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Digital In Arbeit

Wieder Maß halten?

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Nicht nur am „Weltspairtag“, sondern auch angesichts der Rezession oder, wie man immer öfter sagen hört: der Krise, fehlt es nicht an Aufrufen, „mehr zu sparen“, den „Gürtel enger zu schnallen“, vor allem aber „wieder Maß hauten zu lernen“.

Nun legt es aber auf der Hand, daß die Aufforderung an den Menschen, „Maß zu hallten“, toi der Praxis davon begleitet sein müßte, eine Gesefcchaift zu bilden, der brauchbare Maße innewohnen, an die sie sich halten kann. Ohne das wird sie nur geringfügige Dekoration einer konstanten Leere bleiben, die, weil bodenlos, vergeblich durch Konsum immer wieder vollgeschöpflt werden soll.

Der neue „Gott“

Ausganigspunkt der Konsumweit und Höhepunkt zugleich ist aber zur Zeiiit die Vergottang des Wirtschaftlichen, die unermüdliche Anbetung aller Maßnahmen, wenn sie nur ökonomisch sind, die Überschätzung von Gewinn und Eigentum, der Glaube an die ManüpuMerbarkeit von allem und jedem.

Die Konsumwelt denkt in Serien, und je größer sie sind, desto besser. So denkt sie sich auch den Menschen als ein Serienprodukt und nennt ihn folgerichtig immer weniger bei einem Namen, sondern lieber Konsument. Sein wahrest, der neuen Moral entsprechendes Bewußtsein ist ein Konsumibewußtsein, seine wahren Gefühle sind, dem Gesetz der Serie folgend, immer wieder „völlig neue Gefühle“, die ihm die großen Markenartikel ermöglichen sollen. Das geheime Credo lautet: Verbrauchen und anschauen.

In einem solchen System bezeichnen „Sparsamkeit“, „Maßhalten“, und „engere Gürtelschnallen“ nur eine Art Atemholen, gut um Kraft (=■ Geld) für die nächste, überbordende Konsumwelle zu schöpfen. So besehen, wohnt den Aufrufen zur Einschränkung etwas Unwahrhaftes sinne. Sie, zielen nicht auf einen sittlichen Überbau und auf eine neue Gesinnung, sie Visieren vielmehr einen zukünftigen Kon-eumvoflltrefler an.

Von dieser Sicht aus ordnet sich scheinbar Unlogisches in eine „höhere Logik“ ein. Da dem Menschen ja bewußt bleiben soll, daß Maßhalten nicht der Endzweck ist. heizt ihm die Reklame gehörig unter. Sie hämmert Tag für Tag und Nacht für Nacht „Verbrauche“ und treibt Ihn gegen die Postenkette der Geschäfte, wo er schließlich erliegt.

Verbrauch ist alles! Die Waschmaschine von vor drei Jahren ist, so sie noch in Benützung steht, nicht nur ein wirtschaftlicher Unfug, sie ist auch Symbol mangelnden Konsumbewußtseins, geringen Standards. Man hat „das Neueste“ zu haben. Rasch wechselnde Modelle, die geringfügige technische Änderungen als Fortschritt und Erlösung anpreisen, sorgen dafür, daß Zufriedenheit mit dem, was man eben erworben hat, nicht von längerer Dauer sein kann. Dinge, die längst erfunden wurden, werden, da sich Umwälzendes nicht so rasch erfinden und in Praxis umsetzen läßt, sozusagen nur in homöopathischen Dosen beigegeben, um den Verbraucher (die Mehrzahl heißt fürchterlich: Verbraucherschaft) an den Zwang, sich nicht in größeren Etappen, sondern eben ständig etwas Neues zu wünschen oder anzuschaffen, zu gewöhnen. Ganz Unnützes wird wichtig, Krimskrams wesentlich, und eine der letzten Entdeckungen, die dank der Handlangerdienste vergehenden Massenpsychologie gemacht werden konnte, ist die Aufhellung der Halbwüchsigen, ja der Kinder nicht bloß als künftige, sondern schon als gegenwärtig kaufbestimmende Schichte. Kaum zufällig beginnen immer öfter die Werbeslogans mit Kinderstimmen, die sich

an Mutti und Vati wenden und Wünsche, die normalerweise in solchen Hirnen gar nicht vorhanden sein können, wecken und deren Stillung verlangen.

