6545746-1947_14_06.jpg
Digital In Arbeit

Aus der Werkstatt des Schriftstellers

Werbung
Werbung
Werbung

Die nachstehende Skizze wurde bei unserem Preisausschreiben als beste humoristische Erzählung bewertet.

„Die Furche“

Heute war der Vater wieder einmal sehr verärgert. Alle fünf Minuten kam er aus seinem kleinen Arbeitszimmer zu uns herüber in die Stube, störte mich bei meiner Hausaufgabe und machte die Mutter nervös durch sein Gerauche und Herumgehüpfe.

„Was ist denn schon wieder los?“ fragte sie.

Sein Schriftleiter habe ihn ersucht, er möge einen Aufsatz schicken: „Aus der Werkstatt des Schriftstellers.“ Er komme aber mit seinem Geschreibe nicht weiter.

„Das glaub ich schon“, sagte die Mutter, „schreib halt nicht so hoch, schreib so, daß es vernünftige Leute auch lesen können.“

Das hätte sie nun nicht sagen sollen, aber vor Arbeit wußte sie nicht, wo ihr der Kopf stand, und der Vater hatte sie mit seinem Herumgelatsche eben nervös gemacht. Der wurde jetzt ganz böse und verkündete, er schreibe überhaupt nicht für vernünftige Leute. Der Aufsatz wäre gut bezahlt worden, da hätte die Mutter sich einen neuen Hut oder so was kaufen können, nun aber gebe er es auf.

Er ließ eine kleine Rauchwolke in der Stube zurück und dann hörten wir ihn die Stiege hinunterklappern. Die Mutter seufzte und ich begab mich in die Werkstatt des Vaters. Er hatte nach dem Titel nur zweieinhalb Sätze geschrieben! Wenn ich es bei der Schularbeit auch einmal so gemacht hätte!? Aber sein Start war, soweit ich es beurteilen konnte, wirklich nicht recht gelungen. So wäre er gewiß nicht weitergekommen. Und er hätte nie geschrieben, wie es in seiner Werkstatt in Wahrheit zuging. Nicht, daß ich sagen möchte, er hätte etwa gelogen, das gerade nicht, aber er würde zum Beispiel nie gestehen, daß er erst dann gut schreiben kann, wenn er in seinen Hauspatschen steckt, die Beine über-einanderschlägt und nun den linken Patschen an der großen Zehe hin und herbaumeln läßt wie ein Pendel. Ich habe ihn gut beobachtet, ich will auch einmal Schriftsteller werden. So, mit dem Pendelpatschen, hat er die spannende Abenceuergesdiichte für Buben geschrieben, die er mit sogleich seitenweise zum Lesen und Verbessern gegeben hat.

Lieber Herr Schriftleiter! Jetzt schreibe i c h den Aufsatz aus der Werkstatt und ich bitte, das Geld dafür an meinen Freund zu schicken; ich lege seine Adresse auf einem Zettel bei. Wenn es zu uns käme, hätte ich nur Unannehmlichkeiten. Ich habe keine Angst, daß Sie mit meinem Aufsatz nicht zufrieden sein würden. Der Vater sagte einmal zu meiner Mutter, wenn er so schreiben könnte, wie ich oft daherrede, dann wäre er ein gemachter Mann. Es sei jetzt modern, alles hinzuschreiben, was einem gerade einfalle. Da gäbe es Schriftsteller in Amerika und anderswo, die schrieben in dicken Romanen alles daher, was ihnen so in den Sinn käme. Wenn in einem solchen Roman einer im Wartezimmer eines Arztes eine halbe Stunde warten müsse, dann müsse auch mindestens durch eine“ halbe Stunde lang zu lesen sein, was dem Manne da alles durch den Kopf gegangen sei. Bei mir würde so was fast eineinhalb Stunden lang dauern, weil mir gleichzeitig — ich hab's noch nicht ganz heraus —, weil mir immer gleichzeitig zwei und drei verschiedene Sachen durchs Gehirn laufen. Die Mutter meinte, er möge es doch auch so machen wie der Amerikaner, aber der Vater sagte, er sei da nicht so trainiert und dann brauche es auch allerhand Reklame dabei. Ich machte mich damals ja erbötig und bat, der Vater möge sich nur an die Sdireibmaschine setzen, ich würde ihm diktieren, die Stunde für einen Schilling. Er verkündete aber, ich hätte wohl das richtige Gewurle in meinem Kopfe, sei aber noch zu dumm und zu unerfahren, um Romane zu schreiben. Dabei müsse die Dummheit auf dem Kugellager der Klugheit laufen. So ungefähr sagte er, ich habe es mir gemerkt und verstehe es heute noch nicht.' Aber das sehen Sie doch, Herr Schriftleiter, daß es bei mir zügig vorwärts geht. Der Vater wollte eben seinem Dreizehnjährigen keine Chance geben, die Großen sind so! „Chance“ habe ich soeben nachgeschlagen im Wörterbuch, sonst hätt ich's nicht richtig geschrieben. In Zukunft schlag ich nicht mehr oft nach, das hält zu sehr auf, Sie haben ja Ausbesserer genug. Der Vater hat oft gesagt, wenn ihm das Nachschlagen zu dumm wurde: „Da kritzl . ich halt was hin, das man nicht lesen kann, die machen's schon richtig!“

