"Wie soll ich denn malen, Herr Hofrat?"

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Walter Koschatzky, renommierter Kunsthistoriker und ehemaliger Direktor der Wiener Albertina, über Künstler als Seismographen der Zeit.

die furche: Herr Professor Koschatzky, Sie haben anlässlich der Präsentation Ihres Buches "Faszination Kunst. Erinnerungen eines Kunsthistorikers" gemeint, die Kunst müsse mehr denn je zu gesellschaftspolitischen Entwicklungen Stellung nehmen. Tut sie das zu wenig?

Professor Walter Koschatzky: Ja, weil auch die Künstler vielfach "nur" Menschen sind, die sich halt letztlich danach richten, was das Publikum von ihnen erwartet oder erhofft, um Erfolg zu haben. Das muss nicht so weit gehen, dass sie Konzessionen in der Form machen, wie ich das als Direktor der Albertina oft erlebt habe. Da kamen im Lauf der Jahre auch angesehene Künstler zu mir und haben gesagt: " Mein Gott, Herr Hofrat oder Herr Direktor, jetzt sagen Sie mir doch, wie soll man denn eigentlich heute malen?" Das war entsetzlich. Darauf habe ich immer geantwortet: "Das einzige Kriterium ist doch nur das, was Sie selbst für notwendig und für richtig halten!" Für not-wendig, um die Not zu wenden. Das ist die Aufgabe der Kunst!

die furche: Bei dieser Aufgabe scheint die Kunst den Faden zu den Nöten der Gesellschaft irgendwie doch verloren zu haben.

Koschatzky: Mich hat immer eines gestört: dass die breitere, nicht-fachliche Gesellschaft in der Kunst so etwas wie ein Unterhaltungsmittel und Amüsement sieht, der man sich widmet, wenn man gerade Zeit hat. Vernissagen mit Buffet und ein bisschen Geplauder sind in unserer Hyper-Konsumwelt beliebt, aber sie haben mit Kunst am wenigsten zu tun. Die Menschen wollen das, was die Künstler ihnen eigentlich sagen wollen, gar nicht so recht anhören oder ansehen. Und das ist schade. Man geht heute eben einfach in eine Ausstellung, um sich zu entspannen, zu unterhalten oder zu kritisieren, was ja auch als ein Vergnügen angesehen wird. Die Amerikaner sehen in der Kunst einen "eye-opener". Das wesentliche bei der Beschäftigung mit Kunst ist, die Augen zu öffnen, Besinnung zu schaffen, inne zu halten. Heute rennen die Leute durch Superausstellungen, einfach nur um dort gewesen zu sein, statt sich einmal wirklich mit einem Bild oder einem Künstler auseinanderzusetzen. Aus der Psychologie weiß man, dass bei etwa 30 Objekten die Wahrnehmungesfähigkeit eines Menschen sowieso erschöpft ist.

die furche: Andererseits boomt der Kunstmarkt, Galerien schießen aus dem Boden ...

Koschatzky: Ich bin kein Kunsthändler und habe auch nicht den Überblick über den Kunstmarkt. Aber ich staune schon, was alles enthusiastisch gekauft und gesammelt wird von Leuten, die materiell dazu in der Lage sind. Künstler werden entdeckt, man nimmt sich ihrer an. Das ist alles natürlich sehr positiv zu bewerten. Aber ich glaube doch, dass dabei das Angenehme, Reizvolle und Schicke eine gewisse Rolle spielt.

die furche: Und die Künstler selbst? Was wühlt sie auf, fordert sie heraus? Die Ereignisse rund um den 11. September etwa, der Terror, die Bomben, scheinen sie seltsam unberührt zu lassen. Eignet sich der Krieg nicht mehr für eine Auseinandersetzung?

Koschatzky: Ich bin ratlos, wenn Sie mich das fragen, denn es ist wirklich merkwürdig. Der Anschlag und die fallenden Türme des World Trade Centers waren so erschütternde Ereignisse, dass man eigentlich nur mehr den Atem anhalten konnte vor lauter Besorgnis. Und die Künstler tun so, als ob überhaupt nichts geschehen wäre.

die furche: Wie interpretieren Sie das?

Koschatzky: Gar nicht. Ich weiß es einfach nicht. Im Gespräch mit meiner Frau stelle ich fast täglich fest, dass mir das unverständlich und ein Rätsel ist. Es kann ja sein, dass dieser Prozess langsamer wirkt und Schnellschüsse nicht möglich sind. Aber bis jetzt war es eigentlich umgekehrt. Künstler waren den Aufregungen und Erregungen ihrer Zeit in vorausspürender Weise immer voran. Davon ist jetzt wirklich nichts zu sehen.

Ich will ja nicht zu pressimistisch werden - aber es kann sein, dass alles in der Welt schon ein Unterhaltungsobjekt ist, selbst für die schaffenden Künstler. Der Konsumwelt kann man sich schwer entziehen und sie nimmt im Grunde wahrscheinlich auch nichts mehr wirklich ernst.

die furche: Sehen Sie in Österreich überhaupt noch eine starke gesellschaftliche Wirkung der Kunst?

