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Digital In Arbeit

Aber die Kunst

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Da ich viele Jahre Vortragsabende veranstaltete und selbst zuweilen las, kamen oft junge Menschen zu mir, um mir ihre Arbeiten zu bringen. Ich wollte hauptsächlich unsere Jungen fördern und fand auch oft hoffnungserweckende Talente, soweit ich es beurteilen kann, denn wer will sagen, er wäre dafür zuständig?

Da kam eines Sonntags vormittags ein Mann zu mir (es war während des Krieges) und bat mich, seine Gedichte zu prüfen und ihm zu sagen, ob sie etwas taugten. Ein einfacher Arbeiter war er, seinem Berufe* nach Eisendreher. Nun haben wir ja unter den Arbeiterdichtern recht beachtenswerte und ich bat ihn, in zwei Wochen wiederzukommen, ich würde seine Gedichte bis dahin durchgesehen haben. Als die 14 Tage beinahe um waren, nahm ich sie vor und las sie aufmerksam durch. Aber da war nichts, was mich fesselte. Lange überlegte ich, was ich dem Manne sagen sollte und war schon entschlossen ihm mitzuteilen, daß ich nicht viel davon halte. Denn kürzlich erst hörte ich eine große Rede eines Kollegen, der gesagt hatte: „Nur das Beste ist gut genug! Mittelmäßigkeit muß verschwinden! Der EHlettan-tismus muß verschwinden! Nur wirkliche Dichter sollen zu Worte kommen!“ Aber wer entscheidet dies? Ich mußte an meine früheste Jugend denken, als ich Malerin werden wollte und da ist der Erfolg doch sichtbarer als bei der Dichtkunst. Erfühlen läßt sich nicht so leicht etwas, wie sehen. Und da fiel mir Minnie ein. Meine Kollegin, die war so wundervoll, daß die Lehrer vor ihrer Staffelei stehen blieben und unser prachtvoller Meister Dasio einfach sagte:„Wer hat jetzt dös geschaffe? Da kann i scho nix mehr ausbessere, denn die kann mehr als i!“ Derselbe Künstler, der, als er Professor geworden war, in die Klasse trat und sagte: „I bin Professor worden. Daß sich keine von euch untersteht, midi nachher Professor zu schimpfe!“ Und Minnie war ein Genie, das sahen wir alle, teils mit Bewunderung, teils mit Neid. Und doch habe ich nie gehört, daß Minnie eine große Künstlerin geworden ist. Daran mußte ich jetzt denken. Die ganze Akademie wußte, wie wundervoll sie war und doch hat sie ihren Weg als Künstlerin nicht gemacht, während andere, von denen wir alle nicht viel hielten, recht beachtenswerte Künstlerinnen geworden sind.

Ich saß also vor meinem Schreibtisch, las die Gedichte nochmals durch, es war Samstag, und morgen mußte der Mann kommen, und überlegte, was ich ihm sagen “wollte. Da klingelte es und vor mir stand eine junge blasse Frau und sagte, sie wäre seine Frau und sie wollte — ich war ganz froh, denn mir fiel ein Stein vom Herzen. Der Frau konnte ich es leichter sagen, daß seine Gedichte nichts taugten, und so ließ ich sie nicht ausreden, sondern sagte: Ach, Sie holen die Gedichte von Ihrem Mann? Bitte, treten Sie doch näher, ich will sie gleich —“ Ganz erschrocken wehrte sie ab: „Oh nein, ich will Sie nur sprechen, und bitte, sagen Sie ihm ja nicht, wenn er morgen kommt, daß ich hier war, er holt sie schon selbst.“

Ehe ich noch etwas weiter sagen konnte, fing sie zögernd an: „Nicht wahr, sie taugen wohl nichts? Und deshalb bin ich gekommen.“ Ich zögerte und sagte dann schliaßlich, daß ich leider auch der Ansicht sei, sie wären nicht viel wert und ich fürchte, er macht sich Hoffnungen —

„Ach nein, das tut er nicht! Er wird sie ja auch nie jemand geben, der sie drucken soll. Er liest sie nur mir vor, mir und den Kindern. Und dann höchstens ein paar Freunden am Sonntag, die kommen, um Karten zu spielen, und das ist doch wohl nicht schlimm? Ob wir Karten spielen oder er uns was vorliest, nicht wahr? Das schadet doch keinem was?“ Und dann fuhr sie fort: „Das ist nämlich so: Mein Mann war früher sehr liederlich; er trank gerne und lief ins Wirtshaus und dann kam er ohne Geld nach Hause und prügelte die Kinder und stiftete Unfrieden mit mir. Seit er aber angefangen hat zu dichten, da ist er ein ganz anderer Mensch geworden. Nun bleibt er zu Hause, liest uns seine Gedichte vor und ist gut und zufrieden mit allem, wenn er nur seine freie Zeit dichten kann, und da wollte ich Sie vielmals bitten: Sagen Sie es ihm nicht, daß die Gedichte nichts taugen, sonst wird er das Dichten lassen und wieder seinen liederlichen Lebenswandel anfangen und dann haben wir wieder die Hölle im Hause und die Sorgen.“

Ich muß gestehen, ich versprach es ihr. Als sie gegangen war, saß ich ratlos vor meinem Schreibtisch und da mußte ich mir sagen: Wenn die Kunst so stark ist, daß sie einen Menschen gut und tüchtig und ordentlich werden läßt, wenn sie ihn von seinen unseligen Leidenschaften heilt, hat sie dann nicht ihren Zweck erfüllt? Und da wußte ich auch, worauf es ankam: auf die Schaffensfreude kam es an! Bin ich nicht selbst als ganz junges Mädel von zu Hause fortgelaufen, weil ich Künstlerin werden wollte? Ich ließ eine sorglos schöne Jugend im Stich, einen Mann, den ich gern mochte, und beides bedeutete mir doch nicht soviel wie die Schaffensfreude. Hatte ich es doch an Großmutter erlebt, die reich und sorglos sein konnte, glücklich verheiratet und schöne Kinder hatte, und die immer doch unglücklich blieb, weil sie Sehnsucht nach der Schaffensfreude in ihrem Herzen hatte. Kennt einer von euch, der Künstler ist, dieses wundervolle Gefühl? Ist es nicht ebenso stark wie die Liebe“, elementar und groß und keiner kann es uns rauben? Auch die Anerkennung brauchen wir nicht, nur das Gefühl: stark und unumstößlich im Herzen, in der Seele, daß wir Künstler sind. Und das kann uns keiner rauben. Nein, niemand ist berufen, einem die Freude am Schaffen zu nehmen, und als der Mann am Sonntag zu mir kam und ich ihn fragte, ob ihm das Dichten denn soviel Freude mache, daß er alles andere darüber vergißt, da leuchtete ihm die Schaffensfreude aus den Augen. Und ich hielt gerne das Versprechen, das ich seiner kleinen Frau gegeben hatte: Ich sagte ihm, er möge weiterschaffen, gute Gedichte lesen und hören sich an große Vorbilder halten und später wieder einmal seine Gedichte bringen, wenn er neue geschaffen hätte. Er verließ mich glückstrahlend.

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