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Das Drama von Golgotha

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Über das Drama von Golgotha wird in der kommenden Karwoche In allen Erdteilen, wo Christen wohnen, wieder viel nachgedacht, gepredigt und geschrieben werden. Wer sich streng an die Regeln und Gesetze des Aristoteles hält, welche dieser über das richtige Drama, wie es sein soll, aufgestellt hat, wird freilich schon an unserem Titel An-etoß nehmen. In seiner berühmten Poetik, Kap. XIII (1452 b), die bekanntlich später auf Lessing einen 80 nachhaltigen Einfluß ausübte, Verlans* Aristoteles, daß im Drama gute und anständige Menschen niemals ins Unglück stürzen dürfen, denn das würde bei den Zuschauern nicht „Mitleid und Furcht“ erregen, sondern Unwillen und Empörung. Desgleichen wäre es ganz und gar untragisch und durchaus nicht menschenfreundlich, wenn Bösewichte auf der Bühne zu Glück und Wohlstand kämen, denn damit würde das Gerechtigkeitsgefühl der Zuschauer empfindlich verletzt werden. Der große Weise aus Stagira hat allerdings niemals Isaias gelesen und berücksichtigt nicht, daß es auch ein freiwilliges Sühneleiden lür andere Menschen geben kann, wie es vom Messias vorausgesagt wird: „Der Herr legte unser aller Schuld auf ihn. Er wurde mißhandelt, doch fügte Er sich willig und tat Seinen Mund nicht auf, wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird“ (Is. 53, 6). Christus selbst hat Sein Todesleiden ebenfalls so aufgefaßt, wenn Er sagt: „Der Menschensohn ist ... nicht gekommen, um sich bedienen zu lassen, sondern zu dienen und Sein Leben hinzugeben als Lösepreis für die vielen“ (Mk. 10, 45). Da aber dem Untergang des Helden im Drama von Golgotha zwei Prozesse vorangingen, muß wenigstens formal-juristisch eine Schuld vorliegen.

Der Hohepriester Kaiphas hatte entsprechend den Vorschriften des jüdischen Prozeßrechtes zunächst mit dem Zeugenverhör begonnen, dabei ergab sich aper begreiflicherweise keine genaue Ubereinstimmung der Aussagen (Mk. 14, 59), denn die in aller Eile zusammengerufenen Zeugen hatten offenkundig nicht mehr die Zeit, ihre Angaben genau aufeinander abzustimmen, und so konnte keine rechtsgültige Verurteilung Zustandekommen. Kaiphas hatte nun zwei Möglichkeiten: entweder den Angeklagten aus Mangel an Beweisen freizusprechen oder ihm durch irgendwelche Fragen (auf die der Gefragte i allerdings auch mit Schweigen I reagieren konnte) im letzten Augenblick noch das todbringende Ge- 1 ständnis zu entlocken. Der Hohe- i priester entschied sich bekanntlich für die zweite Möglichkeit, und Christus gab auf die beschwörende Frage, ob Er der Sohn Gottes sei, klar und deutlich die gewünschte Antwort: „Ich bin es“ (Mk. 14, 62), worauf die Ratsherren (bei Kapitalprozessen müßten von den 71 mindestens 23 anwesend sein) sofort wegen Gotteslästerung das Todesurteil aussprachen. Daß sie zur tatsächlichen Ausführung der Bestätigung des römischen Statthalters bedurften, darüber waren sie sich vollkommen klar. Die diesbezügliche Angabe bei Joh. 18, 31 ist durch die gründlichen Untersuchungen von Urban Holzmeister und neuestens von J. Blinzler (Der Prozeß Jesu, 1960, S. 163 bis 174) als historisch zuverlässig erwiesen worden.

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