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Wie wird man in Amerika reich ?

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Die wirtschaftliche Landschaft der Vereinigten Staaten gleicht einem Gebirge mit einst hohen Zacken, die durch Erosion abgetragen wurden, so daß nur noch stattliche Berge mit hohen Hängen übrigblieben, während der Boden der Täler sich durch angeschwemmte Erde immer mehr hebt. Die Spanne vom Talboden bis zu den Gipfeln ist kleiner geworden. Dafür sorgen Einkommensteuern und Erbschaftssteuern, die oben konfiskatorisch wirken, und die Lohnsteigerungen unten. Die wirtschaftliche Landschaft hat viel von ihrer Romantik verloren. Wie kommt man aber doch vom Tal auf die Abhänge der Berge oder gar auf deren Spitzen? Die Touristik des Amerikaners ist zwar weniger kühn geworden, aber der Drang nach den Höhen ist stark genug geblieben, und das Geld liegt keineswegs auf der Straße, wie man sich im Ausland einbildet.

Nur der typische Aufstieg sei betrachtet, nicht die seltenen Ausnahmefälle, als deren schönstes Beispiel die Entdeckung der größten Molyb-denum-Mine gelten mag. Nach jahrelangem, vergeblichem Mühen fehlte einem Prospektor das Geld zur Rückfahrt nach dem Osten. Er schlich sich daher als Schwarzfahrer in einen Güterzug, wurde aber nach einiger Zeit entdeckt und mitten in der Nacht hinausgeworfen. Dort, wo es geschah, fand er die größte Molybdenum-Mine des Kontinents, die als Climax Molyb-denum ihm und ihren Aktionären viele Dutzende Millionen eintrug. Glücksfälle kommen vor, sie sind in einem reichen Wirtschaftsleben sogar absolut zahlreich, relativ aber selten. Sie stellen nicht den typischen Aufstieg dar. Der vollzieht sich, wenn man das symbolisch ausdrücken darf, über den Kopf, über den Sitz oder über die Faust.

Besondere Leistung findet nicht immer, aber meist ihren Lohn. Eine Erfindung, eine wirtschaftliche Idee, eine neue Organisationsform bringen, oft erst nach harten Jahren, Erfolg. Man muß nur Vertrauen haben. Was wirklich wertvoll ist, wird durch den starken Bedarf vieler und zahlungskräftiger potentieller Benutzer schließlich entdeckt und verbreitet sich dann rasch. Der Beginn zum Aufstieg ist meist dort, wo die Reklame einsetzen kann. Wird etwas Brauchbares bekannt, so verbreitet sich die Nachfrage rasch. Das ist der Aufstieg des Einzelgängers. Er wird immer seltener. Wachsende Kosten machen es immer schwerer, sich in Selbständigkeit hinaufzuarbeiten. Der Zusammenschluß mehrerer wird immer nötiger. Das wirkt sich selbst auf rein geistigem Gebiet aus. Ein großer Künstler oder Arzt kann noch allein aufsteigen, obwohl auch dieser ein Spital oder ein Institut braucht. Der überragende Einzelanwalt ist schon eine Seltenheit geworden. Die Technik des Rechtslebens zwingt ihn zur Vergesellschaftung. Sehr oft fällt schon sein Aufstieg in die zweite Gruppe, im Rahmen einer großen Anwaltskanzlei mit 50 oder 100 Mitgliedern. Dabei soll nicht unerwähnt bleiben, daß das Durchschnittseinkommen der Aerzte doppelt so hoch ist wie das der Anwälte.

Weit häufiger ist der Aufstieg innerhalb einer Gesellschaft. Durch den raschen Wechsel des Personals entstehen bald Lücken, in die man einrückt, wenn man sich von den Kollegen durch irgend etwas, nicht nur durch Tüchtigkeit, aber doch nicht ohne Tüchtigkeit, auszeichnet. Bis zum 20.000-Dollar-Einkommen ist es nicht allzu weit, und die meisten Gesellschaften bieten soviel Nebenvorteile, von Versicherungen bis zum Klub, daß ein 20.000-Dollar-Einkommen, auch nach der Steuer, 30.000 Dollar des Einzelgängers gleichkommt. Jenseits der 50.000 Dollar ist der Aufstieg schon schwerer, die Auslese härter, besonders für Frauen. Aber jeder tüchtige, aufstrebende Mensch, der bei einer großen Gesellschaft landet, hat gute Aussicht, auf die wirtschaftliche Höhe zu kommen. Die winkt ihm schon aut der Hochschule, spornt seinen Lerneifer und fördert seinen Mut, früh eine Familie zu gründen. Vorbildung wird eine immer wichtigere, aber nicht unbedingt nötige Hilfe im Aufstieg. Laufburschen, die Direktoren werden, sind immer seltener geworden, aber nicht ganz ausgestorben.

