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Bekenntnis zu Mozart

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Der letzte Ehrgeiz des nachschaffenden Künstlers sollte die authentische Wiedergabe im Geiste des Schöpfers sein. Aber wer entscheidet darüber, ob eine Aufführung authentisch ist? Ganz oberflächlich könnte man sagen, eine Wiedergabe sei dann authentisch, wenn sie die Aufzeichnungen des Komponisten bis ins kleinste Detail, etwa der dynamischen oder tempomäßigen Vortragsbestimmungen, befolgt. Aber jeder Musiker weiß, daß die feinsten dynamischen und agogischen Schwebungen nicht in der Partitur stehen. Es gibt kleinste Modifikationen des Tempos oder der Ausdrucksnuancen, durch deren Durchführung die geheimsten Absichten eines Komponisten oft erst ganz klar zutage treten. Ganz gewiß bleibt auch bei der sich von selbst verstehenden genauesten Berücksichtigung der Vortragsbezeichnungen ein gewisser Spielraum für die persönliche Auffassung eines nachschaffenden Künstlers, in dem er sozusagen frei waltet. Dazu kommt noch das Gesetz des Stilwandels. Es gibt nicht nur die individuell verschiedenen Auffassungen innerhalb einer und derselben Zeit, die Auffassung der Gesamtheit verändert sich im Wandel der Zeiten. Die Stile wechseln, weil sich das Stilgefühl verändert. Wird die Welt mit einem Genius vertraut, so zeigt sich das interessante Phänomen, daß dadurch auch ihr Verhältnis zu dessen Vorgängern eine Aenderung erfährt. Man hört Beethoven nach Wagner anders als vor ihm. Das Ergebnis des äußerst differenzierten Strauß-Orchesters hat zweifellos auch die Beziehung zu Mozart verändert.

Unterscheiden wir doch gerade zwei Mozart-Ideale, deren Herrschaft sich im Wandel der Zeit ablöste. Das Mozart-Bild unserer Vorfahren war der Rokoko-Mozart, er war beschränkt auf eine Welt, die man durch die Begriffe „Anmut“ und „Grazie“ charakterisieren kann. Das zweite Mozart-Ideal, von dem wir wissen, ist wesentlich männlicher bestimmt, es ist bestimmt durch das Bild des Revolutionärs, den wir in zunehmendem Maße in Mozart erkennen lernten. Er hat im Gegensatz zum Anmutig-Graziösen seine feurigen, ja sogar faustischen Elemente. Ueber-zeugt uns ein einziger Blick auf Mozarts Biographie davon, daß in ihm nicht weniger revolutionäres Blut flammt, als in Beethoven, so darf man auch nicht vergessen, daß Mozart der große Dramatiker, bei aller Bestimmtheit durch das Rokoko, Shakespeare und Goethe nahesteht.

Wenn wir zuletzt noch vom Dramatiker weg zum Symphoniker hinsehen, müssen wir nicht auch hier den Stilwechsel der Interpretation feststellen? Man kann Mozart in den ersten Symphonien Beethovens finden. Es ist aber auch möglich, aus den drei großen Symphonien Mozarts Beethovensche Vorwegnahme herauszuhören. Bekundet nicht etwa das Finale der „Jupiter-Symphonie“ eine Gewalt der Tonsprache, wie sie vorher noch nie vernommen wurde? Und spricht nicht aus den langsamen Sätzen eine Tiefe, welcher der gewiß nicht gerecht wird, der noch in der Vorstellung des tändelnden, bloß liebenswürdigen Mozart befangen ist? Mozart bezeichnete einmal den Tod als den eigentlichen Endzweck des Lebens. Er wußte um die Geheimnisse des Todes, davon spricht nicht nur sein „Requiem“.

Nichts wäre also abwegigen, als einen einheitlichen, für alle Werke und für alle Zeiten gültigen Mozartstil aufzustellen beziehungsweise dekretieren zu wollen. Seine Schöpfungen sind unerhört subtile Kian8gehilde, die allen Regungen menschlicher Gefühle und Leidenschaften in minutiöser Abstufung folgen, und nur der Dirigent wird „mozartisch“ interpretieren, dem sich diese einmalige musikalische Gefühlswunderwelt wirklich erschlossen hat. Der interpretierende Künstler hat mit reinen Sinnen, von Ehrfurcht geleitet, dem zu lauschen, was uns der größte Genius der Musik offenbarend zu sagen hat. Jede nachschaffende Leistung ist irgendwo Subjekt, sie wäre anders nicht echt, da sie ja in irgendeiner Hinsicht immer von Zeitgefühlen und ästhetischen Wandlungen mitbestimmt wird. Ueber allem aber steht das Objekt, dem die Interpretation in selbstloser Treue und ohne alle Ichbetonung zu dienen hat. Haydn schreibt einmal in einem Briefe vielleicht die schönsten Worte, die je über Mozart geschrieben worden sind: „Denn könnt' ich jedem Musikfreunde, besonders aber d'en Großen, die unnachahmlichen Arbeiten Mozarts, s o tief mit einer so großen Empfindung in die Seele prägen, als ich sie begreife und empfinde: so würden die Nationen wetteifern, ein solches Kleinod in ihren Ringmauern zu besitzen. Prag soll den theuren Mann festhalten — aber auch belohnen; denn ohne dieses ist die Geschichte großer Genien traurig und gibt der Nachwelt wenig Aufmunterung zum ferneren Bestreben; weswegen leider soviel hoffnungsvolle Geister darnieder liegen. Mich zürnt es, daß dieser einzige Mozart noch nicht bei einem kaiserlichen oder königlichen Hofe engagiert ist! Verzeihen Sie, wenn ich aus dem Geleise komme: ich habe den Mann zu lieb.“ — Von dieser Liebe sind auch alle meine Interpretationen dieses „einzigen“ Mozarts geleitet.

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