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WIE SICH DIE BILDER GLEICHEN...

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Wie in den meisten Komödien, geht es auch in Hofmianns-ithals Lustspiel „Der Schwierige“ um Liebes- und Heiratssachen. Und wie die meisten Lustspiele endet das Stück, nachdem es drei Akte lang ailllerlei Mißverständnisse, Konfusionen und Komplikationen gegeben hat, mit einer Verlobung. „Sie bat sich — ich hab' mich — wir haben uns verlobt'“, erklärt Hans Karl Bühl, der Schwierige, seiner resoluten Schwester Crescence Gräfin Freudenberg. Diese hat selbst eine Verlobung geplant und betrieben, nämlich die ihres Sohnes Stand mit Helene Altenwyl. Dabei soll ihr Hans Karl helfen, nachdem er der Helen zuvor den aus dem Norden zugewanderten Baron Neuhoff ausgeredet hat — den sie ohnedies nicht erhören würde. Bei der gleichen Soiree will Graf Bühl seinen Freund Adolf Hechingen, mit dem er gemeinsam im Schützengraben gelegen hat, und dessen Frau Anttoinette, mit der er, Hans Karl, vor dem Krieg eine Liaison hatte, wieder zusammenbringen. — Mit seinen Missionen, Vorsätzen und Plänen hat der Schwierige kein Glück. Aber für sich selbst gewinnt er an diesem Abend die Frau fürs Leben, die einzige, die seinem Wesen entspricht, die stolze und zurückhaltende Helene Alitenwyl, die in ihrer Art ebenfalls eine „Schwierige“ ist.

Mit Recht wurde auf den spezifisch österreichischen Charakter dieses Stückes, seiner Akteure und speziell den seines passiven Helden hingewiesen, auf das weniger repräsentativ als intim-charakteristisch Naitdonaie dieser Konver-saitionskomödde, und die Einführung des Barons Neuhoff, eines zwar anmaßenden, aber im Grunde völlig ungefährlichen Rivalen des Grafen Bühl, mag leicht dazu verleiten, diese beiden Gestallten einfach ails Exempldfizderungen des bekannten Schemas „Preuße und Österreicher“ aus dem Jahr 1917 aufzufassen. Aber „Der Schwierige“ wurde bereits 1908 konzipiert, etwa 1918 bis 1920 niedergeschrieben und 1921 dn München uraufgeführt. Er ist mehr — und weniger! — als der Versuch, der Monarchie und Aristokratie ein Denkmal zu setzen. Auch müssen wir es uns versagen', den hier angehäuften Schatz von Lebensweisheiten und psychologischen Erkenntnissen, speziell über das Wesen von Männern und Frauen, die Bewertung der Ehe und anderes auszubreiten. Uns soll hier nur die Frage beschäftigen, inwieweit es Ähnlichkeiten zwischen Hofmiannsthal und seinem Helden gibt, ob die Schwierigkeiten des Grafen Bühl auch Schwierigkeiten HoHmannstbals waren — ohne daß wir die Warnungstafel übersehen, welche die Ho£mannsthal-For-schung der letzten zwanzig Jahre aufgestellt hat und auf der zu lesen ist, daß Hofmannstibals Werk direkter autobiographischer Züge enitibebnt. — Doch nimmt, so scheint uns, „Der Schwierige“ hier eine Sonderstellung ein.