Ewige Jugend!

Nachdem nun der sittlffiche Überbau eingestürzt ist, ist auch der Mensch als zeitlich und unwiderruflich endlich proklamiert worden, und damit ein unbezähmbares Verlangen, das niemand zu sättigen vermag: jenes nach Jugeradlichkeilt, ndclht bloß um der Vorteile willen, die diese gewährt, sondern vor allem wegen des großen Abstandes, der diese vermeinilWch vom endgültigen Ende trennt. So ließen Sich zwei aus Mücken aufgeblasene Elefanten mit einem Schlage treffen: die Jugend kaufmündig zu erklären und kaufbewußt zu machen, das Alter alber mit Jugendlichkeit zu verführen. Die Objektivität dieser Behauptung ist leicht festzustellen: allerorten herrscht der „junge Stil“ die „junge Mode“, das „junge Temperament“; auch mit fünfzig ist man noch „jung“, wenn man nur genügend „junges Kaufbewußtsein“ hat, und bald wird man es noch mit sechzig, siebzig und achtzig sein...

Der Mensch, der sich nicht ausdenken mag, daß ein so kompliziertes Ding, wie er es ist, sozusagen bloß auf Abruf in der Welt ist, wird da an der empfindlichsten Stelle angefaßt, seffine „jungen Bedürfnisse“ schwellen gewaltig an. Die Überlegung, daß solche Phänomene sehr häufig in Endzeiten zu beobachten sind, wird nicht schamhaft, sondern vielmehr schamlos unterdrückt.

Und die Folgen?

Es liegt auf der Hand, daß im Gefolge so euphorischer Zustände allerhand Krankheiten eänherwan-deiln. Eine davon ist die laufende Entwertung des Geldes. Da man aber nur dieses, nicht jedoch an Arbeitskraft, die es angeblich schafft oder symbolisiert, sparen kann, ist dem „Sparer alter Art“ längst klar geworden, wie gering die Chancen sind, auf diese Weise den berühmten grünen Zweig zu erreichen. Der sinkende Geldwert bewirkt steigende Preise, der Ausgleich ist durch Sparen allein nicht mehr zu finden.

Also durch Arbeit. Nun wurde alber der Arbeit ganz allgemein und weltweit ihr Ethos genommen; entweder gilt sie als lästiger Fluch) oder als reines Mitte! zum Zwecke, das angeheizte Konsumbedürfnis zu befriedliigen. Ich wage die Behauptung, daß selbst, wo heute mehr als früher gearbeitet wird, dies weitaus unlustüger geschieht. Auch dann, ja, vielleicht gerade dann, wenn sich dadurch der Standard bedeutend gehoben hat. Das liegt mit Sicherheit daran, daß das eroße Konsumhalali „den Menschen von heute“ Innerlich dennoch nicht zu befriedliigen mag, welche Mühe man sich auch Immer gilbt, ihm die Spielregeln beüzubrinigen.

Clrculus vitiosus

In diesem Zusammenhang wird es Zeit, vom oft beschworenen „Mut zur Unpopularittät“ zu sprechen, der in der Tat nur selten und nur selten richtig bewiesen wird.

Wenn man die Konsumwellit und die Konsumentenschaft als zumindest wirtschaftlichen Seinsgrurnd der Existenz auffaßt, das Wirtschaftliche aber in der Rangordnung der Werte an die Spitze des Postamentes stellt, dessen Basis „Sicherheit“ heißt, ist es nicht „Mut zur Unpopularitätt“, wenn man von „Maßhalten“ spricht, sondern bloß Mut zum Irrtum. Mehr als bloß kosmetische Maßnahmen, geringfügige Veränderungen des Ornamentes werden dabei nicht herauskommen.

