt, gehört zu den lustigen Aspekten eines traurigen Kapitels der Gegenwartsbetrachtung. Auch die für uns unbegreifliche Freude am endlosen Feilschen ist volkswirtschaftlich betrachtet nichts anderes als die nutzbringende Verwendung der sonst nicht gut verwertbaren Arbeitszeit und Fachkenntnis. Diese „Unsitten“ werden, wenn auch nur langsam, aber von selbst verschwinden, sobald die Leute lohnendere Ver-dienstmöglichkeiten finden werden. Man sollte hingegen Investitionskapital, technische Kenntnisse und Arbeitskraft nicht als Elemente der Produktion auffassen, die sich gegenseitig schlagartig ersetzen können.

MISSERFOLG BEI RICHTIGEN METHODEN. Hilfsaktionen sollten also Kapital und technische Kenntnis nur in dem Ausmaß verfügbar machen, wie auch die notwendigen Arbeitskräfte bereitstehen. Laut Professor Simon Kus-netz sichert nicht die bessere mechanische Ausrüstung und Schulung unserer Arbeitskräfte unsere dauernde Ueberlegenheit — denn beides könnten die unentwickelten Länder verhältnismäßig rasch mit russischer Hilfe ergänzen. Es dauert hingegen lange, bis eine ganze Bevölkerung erlernt, wie sie die Gesamtheit der verfügbaren Produktionselemente so verteilen, einsetzen und je nach Bedarf umgruppieren soll, daß sich daraus der größtmögliche Nutzeffekt ergibt. Vielleicht liegt hier eine Ergänzung zur Definition des Begriffes „Kultur“.

Allerdings kann eine zu intensive Berührung mit einer zu hohen Kulturstufe auch schädlich wirken Professor R. Nurkse2 weist nach, daß zu große Kenntnis der fortgeschrittenen Lebensformen die unentwickelten Völker zum Verbrauch anreizt, bevor die Erzeugung diesen decken könnte. Auch das „gute Beispiel“ soll also nur mit Maß gegeben werden.

Die Hilfsaktionen der freien Welt sollten somit viel genauer vorbereitet werden. Dann erst wird ein westlicher Dollar in politischer Hinsicht ebensoviel — oder mehr •— Gewinn einbringen wie ein östlicher, denn er wird den unentwickelten Völkern den Aufstieg und uns ihre Freundschaft sichern.

1 P. T. Bauer and B. S. Yamey, “The Economics of Underdeveloped Countries“

2 “Problems of Capital Formation in Under-Developed Countries“, Oxford 1953.

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