Boris Pasternak und Marina Zwetajewa: Zwei intensive Dichterleben in Briefen

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Am 14. Juni 1922 wagt es Boris Pasternak, Marina Zwetajewa einen Brief zu schreiben. Sie lebte im Exil in Berlin, er blieb in Moskau. Politisch fanden sie keinen gemeinsamen Nenner, ihre Basis war die Poesie.

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Am 14. Juni 1922 wagt es Boris Pasternak, Marina Zwetajewa einen Brief zu schreiben. Sie lebte im Exil in Berlin, er blieb in Moskau. Politisch fanden sie keinen gemeinsamen Nenner, ihre Basis war die Poesie.

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Briefe sind besondere Zeugnisse der Literatur, wenn sie von außerordentlichen Charakteren verfasst werden. Sie zeigen die Persönlichkeiten, die sich hinter ihren Romanen, Gedichten und Theaterstücken verbergen, sehr persönlich in all ihren Vorlieben und Abneigungen, und sie stellen Zeitdokumente dar, wenn sie auf aktuelle Verhältnisse reagieren. Poeten vom Schlage Boris Pasternaks und Marina Zwetajewas verfassten Briefkunstwerke, nichts Flüchtiges haftet ihnen an, sie sind stets durchgearbeitet und ästhetisch veredelt.

Am 14. Juni 1922 wagt es Boris Pasternak, Marina Zwetajewa einen Brief zu schreiben. Sie lebte damals bereits im Exil in Berlin, er blieb in Moskau, arrangierte sich gegen alle Widerstände mit den Verhältnissen. Politisch fanden sie keinen gemeinsamen Nenner, ihre Basis war die Poesie. Sie erlaubte es Pasternak auch, Kontakt zur verehrten Dichterin aufzunehmen, indem er davon berichtete, wie tief bewegt er ihren Gedichtband „Werstpfähle“ wahrgenommen habe. Zwetajewa, die um zwei Jahre Jüngere, antwortet zunächst verhalten, es dauert, bis sie sich aus der Deckung wagt, um sich zu einer platonischen Form von Liebe in Briefen durchzuringen.

Die Bedingungen erwiesen sich für beide als miserabel. Zwetajewa lebte unter ärmlichen Verhältnissen zuerst in Berlin, später in Paris. Kontakte zu Dichterkollegen unterhielt sie kaum. „Ich lebe nicht ‚im Ausland‘, sondern in der Verbannung“, gestand sie Pasternak im Juli 1925, „ich koche selbst, pumpe Wasser, versorge Georgij (ihren Sohn, Anm. d. Red.), gebe Alja Französischunterricht.“ Pasternak, der ursprünglich Sympathien für die Revolution und den Kommunismus entwickelt hatte, geriet zunehmend unter Druck, litt unter Zensur und Sanktionen.

Wenn sich die beiden über poetische Vorhaben verständigen, einander Gedichte zukommen lassen, entsteht ein kleines, privates Reich der Freiheit. Die Beziehung kühlt ab, als sich Pasternak zur Sowjetunion bekennt, während für Zwetajewa eine Rückkehr unvorstellbar bleibt. Dennoch zieht sie 1939 in die Sowjetunion, als sich auch in Paris ihre Situation verdüstert, nachdem sie in Verdacht geraten ist, für das NKWD zu arbeiten. Ihr Mann wird verhaftet, ihre Tochter in ein Arbeitslager geschickt. Pasternak unterstützt sie nach Kräften, während sie von anderen führenden Köpfen aus der Kulturszene im Stich gelassen wird. 1941 begeht sie Selbstmord.

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