Da ist zunächst das Problem der Sprache, des Redens. Hans Karl ist durchdrungen von der Erkenntnis„ „daß es unmöglich ist, den Mund aufzumachten, ohne die heillosesten Konfusionen anzurichten“. Eine Sodree, bei der jeder mit jedem spricht, erscheint ihm als ein „unentwirrbarer Knäuel von Mißverständnissen“. Er weiß auch: „Ich empfinde mich selbst viel schlechter wenn ich red, als wenn ich still bin.“ — „Das Reden“, meint Hans Karl, „basiert auf einer indezenten Selbstüberschätzung“ und, resignierend: „Durchs Reden kommt ja alles auf der Welt zustande.“ Was der Schwierige hier ausspricht (und paradoxerweise muß ja auch er sich der so sehr beargwöhnten Sprache bedienen), spiegelt eine schwere Lebens- und Schaffenskrise Hofmannstbals um 1900, die im „Brief des Lord Cbandos“ analysiert und abreagiert wurde. „Mein Fall“, so heißt es in diesem wichtigen personalistischen Dokument, „ist in Kürze dieser: Es ist mir völlig die Fähigkeit abhanden gekommen, über irgend etwas zusammenhängend zu denken und zu sprechen.“ Er empfindet ein unerklärliches Unbehagen, Worte wie „Geist“', „Seele“, „Körper“, deren sich doch alle Menschen ohne Bedenken und ständig bedienen, in den Mund zu nehmen. Besonders die abstrakten Wörter zerfallen ihm dm Mund „wie modrige Pilze“. Diese Sprachkrise dehnt sich auch auf jede Art von Urteil und Beurteilung aus, wozu er sich absolut unfähig fühlt. Dabei schreibt Lord Chandos-Hormannsithal einen glänzenden Still, und unser Hans Karl versteht es, eine charmante Konversatdon zu machen: für die subtilste Nuance steht ihm das richtige Wort zur Verfügung, und seine Schwester Crescence bemerkt einmal ganz richtig, er wäre doch ein wunderbarer Botschafter geworden, wenn er hätt' wollen in der Karriere bleiben. Aber im Herrenhaus macht er den Mund nicht auf, lieber legt er die erbliche Mitgliedschaft nieder und verkriecht sich zeitlebens in eine Uhuhütte, als daß er einen solchen Schwall von Wörtern in den Mund nimmt, die ihm geradezu indezent erscheinen müssen...

Neben dieser existenWellen Schwierigkeit, die Hofmannsthal mit seinem Helden teilt, gibt es viele kleine Züge, die den Dichter mit seinem Geschöpf verbinden. Gleich zu Beginn des ersten Aktes sagt Hans Karl zu seiner Schwester Crescence auf die Frage, ob er auf die Soiree zu Altenwyls kommen werde: „Wenn's dir ganz gleich gewesen wäre, hätt' ich mich eventuell später entschlossen... Du weißt, ich binde mich so ungern.“ — Hierzu eine Episode, die Helene von Nostitz, eine der nächsten Freundinnen Hofmannsthals, berichtet: Als sie ihn einmal um genauere Formulierung einer etwas vagen Verabredung bat, erhielt sie die umgehende telegraphische Antwort: „Kann diese preußischen Manieren nicht vertragen. Pläne unbestimmt.“ Wer Höfmannsthals Takt und vollendete Manieren kennt, steht verblüfft vor solchen Äußerungen des Unmuts. — Graf Karl ist allergisch gegen unangemeldete Besucher. Übereinstimmend mit allen, die Hofmannsthai nahestanden, berichtet Jakob Wassermann, daß es den Schwierigen völlig aus dem Gleichgewicht brachte, wenn er unerwartet überfallen wurde: „Ich vergesse nicht den Ausbruch zorniger Verzweiflung, ja beinahe Raserei, durch den er ums einmal entsetzte, als einer seiner 'ältesten Bekannten sich telegraphisch für denselben Abend ansagte, während er ihn erst drei Tage später erwartet hatte...“ Der neue Diener Vinzenz, indiskret und anmaßend, wird bereits am zweiten Tag entlassen mit der ebenso plötzlichen wie unwiderruflichen Anweisung: „Morgen um sieben Uhr früh expedieren!“ Und vom Telephon, das er enerviert abstellen läßt, spricht Hans Karl als von einer „indiskreten Maschine“' (übrigens hatte auch Hofmannsithal in seinem Rodauner Haus kein Telephon, sondern ging, wenn es unvermeidlich war, nebenan ins Gasthaus Stelzer). — Taktlosigkeit, Indiskretion, Anmaßung und Getue empfand Hofmannsthal wie einen körperlichen Schmerz, und vom Schwierigen heißt es: „Es wird ihm heiß vor gehe über eine Kleinigkeit, eine Nuance, die feein Mensch merkt.“ Wenn ihm jemand zu nahe auf den Leib rückte, konnte es geschehen, daß sich Hofmannsithal durch Flucht entzog, was zu peinlich-bizarren Situationen führte. — „Es macht mäch immer eiin bisserl verlegen, wenn man mich so direkt was fragt“ — wer hat das gesagt, H. H. oder H. K? „Ich hab' nicht deine'zielbewußte Art, ich komme leicht von meiner Linie ab.“ — „Mich interessiert nichts so sehr als wie man von einer Sache zur andern kommt.“ (H. K, H. H.)

