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Aus der Niederung des Ungedruckten

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Auf jedes Buch, das in einer Auslage zum Verkauf ausliegt, entfallen etwa fünfzig Manuskripte von Romanen oder Novellen, die niemals gedruckt werden, weil sie zu tief unter dem spradilichen oder geistigen Durch- schnittsniveau stehen, das sich eine Herausgabe rechtfertigen würde. Nur die Lektoren, denen die Prüfung solcher Manuskripte obliegt, sind vertraut mit diesen Niederungen der Lite ratur und ihrer verwahrlosten und verkrüppelten Formenwelt. Es lohnt sich jedoch, ihre auffälligsten Merkmale und die Bedingungen ihrer Entstehung zu erforschen; Ent- artungs formen dieser Art lassen manche Rückschlüsse auf die Kräfte zu, die hinter der Zeit ihre unsichtbaren Spiele treiben. Einige von ihnen zu erkennen, ist im Falle der ungedruckten Literatur nicht einmal schwer, denn deren Erzeugnisse zeigen in allen wichtigen Punkten erstaunlidie Übereinstimmungen, die manchen Hinweis geben können.

Herkunft oder Beruf des Autors spielt eine kaum differenzierende Rolle. Der in den Mußestunden eines Fachgelehrten geschriebene Roman, wenn er in die Klasse des nicht

Druckfähigen fällt, üntersdieidet sich von dem eine literarisch ambitionierten Handwerkers oft nur durch die bessere Beherr- sdiung der Rechtschreibung; die Masse der Arbeiten, deren Autoren zumeist aus den intellektuellen Mittelschidnen stammen, bietet ein völlig homogenes Bild. Selbst in der Themenwahl lassen sich gemeinsame Nenner erkennen, die beweisen, daß die Autoren Zeitstimmungen allgemeiner Art folgen. So ist zu bemerken, daß heute die vor einem Jahr noch überwiegende Konzentrationslager- und Kriegsliteratur, wie überhaupt Darstellungen sogenannter „gegenwartsnaher“ Themen, fast vollständig fehlen, aber auch utopische, die technische Entwicklung vorwegnehmende Romane verschwunden sind. Hingegen werden mit zunehmender Vorliebe historische Schauplätze und Epochen aufgesucht, vor allem natürlich, dem genius loci folgend, die nachgerade als goldenes Zeitalter Wiens sufgefaßten Makart- Jahre. Gerne wird auch die Hoffnung in eine nahe Zukunft vorverlegt, in der freilich alles schon wieder so ist, wie es vor dem zweiten Weltkrieg war — eine naive Flucht in eine sozusagen historische Zukunft. Auch fällt auf, daß die häufigen S t i 1 k o p i e n. denen man in der ungedruckten Literatur begegnet, z u- meist in die Zeit um die Jahrhundertwende zurückgreifen; vor allem ist es Hamsun, dessen Spracheigentümlichkeiten gerne nachgeahmt werden. Nur ausnahmsweise verrät sich der Einfluß von Werken nach 1900. Der Expressionismus beispielsweise, obwohl eigentlich schon in die historische Betrachtung einbezogen, ist in diese tieferliegende Kulturschicht noch nicht durdigesickert.

Die stillschweigende Ächtung der Gegenwart ist allgemein, die Hoffnung auf die Zukunft gering, die Vergangenheit der guten alten Zeit ist das Feld, über das die Autoren ihre Wunschträume fliegen lassen. Dennoch vollziehen sich Einbrüche der Gegenwart überall dort, wo der Autor nicht mehr die Macht der bewußten Entscheidung besitzt. Dies aber äußert sidi am deutlichsten im Gebrauch der Sprache.

Es zeigt sich gerade am Beispiel der un- gedrucktcn Literatur, daß weithin das G e- fühl für die Lebendigkeit der Sprache in erschreckendem Ausmaße verlorengegangen ist. Das P nomen der Erstarrung des lebendigen Wortgefüges zur Phrase beschränkt sich längst nicht mehr auf die Spalten der Zeitungen, den Amtsjargon und die GesdiäftsspracKe. In den ungedruckten Manuskripten herrscht die Phrase absolut; hier hat sich ihre schematisierende und abkürzende Wirkung jeden Inhalts bemächtigt. Sie erhält den Rang einer Symbolformel zuerkannt, die stark genug ist, alleiniger Träger eines sich in Geist oder Gefühl ab- spielenden Vorgangs zu sein oder eine Person, eine Handlung, ja selbst eine ganze Szene knapp und sicher zu bezeichnen. Sie enthebt ihren Benützer jeder sprachlidien Bemühung und macht zugleich seine sprachliche Phantasie überflüssig: es bedarf ledig- lidi einer gewissen technischen Geschicklichkeit, um die gewünschte Intensität eines Vorgangs durch die richtig abgewogene Anhäufung entsprechender Symbolphrasen zu erzielen. In der Tat sind ungezählte Manuskripte der ungedruckten Literatur erst unter diesen Voraussetzungen verständlich. Es kommt hinzu, d ß die durch eine Phrase wieder gegebenen Dinge ebenfalls einer radikalen Vereinfachung und Typisierung unterliegen. Hierin begegnet sich ihr Einfluß mit dem einer anderen Macht, die man in diesem Zusammenhang ruhig als dämonisch bezeichnen kann — dem Kino.

