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AGNETE

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8. Fortsetzung

So kam es, daß wir drei uns schon von den ersten Minuten an verbunden fühlten, während Agnetens Gatte, vielleicht nicht ohne Absicht, uns kühl als Außenstehender gesellt blieb. Ich versuchte es vergebens, um der gesellschaftlichen Lüge willen, zu der ich mich verpflichtet glaubte, einige Wärme der Verbindlichkeit zwischen uns und ihm zu erzeugen. Ich gab es aber bald auf, um mir selbst nicht zu schaden, und erkannte auch an Agnetens Blick, daß solches Spiel vor ihrer Klugheit nicht bestehen konnte.

Im übrigen empfand ich in Agnetens Nähe die gleiche heiße Beglückung wie tags vorher. Jede Neigung ihres feinen Hauptes, jede Regung ihrer schlanken braunen Hände trank ich im Wahne des Verliebten in mich ein: daß dies alles, wohl noch von zauberhafter Fremdheit umhüllt, im letzten doch mein Eigen sei und das Trennende zwischen uns erschien mir dabei nicht minder süß als die traumhafte Erfüllung.

Inmitten solcher Empfindungen überlief es mich plötzlich heiß, als ich im Gespräche erfuhr, daß sowohl der Sektionsrat als Agnetens Bruder am nächsten Morgen Innsbruck bereits verlassen wollten. Ersterer hatte ein Telegramm erhalten, das seine sofortige Anwesenheit im Ministerium erforderte; ihr Bruder verkürzte den Innsbruck Aufenthalt, da er die schönen klaren Ostwindtage für seine Bergfahrt nicht versäumen wollte. Für Agnete wurde beschlossen, sie solle den Rest des Sommers und womöglich auch den Frühherbst noch in Tirol verbringen, bis die rauhere Witterung ihre Heimkehr nach Wien verlangte.

So lag nun die kaum erträumte Gewißheit vor mir, auf die Dauer meines Urlaubs, ich dachte an meine eigene Bergwanderung nicht mehr, mit Agnete allein zu sein. Ich pries die Gunst des Schicksals beglückten Herzens, ich ahnte nicht, was es in seinen Tiefen für mich verborgen trug.

Da es zum Abendessen noch zu früh war, unternahmen wir einen kurzen Spaziergang in der Richtung gegen Hötting. Dort, an einem Wege von mäßiger Steigung, wo sich zahlreiche Bänke für die Sommergäste befinden, fiel es mir schmerzlich auf, daß Agnete immer wieder, von Müdigkeit befallen, eine Weile ausruhen mußte. Es schien sie das selbst zu bekümmern, und zuweilen huschte ein rührender Zug von kindlicher Besorgnis und Ergebung in ihr Leiden über ihr stilles, feines Gesicht.

Einmal, als sie gerade an des Bruders Arm ging, stellte sich der Sektionsrat an meine Seite und strebte, es schien das so seine Absicht zu sein, ein Stück außer Hörweite mit mir voraus. Er begann zuerst in allgemein flüchtigen Hinweisen von Agnetens Krankheit zu sprechen, wohl ohne Ahnung davon, wie sehr ich bereits der Mitwisser seines Schicksals sei, und er gestand mir dann, indes er sein Auge merkwürdig scharf auf mir ruhen ließ, daß nach der letzten Auskunft des Arztes eine ernstliche Genesung Agnetens kaum noch zu erhoffen sei. Sie müsse vor allem, fuhr er bedeutsam fort, von jeder inneren Erregung ferngehalten werden; es sei die Meinung des Arztes, daß sonst das Schlimmste für Agnete zu befürchten sei. Er bitte mich jedoch, diese Mitteilung auch Agnetens Bruder gegenüber geheimzuhalten.

Inmitten meiner Bestürzung wunderte mich die Fassung, mit der ich auf seinen besorgten Ton einging, ohne die Angst meines Herzens zu verraten. Zugleich überkam mich etwas wie Empörung gegen diesen

Mann, der mir düstere Botschaft brachte, die ich nicht verlangte, ja, die zu erfahren mir eigentlich gar nicht zukam. Was wollte er wohl mit diesem Geständnis? Er war ja sonst nicht gar so mitteilsam gegen mich? Sollte das etwa ein deutsamer Wink sein, sollte es eine Ernüchterung, eine Warnung für mich sein?

Jedenfalls war es um die stille, helle Flamme meines geheimen Glückes von diesem Augenblick an geschehen. Ich hatte Mühe, meine Verdüsterung vor Agnetens forschendem Blick zu verbergen.

Ein Stück des Heimweges ging ich an der Seite Herberts,' so hieß Agnetens Bruder. Ich brachte mit Vorsicht die Recre auf ihr Befinden und atmete auf, als er von der Hoffnung sprach, daß sie ihres Leidens doch noch genesen könnte. ,Und nun lassen Sie mich Ihnen danken, von ganzem Herzen danken für alles', setzte er mit Eifer hinzu, ,was Sie meiner Schwester an verständnisvoller Freundschaft, an geistiger Kameradschaft gegeben haben! Agnete ist mir seit dem Tode unserer Eltern das Einzige, das Liebste auf der Welt. Wer ihr Freund ist, ist der meine auch!'

Diese stolze, befreite Art tat der Bedrängnis meines Herzens ungemein wohl. So empfand ich, so erfuhr ich, was mir in diesem Sinne noch neu war, daß es gewiß zum Besten gehört, was ein reifes Herz gewinnen kann: daß es die Neigung zu einer geliebten Schwester im Herzen eines ihr ebenbürtigen Bruders gespiegelt sieht. Kraft und Beharrung strömt aus solchem stillschweigenden Einvernehmen, es erlebt sich wie Verbrüderung in reinen, außermenschlichen Sphären, im Reiche milder, verstehender Götter, die den Reichtum des Gefühls aus doppelter Schale kredenzen.

Der Abend verlief auf der Terrasse in ruhigem Gespräch; es schien, als wären wir gegenseitig bemüht, uns jeglicher trüben Betrachtung und ihrer Zwecklosigkeit zu entziehen. Und als ich Agnetens Hand zum Abschied, faßte und ihrem tiefen, ernsten Blick begegnete, da wußte ich, daß ich mor-neg als ein anderer wiederkommen müsse, in Reinheit und Wahrhaftigkeit, wie es der Größe ihres Wesens entsprach, ganz losgelöst von aller bürgerlichen Lüge, zu der wir uns bisher verpflichtet sahen.“

Hier brach Degenhart unvermittelt ab und schritt eine Weile schweigend neben mir hin.

Mit einem Male blieb er aufhorchend stehen und deutete auf eine dunkle Fichtengruppe, die sich unweit von uns aus der nächtlichen Landschaft erhob. Es kam, wir täuschten uns 'nicht, ein feines silbernes Ge-klinge von dort hervor, ein Reigen weniger Töne und doch unfaßbar reich wie eine seltsam kosmische Melodie.

„Horchen Sie“, flüsterte Degenhart, „es geistert dort in den Fichten! Irgendein Wässerchen spielt dort unter dem Eise, das sich in der letzten Frostnacht bildete. Die Ladinerleute hierzulande nennen dies ,das Gespräch der Bäume'. Unheimliche Wertung in Sage und Beziehung zum Geisterreich besitzt hier alles in diesen Bergen, auch im Herzen des Volkes, wohl seit tausend Jahren und länger noch. Dort oben im finsteren Geschröfe des Rosengartens schläft jetzt, das wissen Sie wohl? Zwergkönig Laurin. Es gehört für mich zum Tiefsten, was die deutsche Sage ersann, daß der Geisterkönig, nachdem er von Dietrich von Bern und sei-seinen Genossen bezwungen wurde, von den ungeschlachten Recken als G a u k 1 e r in die Lande hinabgeführt wird. Ich verstehe das so: Kraftvolles Heldentum in seiner Unzwei-deutigkeit, in seiner grandiosen Mischung von symbolischer Urkraft und unsäglicher Roheit der Mittel — denken Sie doch an die furchtbare Größe und klägliche Wüstheit des gegenwärtigen Krieges! —, solches Heldentum also erniedrigt den Geisterkönig, der das Geheimnis der Natur ist, zum Gaukler und Possenreißer, weil es ihn nicht versteht und aus Unverstand nicht achtet. Die Sage jedoch erzählt, es sei Laurin gelungen, seinen Peinigern zu entfliehen, und nun sitzt er dort oben im Rosengarten, den er zu Stein verwandelte, in letzter kosmischer Einsamkeit und unsäglicher Menschenver-achtung. Vom Weibe jedoch, wir wollen ihm das nicht weiter verübeln, vermag er niemals ganz zu lassen. Und wie er einst die schöne Simildß entführte, Dietleib, des Recken holdselige Schwester, so zieht er noch immer die Seelen einsamer Frauen an sich mit abendlichem Rosenglühn, mit Sehnsuchtsgeleuchte und allerlei optischem Geflunker!“

(Fortsetzung folgt)

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