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Bücher aus Deutschland
Das österreichische Publikum hat bis jetzt wenig Gelegenheit gehabt, sich Aufschlüsse über die Art und den Umfang der deutschen Buchproduktion der Nachkriegszeit zu verschaffen. Kürzlich hat nun der Wiener Humboldt-Verlag in seinen Räumen eine Kollektion von etwa eineinhalb Tausend deutscher Bücher gezeigt, die in den letzten zwei Jahren erschienen sind und die wohl ein für die gesamte Produktion bezeichnendes Bild boten. Daß sie mit außerordentlichen Schwierigkeiten zu kämpfen hat, ist bekannt; die Knappheit an Papier — durch die Währungsreform nur vorübergehend gemildert —, die Dezimierung des Maschinenmaterials durch Krieg und Demontagen: all dies läßt jedes gedruckte Buch als eine Leistung ersten Ranges erscheinen. Die Herstellungskapazität hat sich um etwa 70% vermindert, so daß selbst große Verlage mit kleinen oder mittelgroßen Druckereien zu arbeiten genötigt sind. Hinzu tritt noch der allgemeine Raummangel; es ist irgendwie bestürzend, wenn man hört, daß der nach Stuttgart übersiedelte Reclam-Verlag in zwei Zimmern haust und in zwei Jahren nur vier seiner bekannten Bändchen und fünf weitere Bücher drucken konnte. Mehr noch, man kann kaum hoffen, daß diese Hindernisse in absehbarer Zeit, überwunden werden; selbst wenn Papier vorhanden wäre, fehlten immer noch die nur sehr schwer zu beschaffenden Großmaschinen.
Dazu kommt noch, daß sicKunzählige neue Verlage, Konjunktur witternd, in das Geschäft gestürzt haben, ohne auch nur die einfachsten Voraussetzungen dazu zu besitzen. Unter den 375 Verlagen, die im Frankfurter „Börsenblatt für den deutschen Buchhandel” aufscheinen, befinden sich nur etwa 75 schon bekannte Namen. Die Folge ist Verwirrung, Planlosigkeit und Sinken des Niveaus: fünf Verlage geben beispielsweise gleichzeitig dasselbe Buch heraus, nämlich „Alice im Wunderland”, und gleich siebzehn Verlage drucken die Werke Stifters und Gottfried Kellers nach. Es ergeben sich daraus verblüffende Preisschwankungen: Keyserlings „Buch vom Ursprung” kostet im Roland-Verlag DM 6.50, bei einigermaßen gleichwertiger Ausstattung im Bühler-Verlag DM 22.—.In Schilling umgerechnet, muten uns die deut schen Bücher bald erstaunlich billig, bald unverhältnismäßig teuer an. Übrigens haben wir ja in Österreich ähnliche Zustände in bescheidenerem Umfang ebenfalls erlebt, wenn sich auch, veranlaßt durch das Ende der ersten Nachkriegskonfunktur, der Weizen unter den Verlagen schon sehr von der Spreu geschieden hat.
Daß unter solchen Umständen die Ausstattung und das äußere Ansehen der deutschen Bücher zu leiden, haben, kann nicht wundernehmen., Sie besitzen zwar, allen Widrigkeiten zum Trotz, immer noch eine verhältnismäßig hohe Lettern- und Satzkultur; ähnliches läßt sich auch von der graphischen Ausstattung sagen, in welcher Beziehung der konservativere österreichische Verleger noch manches aufzuholen hat. Schlecht ist hingegen das Material, das kaum den Standard unserer Buchproduktion im ersten . Jahre nach dem Kriege erreicht; nur ausnahmsweise sieht, man holzfreies Papier, Halbleinenbände oder Umschläge. Die Buchbinderei ist fast durchwegs mäßig, was auf das Fehlen geeigneter Leimstoffe zurückzuführen sein dürfte.
Daran erweist sich, daß die österreichische Produktion der deutschen vorderhand noch überlegen und dank günstigerer Lebensbedingungen um etwa zwei Jahre voraus ist. Dies nicht nur in technischer und materieller Hinsicht, sondern auch inhaltsmäßig; unser Verleger sind nämlich leichter imstande, ausländische Übersetzung)!- und Urheberrechte zu erhalten, eine Möglichkeit, von der sie in der letzten Zeit reichlichen Gebrauch gemacht haben. Die deutschen Verleger haben diese Möglichkeit nicht, und so ist zu erklären, daß etwa 85% der deutschen Buchproduktion aus Neuausgaben oder Neuauflagen alter Autoren bestehen.
Es ist recht wahrscheinlich, daß unsere Verleger diesen Vorsprung werden weiter halten können, dies um so mehr, als im Laufe des letzten Jahres die Güte der österreichischen Produktion zweifellos beträchtlich zugenommen hat, so zugenommen, daß in einzelnen Fällen selbst Schweizer Editionen übertroffen werden konnten. Man darf übrigens nicht vergessen, daß die Schweizer Herstellung mit beträchtlichen Schwierigkeiten — vqr allem, was die Papierbeschaffung anlängt — zu kämpfen hat und die sehr teuer arbeitenden Schweizer Verlage auch devisentechnisch arg behindert sind. Es ist nicht unmöglich, daß die Schweizer Buchproduktion ihren Höhepunkt schon überschritten hat.
Alles in allem also: die Österreich i- sehe Produktion hat immer noch g r o ß e C h an c en, au fdem deutschsprachigen Markt eine bedeutende Rolle zu spielen. Sie sind noch nicht vergeben, wie man schon glaubte, befürchten zu müssen. Aber sie müssen erkannt und genützt werden.
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