Abseits von Verklärung und Nostalgie: Ilsa Bareas Wien-Buch

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Eine kritische Auseinandersetzung mit den Wien-Mythen und der sozialen Wirklichkeit, nun erstmals in deutscher Übersetzung erschienen.

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Eine kritische Auseinandersetzung mit den Wien-Mythen und der sozialen Wirklichkeit, nun erstmals in deutscher Übersetzung erschienen.

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In einem Engelbert-Dollfuß-Museum sollte ihr ein Platz sicher sein. Als der christlich-soziale Bundeskanzler 1933 das Parlament ausgeschaltet und die Demokratie eliminiert hatte, ging Ilsa Barea in die ­Offensive. Sie kritisierte öffentlich das Regime, was ihr wegen „Beleidigung der Regierung“ zehn Tage Arrest und die Zahlung von 160 Schilling Bußgeld einbrachte.

Dass sie als ausgewiesene Linke in Österreich nicht bleiben konnte, zeichnete sich schnell ab. Über Spanien – sie engagierte sich im dortigen Bürgerkrieg gegen die Franco-Truppen – und Frankreich kam sie nach England, wo sie ihre politische Arbeit in anderer Form fortsetzte, indem sie u. a. für den Abhördienst der BBC arbeitete. Georg Pichler ist ein bemerkenswert gut informiertes Nachwort zu verdanken, das eine kämpferische Frau porträtiert, der Österreich zu Dank verpflichtet ist.

Von Österreich konnte sie sich auch im Exil nicht lösen, wie ihr Wien-Buch bestätigt, das sie auf Englisch verfasst hatte und das 1966 erschien. Erst jetzt ist uns das Buch auf Deutsch zugänglich gemacht worden, was etwas aussagt über den Umgang mit kritischen Geistern, die man aus dem Land gejagt hatte. Ein kritisches Werk ist diese Auseinandersetzung mit den Wien-Mythen und der sozialen Wirklichkeit allemal.

Die räumliche Distanz zu ihrem Land lässt sie nicht in Nostalgie verfallen. Ihre Darstellung Wiens wirkt wie ein Abwehrzauber, melancholisch zu werden. Sie liefert eine kompakte historische Übersicht und arbeitet dabei die Machtverhältnisse heraus. Sie schaut genau auf Aquarelle, die im Biedermeier die Familien-Idylle herausstellen, während Metternich rebellische Studenten drangsaliert. „Das größte und demnach das dringendste Übel ist demnach die Presse“, schreibt er, um sich umgehend Methoden einer strengen Zensur auszudenken, die bald Anwendung finden. Dagegen stehen die Nostalgie-Variationen des Künstlers Paumgartten, allesamt Kultivierungen des Privaten. Und welche Menschen stehen dahinter? „Wir wissen so wenig über die abgebildeten Personen […], dass man gar nicht auf den Gedanken käme, das ­klischeehafte Bild bieder­meierlichen Familienlebens in Frage zu stellen.“

Die Darstellung reicht bis zum Ersten Weltkrieg. Natürlich kommt sie nicht herum, über die Glanzleistungen in Kunst und Wissenschaft zu schreiben, sie denkt aber immer Sozialgeschichte mit. Sehr persönlich geht sie ans Werk, als Kulturhistorikerin verbirgt sie nie, dass sie politisch denkt und deshalb für das Schwärmen nicht zu haben ist. Die Chance, eine aufrichtige Geschichte-Beobachterin kennenzulernen, sollte man jetzt nicht leichtfertig ungenützt lassen.

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