Er muß nämlich furchtbar oft nachschlagen und behauptet, ich hätte ihn verdorben. Früher habe er bewußtlos rechtgeschrieben; dann habe er meine Aufgaben lesen müssen und meine wahnsinnigen Schreibeinfälle hätten ihn gelähmt wie einen nachdenklichen Tausendfüßler die Sorge um seine Hühneraugen. Wenn ich ihn zum Beispiel frage, ob man „hielt“ mit i-e oder ohne e oder mit h schreibe, dann schaut er mich mit verlorenem Werkstattblick an: „Das ist doch ganz klar — aber jetzt, wo du mich fragst — ich hätte es dir ganz genau sagen können, wenn du mich nicht gefragt hättest“, ärgerlich, „fahr ab, laß mich in Ruh mit solch selbstverständlichen Dingen!“ Dabei darf ich nicht einmal lachen. Ganz unmöglich ist es geworden, ihn um eine Auskunft über die „Esse“ zu bitten, ob scharfes, Ringel- oder Doppel-s. Er deutete einmal an, die Schreibmaschine sei schuld, weil man da an Stelle des scharfen ein doppeltes s setze. Aber ich hab festgestellt, daß er bei seiner Maschine rechts oben ein wunderschönes scharfes s hätte. Er ist wohl nur zu faul, da hinauf zu tippen!

Ich habe das „Tagebuch eines bösen Buben“ gelesen. Der hat ja seine eigene Rechtschreibung. Aber sie erschwert das Lesen und kommt mir übertrieben vor wie der ganze Inhalt. Ich möchte mich mehr ans Tatsächliche halten. Der Vater muß

überhaupt viel nachschlagen! Wenn er eine neue Arbeit beginnt, dann sucht er sich eine Menge Bücher zusammen. Gewöhnlich findet er'dabei eine kleinere Schrift nicht sogleich und verdächtigt mich, oder den Bruder, oder die Mutter, wir hätten sie verschleppt. Dann beginnt ein nervöses Gesuche um „verschleppte Schriften“ vom Keller bis zum Dachboden. Die Schrift liegt aber schließlich immer in seinem Schreibtisch oder im Bücherschrank und hatte sich nur ein bißchen verschloffen. Hierauf beginnt der Vater nachzulesen und auszuziehen, nicht sich, sondern die Bücher, und fast immer verliest er sich dabei. Er vergißt die vorgenommene Arbeit und anderes, und kommt dann schrecklich verärgert zum Abendessen. „Es ist ja alles schon geschrieben und gedruckt“, sagte er mir einmal, „der Trick ist nur, daß nicht alle alles gelesen haben; das rettet den Schriftsteller.“ Ist der Vater .einmal über die erste Seite hinausgekommen, dann geht's gewöhnlich hurtig vorwärts. Wenn ich ihn nun weiter anpulvere: „Heut bis du aber brav gewesen!“ da schaut er mich an wie der Ritter von der traurigen Gestalt.

„Das ist's ja, was mich so maßlos erbittert: das Vielschreiben ist das Übel! Ein Buch ist viel leichter zu schreiben als eine Seite; aber diese Seite kann man erst schreiben, wenn man das Buch verbrochen hat.“

So ihat er wörtlich gesagt; ich hab ein Gedächtnis wie ein Staubsauger und schreib mir seine Aussprüche heimlich auf. Sonst zerreißt er sie mir, weil sie doch nicht von ihm seien. Das ist auch von ihm: „Ein guter Schriftsteller hat richtige Einfälle, nämlich Einstürze von angelesenen Gedankengebäuden. Da kommt alles durcheinander, das sieht dann neu und eigenartig aus.“

Manchmal sitzt der Vater da und starrt in die Luft. Dann springt er auf und wandert in die Stube hinüber und stört die Kinder und macht die Mutter nervös und zündet sich eine Zigarette nach der andern an. Die Mutter will er damit trösten; daß der Rauch sich ja in Geist verwandle. Sie möge froh sein, daß er ihr nicht seine Fragmente vorlese. Ein großer Dichter habe immer seiner Köchin vorgelesen, um sich über seine Gedanken klar zu werden. Die Mutter meinte, sie wäre glücklich, wenn er eine Köchin anstellen könnte, sie komme mit der Arbeit ohnehin nicht mehr nach, und fürs Vorlesen müßte man der Köchin halt einen höheren Lohn geben. Übrigens möge der Vater es einmal statt mit Zigaretten mit Kaugummi versuchen. Die Nachbarin habe ein Paket aus Amerika erhalten, da könne sie Kaugummi gegen Zigaretten eintauschen, daß sei gesünder und stinke nicht sosehr. Der Vater blickte zum Himmel und verkündete, er könne und dürfe seine „Arbeitslage“ nicht antasten; Kaugummi entspreche nicht seinen dichterischen Grundsätzen.