In der Praxis läßt sich das leicht nachweisen: Steuersenkungen folgen Steuererhöhungen, geringfügigen

Erieichterungen, etwa für FamlUen-erhalter, folgen Gesamtbelastungen, die gerade diese schwer treffen. Darin tut sich nicht etwa Unfähigkeit kund, sondern das Unvermögen, eine in Gang gebrachte Spielart der Gesellschaft mit Mitteln zu behandeln, die den angebotenen Maximen und Vergöttungen zuwiderlaufen. So provozieren die Kunstgriffe nicht Einkehr und Besinnung, sondern Mißmut und Opposition.

Unserem Staatshaushalt fehlen acht bis zehn Milliarden Schilling. Durch Abschöpfungen und Einsparungen sollen sie zum Teil herbeigeschafft werden. Das erfordert Einschränkungen jeder Art. Zugleich aber werden etwa Vier Milliarden Schilling für Werbung ausgegeben werden. Während dem siimplen Menschen also In das eine Ohr geflüstert wind, es ziehe die Katastrophe herauf, wenn er sich nicht beschränke, wird in seinem anderen Ohr die Losung hallen, zu kaufen, zu kaufen, zu kaufen...

Bildung und Kunst entbehrlfch

Das ist so wichtig geworden, daß die anderen Bedürfnisse eben zurückstehen müssen. Jene vor allem, die nicht unmittelbar wirtschaftlMch zu erfassen sind. Etwa Geistiges. Forschung, Bildung, Kunst rangieren um so tiefer, je weniger sie In das Mosaik des Ökonomismus passen.

So erhebt sich beispielsweise kein Widerspruch, wenn etwa die Bun-deskaimmer, deren Pflicht ja die Pflege des Konsumtriebes ist, im Zuge der Sparsamkeit auch ihren Beitrag zum „Mut zur Unpopute-rität“ beweist, indem sie die Abschaffung des Kunstförderungsbei-trages fordert, der dem Staate via Rundfunkgebühr felis Haus steht.

Sicher kein besonders attraktives Beispiel, aber es läßt sich gut weiter spinnen. Ein Staat oder eine Gesellschaft, die immer dann, wenn sie in wirkliche oder vermeintliche Notlagen gerät, zuerst daran denkt, bei der geistigen Wertschöpfung eins abzustreichen, lebt offenkundig nach geistfetadliichen Leitbildern. Sie besitzt die Kunst nur noch als Verkleidung zu festlichen Anlässen. So, leuchtet uns ein, läßt sich auch zuerst an ihr sparen. Sie rangiert noch unter der Seife, die zwar auch noch sehr allgemein als Luxusartikel gimt, mit der sich alber auf weniger aufwendige Weise höhere Umsätze erzielen lassen.

Der Ausweg

In summa: Die gegenwärtige Betrübnis angesichts der Staaitsflnan-zen, das Unbehagen angesichts rezessiver Wintsdhaftsvorgänge, das stellenweise Aufkochen von Unmut sind Folgen der Unkenntnis über sich selbst, in der man die Gesellschaft bisher aus Gründen der Gefälligkeitspolitik und der Konsumideologie gelassen halt: der Liebeslohn für vierundzwanzig schwache Stunden täglich.

Vermieden werden diese Folgen erst allmählich, wenn wir die Vergottung des nur Wirtschaftlichen beenden, wenn wir damit aufhören, den Ökonomismus als das Alpha und Omega unserer Existenz zu begreifen, sondern ihn bloß als eine der notwendigen Funktionen betrachten, wie sie auch innerhalb des menschlichen Organismus bestehen, von denen man aber nicht dauernd spricht, und die man, wenn sie erkranken, ohne Geschrei kuriert. Am besten, indem man rechtzeitig und andauernd vorbeugt. Und hier erhält das Maßhalten seinen bestimmten Siran. Es dient dann dem Menschen und seiner Persönlichkeit unmittelbar, nicht seinen bloßen Funktionen.

Kann' der Mensch noch maßhalten?

Er könnte es. Vielleicht...

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