7123337-1996_46_02.jpg
Digital In Arbeit

aufstand der zuspätgekommenen

19451960198020002020

Die rechtschreibreform ist tatsächlich auf halbem weg steckengeblieben. Doch die richtung, aus der der wind der kritik weht, irrititiert.

19451960198020002020

Die rechtschreibreform ist tatsächlich auf halbem weg steckengeblieben. Doch die richtung, aus der der wind der kritik weht, irrititiert.

Werbung
Werbung
Werbung

Eine geballte ladung an Schwachsinn hat uns der „Spiegel” im heft nr. 42 präsentiert. Willig aufgenommen, neu aufgekocht, mit würzigen zutaten versehen kommt er nun auf den mittagstisch der verschreckten sprachfreunde: Die speise ist endgültig verdorben, es muss ein neuer koch her, und die alten rezepte sind ja doch das wahre! Es geht natürlich gleich um die deutsche spräche, um nichts weniger als das, und es geht ums ganze. „Wahrnehmbarer sprach-verfall” sagen die einen, „orthogra-phie-terroristen” sagen die anderen. „News” legt noch ein schäuferl nach und präsentiert uns unter anderen einen veritablen professor* und poeten dazu, der meint, man könne spräche nicht planieren und einebnen, das führe immer zur Verarmung. 1 )er pro-fessor und poet wird den unterschied zwischen planieren und einebnen schon kennen, anderen wird er weniger geläufig sein, aber das sind halt die dummen, und denen darf man es nicht leicht machen, sie sollen sich ruhig mit der rechtschreibung abquälen, das schärft den verstand und erhöht die frustrationstoleranz. So würde sich vielleicht unser p&p nicht ausdrücken wollen, aber die richtung stimmt, und aus dieser richtung weht auch der wind in manchen leserbriefspalten, und abendland und unter-gang.

So sei es denn wieder einmal gesagt: Die deutsche spräche kann gelesen, aber auch gesprochen werden, sie wird stenographiert und gemorst -und sie bleibt immer noch die deutsche spräche. Die Schreibung ist nur ihr gewand, und das gewand ist hier so wie auch beim menschen: Es passt nie ganz richtig, umhüllt nie den ganzen körper, ist nicht immer praktisch und funktionell und enthält so manche überflüssige stücke. Wie würde unser gewand ausschauen, wenn es tatsächlich nur funktionell und praktisch sein müsste? Vielleicht wie die Schreibung in vielen mittelalterlichen deutschen handschriften oder wie die Schreibung in sprachen, die erst spät verschriftet wurden, wie etwa im litauischen und armenischen.

Mögen auch die mittelalterlichen dichter oft schwer mit den lateinischen buchstaben gerungen haben, unsere feinheiten der gross- und kleinschreibungund manche anderen pröbleme blieben ihnen erspart, und meist war die Schreibung der ausspräche näher als heute. Auch die Interpunktion war damals besser, denn die gab's einfach nicht, bis auf reimpunkte am versende. Die geschichte der Vertreibung aus dem paradies der spräche ist zugleich auch ein stück deutsche kulturgeschichte, und jede kultursprache muss ihren frieden mit Institutionen, normen, werten und gesellschaftlichen einstellungen finden - und manchmal findet sie ihn eben nicht. Dann versammeln sich agenten der ungebildeten und schwachsinnigen, arbeitsscheue kaf-feehaussitzer, böswillige ketzer, bol-schewisten, hochbezahlte besser-wisser, geistig unterbelichtete ge-hirne, radikale reformwüteriche und umfunktionierer mit Vollbart, und sie vergewaltigen den volksgeist, schnippeln das sprach-kleid auf einen lendenschurz für ba-sutoneger zurecht, schaffen esels-brücken für geistig minderbemittelte, verlieren die ehrfurcht vor gott und der Schöpfung, erleichtern dem pöbel das schreiben, treiben öffentliche Unzucht mit der deutschen spräche, nehmen an einer vom dunkel umhüllten bewegung teil, zerstören die bürgerliche Ordnung, führen die sozialistische gesellschaft ein ... das sind alles wörtliche zitate aus leserbriefen und Zeitungsartikeln. Doch es geht nicht um die jetzt diskutierte reform, sondern es sind die reformvorschläge aus dem Zeitraum von 1880 bis 1988 gemeint. Nein, es ist kein druckfehler. Schon 1880, als der preussische kultusmini-ster Robert von Puttkamer ein regel-büchlein für die schulen einführte, konnte man solche spräche lesen. Seitdem sind diese Sprüche nicht anders geworden.