In der warmen Jahreszeit versuchte der Vater einige Male, im Garten zu schreiben. Aber da störten ihn die Ameisen oder die Fliegen, oder die Wespen oder das Kindergeschrei. Und er teilte uns mit, ein berühmter englischer Schriftsteller habe es so weit ge-' bracht, daß er in einem nach dem Sonnenstand drehbaren Gartenhäuschen dichten könne. Da sei es natürlich ein Kinderspiel. Auch sei eine solche Arbeitsweise sehr gesund. Der Dichter sei außerordentlich alt geworden dabei und die Leute seien heute nur noch darauf neugierig, wie er eigentlich ohne seinen langen, großen Bart wirklich aussähe. Dieses Geheimnis wolle der Dichter aber noch immer nicht preisgeben.

Es kommt oft vor, daß der Vater in seiner Werkstatt mit dem Absatz an die Wand hinter ihm trommelt. Dann stürze ich aus der Stube hinüber und er schreit mich an: „Biene bis Dudelsack!“, oder: „Kamel bis Leberfleck!“ Ich rase zurück in die Stube und bringe ihm den entsprechenden Band des Lexikons, wo so viel drinn steht, was ich noch nicht wissen soll. Der Vater braucht es sehr oft und nennt es: „Handbuch des Wissens“, weil er Fremdwörter nicht liebt. Als ich einmal das schwere Buch nur in einer Hand trug, fiel es mir zu Boden. Um sein Geschimpfe abzuschneiden, fragte ich ihn, warum es nicht „Händebuch“ heiße. Er wurde sehr sachlich und erklärte mir allerhand; es heiße ja auch nicht „Händeschuh“ und „Füßeboden“. Als ich einwarf: „Und ,Nasen-bohren' und .Ohrenschmalz'?“, warf er mich hinauf. Die Großen werden immer ärgerlich, wenn man ihnen nicht klein beigibt. Auch untereinander halter sie es so. Als ich einmal einen schwierigen Hausaufsatz hatte, legte die Mutter dem Vater nahe, mir zu helfen. Er behauptete, wenn er schon helfe, müsse er das Ganze schreiben, das ginge aber nicht, weil er seinen eigenen Stil (das hab' ich doch wieder nachgeschlagen) hätte, und weil es Betrug sei. Da half mir die Mutter. Und nun wollte der Vater es unbedingt durchlesen und verkündete hierauf, die Mutter sei, obwohl sie Lehrerin gewesen sei, trotzdem im Gebrauch von „obwohl“ und „trotzdem“ nicht sicher. Die Mutter war sehr beleidigt und gab trotzig kund, was richtig sei, daß bestimme sie, und sie allein. Der Vater ersuchte sie, sachlich und logisch zu bleiben. Worauf ihn die Mutter fragte, ob heuzutage noch etwas sachlich und logisch sei. Der Vater zog sich kopfschüttelnd in seine Werkstatt zurück.

Lieber Herr Schriftleiter! Wenn Sie diesen Aufsatz nicht verwenden können, dann schicken Sie ihn, bitte, nicht mir zurück, sondern meinem Freund. Unlängst schickte eine Zeitschrift dem Vater einen Aufsatz zurück. (Ich trage ihm ja die Briefe zur Post und halte seinen Schreibtisch unter meiner Kontrolle.) Beim Mittagessen sagte er zur Mutter, die „Stille Stunde“ werde auch von Monat zu Monat schlechter und werde wohl bald eingehen. Er werde sich hüten, da noch mitzuarbeiten. Ich habe seinen Aufsatz dann gelesen. Er war sehr schön und hatte den

Titel: „Wir wollen nicht mehr eitel sein!“

Sie haben nun einen kleinen Einblick in die Werkstatt meines Vaters und in meine Werkstatt ' getan. Ich könnte noch lange weiterschreiben, aber ich fürchte, Sie haben genug.

Heute, nach dem Mittagessen, teilte die Mutter eine saftige Birne für uns alle auf. Sie erzählte dem Vater, daß sie nun zum neunten Male bei der Schneiderin gewesen sei, die für uns Hemden nähen sollte. Die Schneiderin verspreche und beteure immer wieder, daß sie nun ganz bestimmt Wort halten werde. Es sei aber alles umsonst und vergeblich. Die Mutter gab . ischauliche Einzelheiten aus diesem Kampf und schloß: „Ich glaube, es ist am besten, keine langen Geschichten zu machen und einfach zur Polizei zu gehen; was würdest du machen?“ Der Vater schaute auf sie mit seinem besten Werkstattblick: „Ich könnte eine Kurzgeschichte draus machen.“

Worauf ihm die Mutter die Birnsehnitte wegnahm, um sie mir zu geben.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung