Bel Kaufmann: Unerschütterbares Vertrauen in die Macht der Bildung

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Der Roman „Die Abwärtstreppe rauf“, 1964 in den USA erschienen, liegt nun auf Deutsch vor.

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Der Roman „Die Abwärtstreppe rauf“, 1964 in den USA erschienen, liegt nun auf Deutsch vor.

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Eine Vergessene ist Bel Kaufman, die Enkelin von Scholem Alejchem. 1911 in Berlin geboren, emigrierte sie mit ihren Eltern im Alter von elf Jahren in die USA, wo sie mit 103 Jahren verstarb. Aufgewachsen ist sie in Odessa, wo die Wurzeln ihrer Familie liegen. Früh begann sie zu schreiben. Mit sieben Jahren brachte sie ihr erstes Gedicht in einer ukrainischen Zeitung unter. Sie arbeitete als Lehrerin in New York und wurde später Bildungsberaterin. Bis ins hohe Alter tanzte sie leidenschaftlich gerne, und mit 99 Jahren nahm sie den Auftrag eines Colleges an, über jüdischen Humor zu unterrichten. Nun liegt ihr Roman „Die Abwärtstreppe rauf“, 1964 in den USA erschienen, auf Deutsch vor. Er gilt dort als Klassiker über den Schulbetrieb und den zermürbenden Kampf von Lehrerinnen gegen eine Unsinn nicht scheuende Bürokratie und den aufreibenden Versuch, jungen Leuten Bildung zu vermitteln.

Bel Kaufman war vom Typus eine moderne Amerikanerin, aufgeschlossen gegenüber allem Neuen, zu Veränderungen bereit. Ihr Roman lässt sich auch als einen Aufruf lesen, in der Schule nicht alles beim Alten zu belassen. Großes Vertrauen in die Kraft des Lehrpersonals, allen Widrigkeiten zum Trotz ihrem Bildungsauftrag nachzukommen, spricht aus dem Buch, das im Gewand eines unterhaltsamen Romans daherkommt und so alles, was zum Ärgern Anlass gibt, ins Komische verkehrt. Humor als Waffe, Bel Kaufman versteht es damit, eine Lanze für die Einzelkämpfer zu brechen. Sie nehmen sich auch der Jugendlichen aus schwierigen Verhältnissen an, denen Shakespeare gar nichts sagt, die aber dringend der Unterstützung bedürfen, um sich aus der Misere herauszuarbeiten. Kein schlechtes Wort über die Schüler, kein Bedauern, dass früher angeblich alles besser war. Die Englischlehrerin Sylvia Barrett, „die Audrey Hepburn von Calvin Coolidge“, wohl das Alter Ego der Verfasserin im Buch, hegt ein unerschütterbares Vertrauen in die Macht der Bildung, die sie munter weiterzutragen nicht müde wird.

Bei Schulromanen denken wir an Robert Musil oder Friedrich Torberg, die aus der Schülerperspektive von der Schule als Vernichtungsmaschine alles Individuellen erzählen. Bel Kaufman nimmt die andere Seite ein, schreibt von einem Schüler-Lehrerinnen-Pakt als Voraussetzung für gedeihliches Fortkommen aller Beteiligten. Der Feind steht draußen, eine Bildungspolitik, die mit den Realitäten nicht vertraut ist. Mit 58-jähriger Verzögerung lässt sich dieser Roman auf Deutsch lesen. Das sollten Sie auch tun.

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