Dann gibt es, seit einigen Jahren, noch einen dritten Weg zum Reichtum — über die G e-werkschaft. Der winkt dem Arbeiter, der Sich Hals über Kopf ins Gewerkschaftsleben stürzt. Am Anfang ist der Mund, und die Faust. Redet, oder schreit, er in der Versammlung, wie es den Führern gefällt, zeichnet er sich bei einem Streik durch Mut und Gewalttätigkeit aus, so steht er auf den untersten Sprossen einer hohen Leiter. Er wird auf Kosten der Gewerkschaft in eine Sonderschule geschickt, als Unterführer ausgebildet und mit jenen Kenntnissen ausgerüstet, die für die Organisation, zum Streik, für Verhandlungen, taugen. Bewährt er sich da, so steigt er immer weiter auf und hat gute Aussicht, in die untere Schichte der oberen Führer zu kommen, wo Einkommen und Nebenverdienste um 20.000 Dollar üblich sind. Diese Schickte der „Subalternoffiziere“ ist nicht klein; die große Gesellschaft der Chauffeure zählt allein 2000, denen sie einen Beitrag von je 1000 Dollar für einen Verteidigungsfonds angeklagter Mitglieder zumuten konnte. Rückt er aber gar in den Generalstab auf, dann winkt ihm — und seiner Frau, die meist gar nicht darauf vorbereitet ist — ein luxuriöses Leben auf gleichem Niveau mit den Industriekapitänen. Das Bareinkommen von 50.000 Dollar oder mehr bildet den geringsten Teil seines Einkommens und — mitunter — Sparfonds. Dazu kommt ein sehr reiches Ausgaben- und Reisebudget, eine oder mehrere prächtige Wohnungen oder Häuser mit Bedienung, ein oder mehrere Autos, mit und ohne, Chauffeur, kurz, eine. Lebenshaltung, die man nur mit einem Einkommen von 100.000 bis 200.000 Dollar, nach der Steuer, also von mehr als einer halben Million Dollar jährlich, bestreiten könnte. Eine Gewerkschaft mit Vermögen von einigen hundert und Jahreseinkünften von einigen Dutzend Millionen, die kaum Steuern zahlt, kann sich das leisten.

Allerdings sind die Eigenschaften, die für diesen Aufstieg nötig sind, meist andere als jene, die ein einsichtiges Zusammenwirken mit anderen Wirtschaftsfaktoren, die Uebernahme großer Verantwortungen, die Lenkung gewaltiger Vermögensmassen erfordern Es gibt Ausnahmen, in denen alle diese Eigenschaften vereinigt sind, aber sie sind nicht typisch.

Es seien noch zwei Karrieren von sekundärer Bedeutung für die Vermögensbildung erwähnt: über die Politik, die Elemente aller drei geschilderten Wege zeigt, und über das Verbrechen. Es gibt eine gewisse Anzahl von Menschen, die sich durch organisiertes Verbrechen oder durch die verbrecherische Organisierung wirtschaftlichen Bedarfs gewaltige Einkommen — und da sie sie nicht einbekennen können, steuerfreie Vermögensbildung — verschaffen. Das ist aber für sie ein zitternder Genuß, weil sie immer wieder zwischen der Scylla des Gesetzes und der Charybdis ihrer Verbrecherkollegen durchsegeln müssen, um früher oder später doch an einem Riff zu scheitern, wie Anastasia, der kürzlich im Herzen von Manhattan in einem Barbierladen erschossen wurde. Es ist eine Eigentümlichkeit des amerikanischen Rechtslebens, daß diese Verbrecher oft nicht im Frontalangriff erledigt werden können. Man erwischt sie meist durch Umgehung, wegen Steuerhinterziehung oder verbotenen Waffentragens, und die Strafe steht dann nicht im Verhältnis zu dem Delikt, das man ihnen nicht nachweisen konnte. Die Sicherheit in den Vereinigten Staaten, und der Mechanismus ihres Rechtes überhaupt, hat noch nicht die Höhe ihrer industriellen und kulturellen Entwicklung erreicht.

Hier gibt es also, wie in einer entwickelten Landschaft, reichlich-gepflegte, mitunter Serpentinenwege zu den wirtschaftlichen Höhen mit ihren weiten Aussichten. Wer sie beschreitet, ist nicht sicher, hat aber eine gute Chance, einen Gipfel zu erreichen, und eine größere als anderswo, ziemlich weit hinaufzukommen.

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