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72 schwarze Stunden

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In den 72 Stunden zwischen der Ermordung und der Beisetzung Präsident Kennedys gab sich die Nation der Trauer in einer Weise hin, wie sie in diesem der schmerzlichen Reflexion abgeneigten Land unmöglich schien. Daß die Trauer nicht in Hysterie ausartete, ist wohl nicht zuletzt der Witwe zu verdanken. Sie gab dem Land bin Vorbild an Tapferkeit, so großartig wie das der legendären Frauen des antiken Roms.

Obwohl der 35. Präsident der Vereinigten Staaten keine vollen drei Jahre im Amt war, wurde er mehr beweint als irgendeiner seiner Vorgänger seit Abraham Lincoln, mehr noch als Franklin Delano Roosevelt. Dabei hatte sich dieser in den 13 Jahren seiner Amtsführung größere Verdienste um die Amerikaner erworben, die nicht zu den vom Schicksal bevorzugten gehörten.

Ein Aristokrat im Weißen Häus

Die Persönlichkeit John Fitzgerald Kennedys war der Hauptgrund, aber keineswegs der einzige, für das Ausmaß der Trauer. Über seine konkreten Erfolge mag es zweierlei Meinungen geben. Niemand jedoch kann abstreiten, daß er ein Aristokrat war. Der erste Aristokrat im Weißen Haus seit den aus Virginia stammenden Präsidenten, die mit George Washington begannen und mit James Monroe 1824 endeten.

Wohl gab es unter Kennedys Vorgängern zwei. Theodore Roosevelt (1901 bis 1908) und den schon genannten Franklin Delano aus einem anderen Zweig dieser Familie, die ihrer Abkunft nach eher Anspruch darauf hatten, als Aristokraten zu gelten. Die Abkunft aber ist nicht das einzige oder auch nicht das ausschlaggebende Merkmal eines Aristokraten. Vornehmheit der Gesinnung, der Unehrenhaftigkeit, Kleinlichkeit und Rachsucht fremd sind, sowie Gelassenheit gegenüber den Schlägen des Schicksals sowie den Schwächen anderer Menschen, das sind die bestimmenden Merkmale. John Kennedy besaß ..sie.

Die Amerikaner heben ihre demokratische Gesinnung in manchmal unmanierlicher Weise hervor. In einer äußerlichen Gleichmacherei klopfen sie einander gerne auf die Schulter. Aber in ihnen steckt eine heimliche Bewunderung für die Aristokratie. Sie drückt sich in ihrer am wenigsten anziehenden Form in der Hofierung der Träger ausländischer Titel aus. Um so mehr imponierte es ihnen, daß im Weißen Haus ein einheimischer Aristokrat saß, dessen echte Vornehmheit von der gekünstelten vieler heruntergekommener ausländischer Aristokraten abstach.

Den neidlosen Amerikanern war es recht, daß dieser Aristokrat auch reich war, wie denn überhaupt die materielle Unabhängigkeit die Vorbedingung für die volle Erfüllung seiner Wesensart war. Sie nahmen es mit Befriedigung auf, daß Kennedy, wie viele seiner europäischen Standesgenossen in früheren Jahrhunderten, ein Mäzen der Künste war. John F. Kennedy brachte Kultur und Ästhetik in das Weiße Haus. Seit den Virginia-Präsidenten hatte es einige Präsidenten gegeben, die die Kultur gefördert hatten. Aber die Ästhetik war dabei zu kurz gekommen.

Der hauptsächliche Wesenszug Kennedys war die Gelassenheit. Er übertrieb sie nicht, wie ein anderer berühmter Aristokrat, Metternich, der infolge allzu großer Gelassenheit nichts Dauerhaftes schaffen konnte. Jedoch setzte auch Kennedy sich dem Vorwurf aus, aus allzu großer Gelassenheit heraus keine Resultate erzielt zu haben. Besonders die Liberalen und die Neger warfen ihm vor, sich nicht genügend für seine Gesetzvorlagen eingesetzt zu haben. Aber nach seinem Tod beweinten die Neger ihn, wie früher den großen Befreier, Abraham Lincoln.

Es schien den Präsidenten nicht zu sehr zu berühren, daß ein großer Teil seiner weitsichtigen Vorschläge in einem Kongreß, der nur im Schneckentempo in die Zukunft marschieren will, hängenblieb. Er sorgte sich nicht zu sehr, weil er, als echter Konservativer, in langen Zeiträumen dachte. Den fbftschrittl’fch&i Elementen war er zu konservativ und den reaktionären, die sich einbilden, konservativ zu sein, war er nicht konservativ genug. Er aber wußte, daß er auf dem rechten Weg war.

Er war von einem glühenden Glauben an soziale Gerechtigkeit erfüllt sowie von großem Mut. Deswegen kämpfte er für die Rechte der Farbigen ohne Rücksicht auf den Verlust von Wählerstimmen. So oft dieser gewiegte Politiker auch die politischen Folgen seines Handelns einkalkulierte, wo es um Menschenrechte ging, war er unbeugsam.

Deswegen verdiente er den bewegenden Tribut, den ihm die British Broadcasting Corporation nach seinem Tod zollte, er sei der erste westliche Politiker in den letzten 30 Jahren gewesen, der der Politik wieder Würde und Anstand gab. Er machten den gerade in Amerika entehrten Politiker wieder hoffähig.

Seine Gelassenheit wirkte sich besonders glücklich auf die auswärtigen Beziehungen aus. Manch anderer Mann hätte ob solch unbequemer Verbündeten, wie zum Beispiel Präsident de Gaulle einer ist, seine Selbstbeherrschung verloren, zum dauernden Schaden der amerikanisch-französischen Beziehungen.

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