Koschatzky: Ja doch. In den verschiedensten Bereichen wird die ganze gesellschaftliche Aktivität und Wirksamkeit von Künstlern entfaltet. Ein Beispiel dafür ist unter anderem das, was die jungen Leute in der Grafik machen. Es gibt Schritte hin zu vollkommen neuen Aussagen, die auch wieder zeitgemäßer sind. Und - gerade auch in der Karikatur ist das zu sehen. Die Karikatur in Österreich hat Weltbedeutung, sie zählt zu den Spitzenleistungen der Weltkunst! Ein Manfred Deix ist wirklich einer der wichtigsten und aussagekräftigsten Künstler unserer Zeit. Man darf ihn nicht nur als einen sehen, der etwas Komisches macht und uns damit unterhält. Deix nimmt wirklich Stellung zu Zeitproblemen.

die furche: Lässt sich die Gesellschaft nur mehr karikieren und nicht mehr an- oder aufrühren?

Koschatzky: Diese Frage beschäftigt mich auch sehr. Denn einerseits müsste man über die Entwicklung ja froh sein. Ein Beispiel: Bevor ich nach Wien berufen wurde, habe ich in Graz ein modernes Museum geleitet. Ich habe dort das totale Unverständnis der Gesellschaft gegenüber dem, was die Gegenwartskunst macht, erlebt. Chagall zum Beispiel. Was der für einen Skandal ausgelöst hat! Dabei könnte man glauben, der ist ohnehin der am leichtesten zugängliche Meister. Oder 1952, da war ich noch nicht fertig auf der Universität, durfte ich auf Einladung des Joanneums, eine - übrigens von der Albertina stammende - Ausstellung von Aquarellen und Zeichnungen Egon Schieles einrichten. Es war geradezu absurd, was dort bei der Ausstellungseröffnung an lautstarken Proteststürmen gegen die modernen Künstler der Gegenwart zu hören war. "Skandal! Polizei! Pornografie!"

Es war ein wesentlicher Teil meines gesamten beruflichen Lebens, diese Aggressionen abzubauen.

die furche: Ist Ihnen das gelungen?

Koschatzky: Nicht ganz. Sie glauben ja nicht, was Ihnen heute in einer doch bürgerlichen Gesellschaft begegnen kann, wenn Sie über Kunst reden. Ein konservativer Minister hat zu mir gesagt: "Sie werden mir doch nicht weismachen wollen, dass alles, was sie da verteidigen, noch etwas mit dem Wahren, Guten und Schönen zu tun hat?" Also, glauben Sie nur ja nicht, dass sich die Dinge verändert haben. Aber - auch das muss man sagen - die Offenheit generell ist schon größer geworden. Darüber muss man froh sein. Die Menschen haben aufgemacht und geben nicht mehr sofort ihren Hass gegen alles Moderne kund.

Bedauerlich ist allerdings schon etwas: Ich habe kürzlich mit einem jungen Künstler gesprochen, der sich mit den Worten beklagte: "Ich kann meine Not hinausschreien wie ich will, es findet keinen Widerpart!" Nichts löst offensichtlich mehr eine Schrecken oder Schock aus. Da denke ich mir dann schon: Um Gottes Willen, was ist da los in der Gesellschaft?

die furche: Wo sehen Sie persönlich die großen Gefahren unserer Zeit?

Koschatzky: In einem Ruck nach rechts.

die furche: Wird Künstlern ihr Schaffen durch die schwarz-blaue Koalition schwer gemacht?

Koschatzky: Man muss abwarten. Die ersten Äußerungen wie zum Beispiel, man werde schon dafür sorgen, dass die Künstler nicht nur "links" sind, ließen schon einiges befürchten. Politiker sind heute allerdings schon viel zu klug sind, um so etwas dann auch wirklich in der Form zu realisieren, wie sie es ankündigen. Aber in kleinen Schritten geht es schon in diese Richtung. Mag sein, dass ich Unrecht habe. Aber nur ein Beispiel: Ich habe in Klagenfurt eine Ausstellung von ganz jungen Künstlern eröffnet. Dabei habe ich über junge Kunst und Gegenwartskunst gesprochen und die jungen Leute vor- und dargestellt. Anschließend wurde ich einer Dame der höchsten politischen Ebene - sie war dann einige Zeit Ministerin - vorgestellt. Sie hat mich angeschaut und gleich als ersten Satz gesagt: "Aber eines müssen Sie mir schon zugeben: die einzig wahre Kunst ist ja doch nur die Volkskunst!"

die furche: Wünschen Sie sich mehr Opposition durch Kunst und Künstler gegenüber solchen Tendenzen?

Koschatzky: Mir fällt dazu immer häufiger ein schönes indisches Sprichwort ein. Es lautet: "In einen Brei kann man keinen Nagel einschlagen". Ich will damit nicht sagen, dass wir heute einen Brei haben, aber die Gefahr ist größer als sie je war. Daher wäre es schon von Nutzen, wenn sich Künstler gemeinsam entschlossener äußern würden.

die furche: In welcher Form?

Koschatzky: Es geht gar nicht so sehr darum zu sagen, ein Künstler muss jetzt kommentieren, was zum Beispiel der Landeshauptmann von Kärnten sagt. So weit geht das nicht. Das wäre eine Verdünnung dieser Frage. Es geht in der Kunst darum, Mut zu bekommen oder ermutigt zu werden, die Augen zu öffnen.

Das Gespräch führte Elfi Thiemer.

Faszination Kunst. Erinnerungen eines Kunsthistorikers.

Von Walter Koschatzky. Böhlau Verlag Wien 2001, 304 Seiten, mit einer CD, geb. e 36,-/öS 495,-

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