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Das ABC des Phantastischen
Der jungeTVIann Benjamin Stein - er ist 1970 in Ostberlin geboren - hatte das „Alphabet des Juda Liva” schon vor vier Jahren durchbuchstabiert, wenn man der humoristisch gehaltenen Danksagung am Buchende glauben darf, denn sie ist mit „Berlin/Prag - 1991/92” datiert. Dieser Debütant hat die Technik bereits im kleinen Finger, wie man den neugierigen Leser verwirrt und den verwirrten neugierig bleiben läßt. „Das Alphabet des Juda Liva” weist nach, daß die ganze Welt aus 22 Buchstaben besteht und erzählt von A bis Z, wie verrückt es zugeht: in Berlin, Prag, Budapest, in den beiden Testamenten, der Thora, bei Rabbi Low, dem Golem und natürlich erst recht bei dem gemieteten Geschichtenerzähler Jakoby.
Der hat sich von einem jungen Ehemann engagieren lassen, dem keine Geschichte mehr einfällt, dessen Gattin Sheary aber nicht einschlafen kann, ohne eine gehört zu haben. Jacoby kommt laut Vertrag an jedem Dienstagabend punkt acht Uhr, bringt für Sheary einen Blumenstrauß mit (den der Gatte bezahlt) und hebt zu erzählen an, rauchend und trinkend, denn als Honorar hat er sich eine Flasche Wodka ausbedungen. Seine Besuche sind für das Paar so wichtig geworden, daß sie die „Wochen in drei Vordienstage und drei Nachdienstage” einteilen. Das erfährt man hinterher, denn schon in der Mitte der ersten Romanseite langt, an einem Dienstagmorgen, das skurril tex-tierte Telegramm ein: „bin verhindert da tot +++ notar meldet sich +++ beste grüße jacoby”.
Man kann sich vorstellen, wie eine Geschichte weitergeht, die derart anfängt, und das will heißen: Man kann es sich selbstverständlich nicht vorstellen. Fortan ist nicht mehr die Rede von den erzählten Geschichten, doch mag es immerhin so sein, daß der Roman als deren Zusammenfassung gelten soll. Im Epilog nämlich bekommt die Ich-Figur (jener Auftraggeber Ja-cobys) wieder einmal ihr Manuskript von einem Verlag zurück, das heißt in dieser Story, beinahe voraussehbar, daß er es nicht kriegt, denn in seinem richtigen Paß scheint im Postamt stets ein falscher Name auf.
Nachts wird er ins Polizeirevier gebracht, dort zeigt ihm der (plötzlich avancierte) Postler das geöffnete Paket (das tatsächlich sein Skript enthält) und rügt: „Wie kann man nur so etwas schreiben!” (vorweggenommenes Kritikerecho?), dann wirft er es ins Feuer.
„He! Romane zu verbrennen ist unmodern, sage ich.” Aber: „Die Ambulanz steht bereits vor der Tür.” Irrenhaus also. Er hält die Welt, die ihn für verrückt erklärte, für verrückt und verabschiedet sich lakonisch mit „Amen”. Kafkas „Prozeß” ist ein schlicht vorgetragenes Märchen im Vergleich zu den athletischen Purzelbäumen im Anekdotennonsens dieses ausgelassen witzigen Jungautors.
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