Dies Verbiindläich-Unverbindliche, Sprunghafte und scheinbar Emtechlußlose bringt Hans Karl in den Ruf eines Hypochonders und Spielverderbers, eines Menschen, auf den man sich nicht verlassen kann. Hierbei erinnern wir uns an eine Deutung der Handschrift Hofmannstbals, die Ludwig Klages dn einem Brief an Stefan George gegeben hat. Der -Schreiber sei, so leicht die Handschrift zu deuten ist, im Leben schwer zu ergründen, intellektuelle Grazie und außerordentliche Beherrschung der Form lassen übersehen, daß er nie einem bourgeoisen Milieu entwuchs und der tiefen einheitlichen Leidenschaft entbehrt. „Außerdem will ich noch bemerken“, schließt Klages sein hartes Urteil, „daß die Schrift einen Menschten verrät von sehr viel prakitischeim Verstand, von großer Undurchdringldchkedit und absoluter Unzuveriässiigkeiit.“ Das ist nicht weit weg von dem, was der Baron Neuhoff über Hans Karl sagt, den er als einen schlaffen, zweideutigen Menschen ohne Willen und ohne Würde, ein absolut anmaßendes Nichts bezeichnet. Kurz vorher hat er ihn freilich anders bewertet: „Ein Mann, bei dem die Natur, die Wahrheit' alles erreicht, die Absieht nichts. Ein wunderbarer M'ann in unserer absichtsvollen Welt. Gehalt ohne Prätention, Vornehmheit gemildert durch unendliche Grazie.“ Auch ein Etwas von Kindlichkeit wird ihm zugebilligt. — Ähnlich ambivalent war das Verhältnis der meisten Zeitigenossen zu Hofmannsithal. Die ihn näher kannten, wußten es freilich anders und besser: sie rühmen seine Freundestreue, seine Hilfsbereitschaft und seine absolute Neidlosigkeit.

Dde erhellendste Erklärung für die psychophysisehen Schwierigkeiten des Schwierigen hat Franz Werfe! gegeben: „Seine Freunde wissen, wie sehr sich Hofmannsithal in jeder Minute selbst überwinden mußte, sie wässern, daß er eine Art

Märtyrerleben geführt hat. Die Mattscheibe des Körpers und des Geistes, durch welche die Strahlen des Lebens in uns eindringen, bei ihm war sie krankhaft gelichtet. Er besaß einen allzu ungenügenden Redizschutz... Deshalb erschöpfte ihn der Verkehr mit, Menschen so tief.'“ Seinem leicht reizbaren Naturell nachgebend, versicherte Hofmannsthai gelegentlich, nicht ohne Selbstironie, er wolle einmal ein „mürrischer Greis“ werden. Aber während seiner letzten Lebensjahre hat er einen ganz anderen Eindruck gemacht, den der Altphilologe Ludwig Curtius (der Hofmannsthai übrigens nur.ein einziges Mal sah) festgehalten hat: „Es war um ihn eine eigentümliche Sphäre der Stille gebreitet, inmitten derer er sich befand und aus der er wie aus weiter Ferne mitten unter uns sprach. Er tat dies mit einer vorsichtigen Bedächtigkeit, die so sehr von Milde erfüllt war, daß er, seine Worte sorgsam wählend, jedem scharfen Ausdruck auswich.“

„Mein Gott, dich bin eben nicht möglich!“ Das ist, in einen Satz zusammengefaßt, das existentielle Paradoxon des Schwierigen: daß er, der keineswegs ein kauziges Original ist, das aus. dem Rahmen der Gesellschaft fällt, sondern der als ihr vollkommenster Vertreter bewundert ward, ein ihre Formen perfekt beherrschender Herr, der ihre äußerste Möglichkeit verkörpert, dn eben diesem Milieu nicht leben kann. In Wirklichkeit steht er außerhalb. Während er sich ständig selbst kritisiert, übt er Objektive Kritik sowohl an einzelnen Personen :wie an der ihn umgebenden Sozietät. Darin ist er Helene Alitenwyl verwandt (er ist es ja auch in Wirklichkeit), dde von sich einmal konstatiert: „Meine Manieren sind nur eine Art von Nervosität, mir die Leute vom Halls zu halten,“ Aber das hätte auch Hofmannsthai einem seiner Freunde gesagt oder geschrieben haben können ...

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