Das Kino, ist die Welt, aus der diese Autoren ihre Erfahrungen schöpfen, in deren geistigen Kategorien sie denken, aus der sie ihre Stoffe und ihre Figuren beziehen. Manche sind sich dessen halb bewußt; sie lassen die Helden der Handlung etwa angesichts eines Films Entschlüsse fassen oder sich an einen Film erinnern, nach dessen Vorbild sie sich benehmen oder aus dem sie Vergleichsmaterial beziehen. Hier wird dem Film also ohne Bedenken eine das wiiklicbc Leben regulierende Funktion zugestanden. Der übermächtige Einflvß des Kinos läßt sich mühelos bis in die nebensächlichsten Einzelheiten hinein verfolgen. So greifen die Autoren, wenn sie ihre Helden schildern, weder in das volle Menschenleben der Reali tät noch auch auf literarische Vorbilder zurück; bewußt oder unbewußt werden statt dessen Filmstars beschrieben — so eindeutig, daß man lediglich aus der Kenntnis der ungedruckten Literatur schließen könnte, welcher Filmstar sich jeweils besonderer Popularität erfreut. Was den Autor dazu veranlaßt, ist klar genug: er ist der Notwendigkeit enthoben, Typen zu schaffen, weil ihm der Film solche in reicher Auswahl liefert, Typen, deren faszinierender Eindeutigkeit er sich wohl auch gar nicht entziehen kann. Die Übertragung eines menschlichen Bildes in das Schema der Filmleinwand und von hier in die maschingeschriebenen Zeilen des Manuskripts hat zur Folge, daß das so entstandene Bild dem lebendigen Dasein völlig entfremdet ist. Die menschenähnlichen Filmwesen werden in dieser letzten Übersetzung zu bloßen Symbolen oder Chiffern des lebenden Menschen, in denen Relikte der Wirklichkeit noch ein geisterhaftes Scheinleben führen. Eine Reduzierung des Lebens also, welcher die Erstarrung der Sprache zur Phrase entspricht.

In ähnlicher Weise wird die FI a n d 1 u n g typisiert, indem sie nach dem Vorbild des Films in eine Aufeinanderfolge von Bildern zerlegt wird. Bekannte Milieuschablonen, die dem Film zu starker atmosphärischer und bildhafter Wirkung verhelfen, werden ohne weiteres übernommen: Spitalsräume, Konzert - und Gerichtssäle, das Heim des gutsituierten Künstlers und dergleichen mehr. Dieser bildmäßigen Wirkung unterwirft sich die innere Entwicklung, der logische Zusammenhang, und so stellt die eigentliche Handlung oft nur mehr den roten Faden dar, der die einzelnen Bilder zusammenheftet. Die Abhängigkeit vom Bild geht so weit, daß an den wichtigsten Punkten, etwa in der Auseinandersetzung zwischen den Hauptpersonen, die Sprache karg und der Dialog unterdrückt wird. Auch dieses in der ungedruckten Literatur bis zur Manie getriebene Charakteristikum ist nur aus der Nachahmung des Films zu erklären, der es ja liebt, in solchen Augenblicken auf das Wort ganz zu verzichten, um dafür Großaufnahipen eines Mienenspiels oder eine photogene Art der Symbolik einzusetzen, indem er etwa eine Gefühlsemotion durch das Vorüberhuschen von Schatten oder ähnliche Mittel andeutet. Diese Beschränkung auf das rein Optische ahmt der Autor, anstatt alle Register der Sprache zu .ziehen, getreulich nach, in dem er die Großaufnahme durch bildliche Beschreibungen zu ersetzen bemüht ist. Er macht die „Überblendungen“ des Films nach, wenn er etwa einen seiner Helden sich der fernen Geliebten erinnern läßt, indem er vor allem die ausführliche Beschreibung einer Landschaft gibt, in welcher er sie kennenlernte.

Das sind Beispiele, deren Reihe man beliebig verlängern könnte. Sie genügen, um verständlich werden zu lassen, warum die Produkte der ungedruckten Literatur eine undifferenzierte Masse bilden, überdies aber auf einem unbeschreiblich tiefen Niveau stehen. Die Ursachen liegen in der erstarrenden Macht der Phrase und in der Zersetzung der Phantasie durch die Scheinwelt des Films.

Solche Einflüsse finden sich m vielen Schichten der literarischen oder pseudoliterarischen Produktion unserer Tage. Man braucht nur einige der massenweise hergestellten und vertriebenen Kolportagerotnane, aber auch gewisse literarische Bestsellers durchzublättern, tun zu ähnlichen Schlüssen zu gelangen. Doch ist in solchen Fällen vor allem die Annäherung an den Film bewußt und oft genug fast skrupellos durchgeführt — eben weil auf das breite, unter dem Einfluß des Kinos stehende Publikum und dessen Geschmack spekuliert wird. Letzteres ist in den Manuskripten der ungedruckten Literatur verblüffend selten der Fall. Im Gegenteil: die Autoren meinen es bitter ernst und sind mit allen Kräften bemüht, wahrhafte, künstlerische Arbeit zu liefern und es berührt fast tragisch, daß sie nicht aus dem unsichtbaren Zauberkreis der dämonischen Welt des Kinos und der Phrase treten können. Die Erkenntnis, daß die breiteste unterste Schichte der Literaten dieser lemuren'haften Scheinwelt rettungs- und hilflos verfallen ist, erklärt so wenigstens zum Teil auch den Mangel an guter Gebrauchsliteratur.

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