Soviel von majonäse, tunfisch, del-fin, jogurt, hämorriden und katarr war schon lange nicht zu lesen, wie wenn die ganze weit eben nur aus diesen dingen bestünde. Die presse erlebt einen boom von pseudo-sprachwis-senschaftlichen auslassungen. Die neue Schreibung „quäntchen” sei unberechtigt, weil nicht die verwandt schaft mit „quant” und „quantität” entscheidend sei, sondern die her-kunft von „quent”, einem alten deutschen gewicht. Das ist brav in den Wörterbüchern gestöbert, aber wer kennt wirklich das „quent”? Sicher nicht die faulen, blöden und dummen, die eine einfache rechtschreibung haben wollen. „(Ver)bläuen” gehört natürlich auch nichtzu „blau”, sondern es ist mit _

„pleuelstange” verwandt und leitet sich aus einer Wortsippe mit der bedeutung „stos-sen” her. Immerhin gibt es oft blaue flecke. In der reform wird eben versucht, an alltagssprachliche wort-verwandtschaften anzuknüpfen. So schlecht ist das nicht. Aber vieles an der aktuellen reform ist tatsächlich fragwürdig und halbherzig, und wer beim schreiben nachzudenken beginnt, der hat meist schon verloren: danken, weil gedanke? schänken, weil (die) schank? sänden, weil (der) Versand? Ableitung, wo ist deine grund-form? Und wo wird im deutschen sprachraum in der alltagssprache ä tatsächlich anders als e ausgesprochen? Fragwürdig und halbherzig ist aber vieles deswegen, weil die boulevardpresse mit ihrem gesunden men-schenverstand und mit ihrer achtung der überkommenen' werte manche kernweichen politiker mit klein geschriebenen heiligen vätern und letzten Ölungen ins innerste trifft, auch wenn alles schon damals nicht wahr war. Manches ist aber ein eindeutiger fortschritt;sosind immerhin viele unsinnigen gross-und kleinschreibungsprobleme ausgeräumt worden, und an der Zeichensetzung hat sich ebenfalls einiges geklärt. Die gemässigte kleinschreibung konnte man leider nicht durchsetzen und dasß nicht abschaffen. So geht es aber, wenn die Schreibung zum poli-tikum wird.

Respekt gebührt den Schriftstellern wie Ernst Jandl, die die reform ablehnen, weil sie zu wenig weiterbringt,

Für die Köpfe & Herzen geeignet?

Einige Fakten sollten in der Diskussion eigentlich außer Streit stehen: So zum Beispiel, daß sich lebendige Sprache verändert und ein Nachdenken über Reformen daher nicht schon per se als Ausdruck allgemeinen Werteverfalls gesehen werden müßte. Bekannt ist auch, daß es so etwas wie verbindliche Rechtschreibung erst seit dem 19. Jahrhundert, nicht etwa seit Anbeginn der Menschheit, gibt. Weitgehend unbestreitbar dürfte sein, daß; die derzeit geltenden Regeln alles andere denn konsequent zu nennen sind. Von den oft zitierten Spitzfindigkeiten bei der Groß-Klein-Schreibung einmal abgesehen, ist auch offenkundig, daß die Eindeutschung von Fremd- und l/'ii worten längst im Gange war -man denke an Büro (aber Chauffeur) oder Geografie (aber Philosophie). Gespannt darf man sein, ob und wie die nun vorliegende Kompromißreform (daß es sich um eine solche handelt, bestreitet niemand) sich in die Köpfe und Herzen einnisten wird. Ist es möglich, daß die Reform bald schon recht grau und alt aussehen wird? RM respekt auch denen wie Hans Magnus Enzensberger, die auf ihre mänu-skripte schreiben „nicht nach du-den!”. Respekt schliesslich auch denen, die das obrigkeitliche regulieren ablehnen und auf ihre persönliche Schreibweise bestehen. Sie alle müssen sich auf dem markt bewähren. Aber allen, die sich angesichts dieses reförmchens schämen und von unerträglicher nivellierung sprechen, müssen sich gefallen lassen, nach elitärem Standesdünkel zu riechen, auch wenn sie das vielleicht nicht wollen. Tatsächlich ist die diskussion um die rechtschreibreform weitgehend nichts anderes als die folge eines kul-turkampfes. Da wird auf den sack eingedroschen, wenn der esel gemeint ist, und die rechtschreibreform samt ihren befürwortern ist ein trefflicher sack. Die deutsche spräche freilich ist wohl.dann am schönsten und wirksamsten, wenn sie direkt in die herzen der menschen eindringt, ganz ohne Orthographie.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung