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Wie stellen Sie sich das Paradies und den Himmel vor?

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Je weiter unsere Kenntnisse über die Natur und über die Entwicklung der Welt fortschreiten, desto unlösbarer scheinen die Widersprüche zu werden, die sich zwischen den religiösen Vorstellungen von Himmel und Paradies und anderen althergebrachten Glaubensvorstellungen und unserer heutigen Kenntnis vom Menschen erheben. Das Unbehagen über diesen Widerspruch ist heute nicht bloß bei Gebildeten, sondern auch schon in den breiten Massen des Volkes vorhanden.

Aber auch die Theologie ist dabei, die Vorstellungen über den Tod, über Ewigkeit, Himmel und Hölle usw. zu klären. Vergleiche dazu Karl Rahner, zur Theologie des Todes in „Quae-stiones disputatae“, 2, 1959; ferner Karl Rahner, Theologische Anthropologie und moderne Entwicklungslehre, 1960.

Die Bibel beschreibt den Urzustand des Menschen mit dem Bild eines friedlichen und umfriedeten Gartens. Dieser Garten ist voll von blühenden, Früchte tragenden Bäumen, die erfrischenden Schatten geben. Kühle Gewässer durchströmen ihn. Der Mensch lebt im tiefsten Einvernehmen mit der Natur, nennt die Tiere beim Namen, sieht sogar Gott in der Tageskühle im Garten umherwandeln. Es wird also eine Welt geschildert, die erfüllt ist von Frieden und Schönheit. Worin war diese Welt also anders als unsere Welt? Sie war sicher die gleiche bedrohliche Welt wie unsere, ja noch härter und bedrohlicher, da der Urmensch sie noch nicht zu meistern vermochte. Trotzdem lebte nach der Aussage der Bibel der Mensch in einem anderen Daseinsraum, in einer anderen Welt. Was ist Welt? Sie entsteht aus zwei Komponenten: aus der „Weltlichkeit“ und aus dem „Bewußtsein“.

Eine kleine, fast nebensächliche Bemerkung des biblischen Berichtes sagt: „Sie hörten das Geräusch der Tritte von Jahve — Gott —, der bei der Tageskühle im Garten umherwandelte.“ Das besagt: zwischen Schöpfer und dem Geschöpf herrschte eine echte Unmittelbarkeit. Gott war für den Menschen sichtbar, hörbar, der Mensch fühlte sich Gott überall nahe. Gott war für den Menschen der gelebte Raum des Lebens. In diesem Bewußtseinszustand konnte der Mensch auch die Welt ganz anders sehen, nämlich durchwaltet vom Lichte, von der Liebe Gottes und gehorsam Seiner Weisung. So entstand aus dem Sehen, Fühlen und Handeln des Menschen das Paradies. Damit ist das Paradies die Welt, wie sie um jenen Menschen her wird, der Ebenbild Gottes ist und immer vollkommener dieses Ebenbild verwirklichen will, des Menschen, der Gott liebt, Ihm gehorcht und beständig die Welt in Seine heilige Einheit hereinruft. So können wir sagen, das Paradies war die gleiche Welt, in der auch wir leben, jedoch gefährlicher und drohender. Trotzdem war es eine andere Welt, weil sie vom Menschen anders, unmittelbar von Gott her, erlebt wurde.

Die Theologie beschreibt den Zustand des Paradieses folgendermaßen: Der Mensch war innerlich „ungebrochen“, „wissend“, „leidensunfähig“ und „dem Tode enthoben“. Diese außernatürlichen Gaben stellen eine nahezu vollständige Systematik der menschlichen Eigentlichkeit dar.

Der Mensch war im Paradies nicht zerrissen zwischen Wunsch und Verwirklichung. Er lebte ohne die Be-gierlichkeit. Er verwirklichte seine Seinseinheit und war nicht gespalten zwischen dem, was er ist, und dem, was er tut, sondern er machte alles unmittelbar aus seinem Sein heraus, so daß jede seiner Handlungen vollkommen er selbst war. Obwohl der Mensch auch im Paradies ein wesenhaft werbendes Wesen war, das heißt auf die Zukunft angelegt, auf noch Größeres hin angespannt. Aber im Paradies hat der Mensch aus seinem unmittelbaren Gotteserlebnis heraus auch die Erfüllung seiner Sehnsüchte in nächster Nähe gespürt.

Das Paradies war nicht schon ein Zustand des vollkommen entfalteten und artikulierten Wissens. Der erste Mensch, der der Gattung „Homo sapiens“ angehörte, lebte noch in einem Dämmerzustand des Bewußtseins. Das in Worte und Ausdrücke gefaßte und weltbemeisternde Wissen ist die Frucht einer sehr langen Tradition, gleichsam eine Sammlung von Einzelerfahrungen und Einsich ten. Der Urmensch war höchstwahr scheinlich dermaßen unwissend, daß er in unserer intellektuell gemei sterten Welt irrsinnig geworden wäre. Dennoch wußte er qualitativ mehr als wir. Das Wenige, das er wußte, hat er vom letzten Grund, vom Quell allen Seins her erfaßt. Er erfuhr die Welt als Transparenz, als Durchscheinen Gottes.

Den Zustand der paradiesischen Leidlosigkeit dürfen wir uns wieder nicht als eine verzauberte Welt vorstellen, ohne Krankheit, ohne Schmerz, ohne Qualen des Leibes. Je feiner und höher sich eine Kreatur entwickelt, um so empfindlicher wird sie für den Schmerz. Als höchstentwickeltes Wesen war der Mensch allen Tieren körperlich unterlegen. Er ist seiner Welt nicht angepaßt. Er muß die Welt sich anpassen und daher sie verändern. Um das tun zu können, muß er wissen, an welchen Stellen die Welt bedrohlich für ihn ist. Er muß Signale dafür haben. Diese Signale sind aber die Schmerz-empflndungen. Ein Mensch ohne Schmerzempfindungen hätte also in der Welt gar nicht bestehen können. Er wäre seiner Aufgabe nicht gewachsen gewesen. Wenn der Mensch aber dauernd seine Gottun-mittelbarkeit erlebt, dann kann der Schmerz aus den unteren Sphären seiner Existenz nicht hochsteigen. Die Leidlosigkeit des Paradieses war also wahrscheinlich nichts anderes als ein Wissen darum, daß der Mensch in der Liebe Gottes geborgen ist.

War der Mensch im Paradies unsterblich in dem Sinn, daß er sein biologisch endliches Leben endlos hätte weiterführen können? Sicherlich nicht. Das biologische Leben fordert Selbstentfaltung. Indem es sich aber entfaltet, verfeinert es sich derart, daß es am Ende lebensunfähig, zerbrechlich wird.

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