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Das Erbe P. Wilhelm Schmidts

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In Nummer 854 der „Furche" wurde die wissenschaftliche Bedeutung des am 10. Februar 1954 verstorbenen großen Religionsforschers und Ethnologen, P. Wilhelm Schmidt SVD., kurz gewürdigt. Als Ergänzung dazu sei hier einiges aus seinem Leben und über die von ihm begründete Forschungsgemeinschaft dargeboten.

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In Nummer 854 der „Furche" wurde die wissenschaftliche Bedeutung des am 10. Februar 1954 verstorbenen großen Religionsforschers und Ethnologen, P. Wilhelm Schmidt SVD., kurz gewürdigt. Als Ergänzung dazu sei hier einiges aus seinem Leben und über die von ihm begründete Forschungsgemeinschaft dargeboten.

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P. Wilhelm Schmidt SVD. wird jedem, der ihm einmal begegnet ist, unvergeßlich bleiben, j. Sein wissenschaftliches Arbeiten war technisch denkbar einfach. Unkundig der modernen Hilfsmittel, wie Stenographie und Schreibmaschine, war er auf die Feder angewiesen bzw. auf den Füllfederhalter. Diesen pflegte er als eine der wichtigsten Erfindungen der Neuzeit zu bezeichnen, weil er ein ununterbrochenes Weiterschreiben ermöglichte. So beschrieb er im Laufe seines langen Lebens mit eigener Hand Zehntausende von Seiten, die mit den Jahren zu meterhohen Stößen neben seinem Schreibtisch heranwuchsen. Seinem Gedächtnis traute er mehr als den Zettelkästen, deren Anlage er für überflüssig hielt.

Geistige Weite und Aufgeschlossenheit ließen den kernigen Westfalen auch ganz anders geartete Menschen verstehen. Seit 1895 war Oesterreich ihm Wahlheimat geworden, der er stets in treuer Anhänglichkeit verbunden blieb. Die alte Donaumonarchie, die eine . bunte Vielfalt von Völkern zu einer höheren Einheit verband, war ihm überaus liebenswert, und er entwarf noch während des ersten Weltkrieges Pläne für ihre innere Regeneration; freilich blieb seinen idealen Absichten der Erfolg versagt. Unvergessen ist noch heute bei der älteren Generation P. Schmidts damalige Tätigkeit als Feldkurat, seine Sorge für Verwundete und die Schaffung von Soldatenheimen. Seit den dreißiger Jahren verwandte er viel Zeit und Energie auf den Plan einer katholischen Universität in Salzburg, der ihm bis zuletzt sehr am Herzen lag.

P. Schmidt war ein Mann von stärkster Willenskraft und Energie, ein Kämpfer, dessen scharfe Feder bei seinen wissenschaftlichen Gegnern und nicht nur bei diesen gefürchtet war. Daß ein reibungsloses Zusammenarbeiten für seine nächste Umgebung ; ein schwer zu lösendes Problem war, wird jeder verstehen, der diese Seiten seines Charakters nur einigermaßen kennt. Er konnte aber auch wieder sehr lieb und väterlich gegenüber seinen Mitarbeitern sein und ihre Arbeiten mit lebhaftem Interesse verfolgen. Rührend war seine helfende Güte, die sich unterschiedslos auf Menschen jeder Art erstreckte; notleidende Akademiker und einfache Arbeiter, sogar wissenschaftliche und politische Gegner, erfuhren seine wohl- : wollende Fürsorge — vor allem in den Nachkriegszeiten. Nicht selten verschenkte er auf seinen damaligen Reisen seine eigenen Klei- dungs- und Wäschestücke. Herzensanliegen war ihm von jeher die Gesundung der Familie. Jahrelang war er Präsident des Ver- 1 bandes für Familienschutz, verfaßte Gesetzentwürfe für eine soziale Lohnpolitik, schrieb auch ein Büchlein „Liebe, Ehe, Familie“, das zwei Auflagen erlebte und in verschiedene Sprachen übersetzt wurde.

Letzte Triebfeder für diese sozial-karitative Tätigkeit war die priesterliche Einstellung, die P. Schmidt mit der wissenschaftlichen zu verbinden wußte. Zehn Jahre lang gab er Religionsunterricht am Mädchenlyzeum in Mödling. Er gründete religiöse Vereine, gab Exerzitien und stand sonntags oft auf der Kanzel. Aus den Christus- Vorträgen, die er nach dem ersten Weltkrieg hielt, erwuchs später ein umfangreiches „Leben Jesu“; es erschien während des zwei- 1 ten Weltkrieges pseudonym, dann in zweiter 1 Auflage unter dem Namen des Autors. Im Zusammenhang mit diesen Studien machte er auch den interessanten Versuch, nachzuweisen, 1 daß der Gesamttext der Evangelien strophenartig aufgebaut sei. Für die liturgische Bewegung, die in Oesterreich unter der Leitung von Pius Parsch so glänzend aufblühte, hatte P. Schmidt die ersten Anregungen gegeben. Der Einheit der Christenheit galt sein brennendes Interesse; ursprünglich wandte es sich , vor allem der Ostkirche zu, später mehr dem Problem der Wiedervereinigung der Christen im deutschen Sprachraum. Der Niederschlag seiner Gedanken zu diesen Fragen findet sich im dritten Bande seines Werkes über Rassen und Völker des Abendlandes.

Bei einem bis ins hohe Alter so reichen und tätigen Leben konnte man sich schwer mit dem Gedanken vertraut machen, daß es seinem Ende zu gehen könnte. Und doch nahmen seit einigen Jahren P. Schmidts Kräfte langsam ab. Gewiß zeigte er immer wieder eine für sein hohes Alter außergewöhnliche geistige Frische und Regsamkeit; anderseits war auch eine gewisse Erstarrung in gewohnten Denkformen unverkennbar. Wenn er, wie mit Recht gesagt worden ist, zeitlebens von einer einmal erarbeiteten Auffassung schwer abzubringen war, sö ist begreiflich, daß sich diese Haltung im Alter verstärkte und daß sich daraus manche schmerzliche Reibungen ergaben. War so auch das Zusammenleben in der letzten Zeit in mancher Weise überschattet, so wird darunter die tiefe Dankbarkeit für alles, was P. Schmidt seinen Mitarbeitern und der Wissenschaft gegeben hat, wie auch die Erinnerung an seine wahre Größe nicht leiden.

P. Schmidt hinterläßt nicht nur eine lange Reihe wissenschaftlicher Veröffentlichungen, er ist nicht nur der Gründer der Zeitschrift „Anthropos“ — er konnte vor allem die Genugtuung haben, daß sein Werk durch in seinem Geiste herangebildete Mitarbeiter weitergeführt werden wird. Man mag dabei zunächst an seine und seiner Schüler akademische Lehrtätigkeit denken, die 1921 in Wien begann und seit 1939 in Freiburg Schweiz fortgesetzt wurde. Wichtiger war aber die Gründung des Anthropos- Institutes. Es erwuchs ganz allmählich und organisch aus den Mitarbeitern, die ihm die „Gesellschaft des Göttlichen Wortes“ für die 1906 gegründete Zeitschrift zur Verfügung stellte. Hier sind an erster Stelle die Patres W. Köppers, M. Gusinde und P. Schebesta zu nennen, alle drei durch Feldforschung und systematische Arbeiten bekannt. Später kamen andere dazu, so der Afrikanist P. S c h u 1 i e n, P. D. Kreich- g a u e r, bekannt durch Entzifferung mexikanischer Bilderhandschriften, und P. G. H ö 11 k e r, der 1936 bis 1939 Forschungen in Neuguinea betrieb. 1932 erhielt das Institut eine feste organisatorische Form, und seitdem ist noch eine große Schar jüngerer Mitarbeiter dazugekommen, darunter auch wieder Missionäre, die nach längerer Missionstätigkeit schon im Besitz reicher Materialien nach Europa zurückkehrten.

P. Schmidt hatte erkannt, daß schon zu seinen Lebzeiten jüngere Mitarbeiter die Möglichkeit haben müßten, in verantwortlichen Stellungen zu wirken. — Wie er selbst ein ausgesprochener Willensmensch war, so wußte er starken Willen auch bei anderen zu schätzen; berühmt wurde im engeren Kreis sein Ausspruch: „Ein Balken, der sich nicht entgegenstemmt, stützt auch nicht." — 1948 zog sich P. Schmidt von der Professur zurück, 1951 stellte er auch die Vorlesungen ein, die er bis dahin noch als Honorarprofessor gehalten hatte. 1949 gab er die Redaktion der Zeitschrift, für die er 1906 bis 1922 und dann wieder seit 1937 verantwortlich gezeichnet hatte, und 1950 auch die Leitung des Instituts an P. F. Born e- m a n n ab, der sich kritisch mit Schmidts Urkultur und Methode auseinandergesetzt hatte. Die neue Leitung eröffnete aus technischen und wirtschaftlichen Gründen zwei weitere rasch wachsende Buchreihen, die Studia Institut! Anthropos, die im Verlag des Missionshauses St. Gabriel erscheinen, und die Micro-Bibliotheca Anthropos. Diese macht wertvolle Manuskripte, deren Drucklegung zu kostspielig wäre z. B. linguistische Arbeiten, die nur einen kleinen Kreis von Spezialisten interessieren, in Form von Mikrofilmkopien den Interessenten zugänglich. Das Materialangebot auch dafür ist sehr groß.

Die Dezentralisierung der Mitarbeiter, die sich schon seit Jahren organisch entwickelt hatte, wurde stark gefördert. Wie schon früher ein Teil der Mitglieder ständig außerhalb des Institutszentrums weilte P. M. Schuhen, der jetzige Visitator Apostolicus im Saargebiet, als Herausgeber der Annali Lateranensi und später als Direktor des Museo Missionario-Etnologico in Rom, andere auf Lehrstühlen in Holland, Nordamerika, China, Japan, auf den Philippinen, seit 1945 auch wieder in Wien, so wurde nun ein Zweiginstituf in Bombay gegründet mit Indien als Forschungsbereich; eine weitere Gruppe wurde in Tokio zusammengeschlossen und andere zur Fortführung der in Peking begonnenen Unternehmungen, wie der von P. F. Bialias gegründeten Monumenta Serica und den von P. M. Eder herausgegebenen Folklore Studies. Zu gleicher Zeit wurde ein anderer wichtiger Schritt getan. Neben die relativ kurzfristigen Expeditionen, denen das Institut zum Teil seinen Weltruf verdankt, treten langfristige Forschungsaufenthalte von vier, fünf und zehn Jahren, mit gründlicher praktischer Beherrschung der einheimischen Sprache und jahrelangem vertrautem Zusammenleben mit den Eingeborenen.

Zu solch ausgedehnter Feldforschung weilen augenblicklich Patres in Südamerika, in Westafrika, in Indonesien und in Neuguinea. Wenn sie heimkehren, um ihre Materialien voll zu verarbeiten, fahren andere aus, die sich jetzt im akademischen Studium auf ihre spätere Arbeit vorbereiten. Am Zentrum des Anthropos-Instituts, zur Zeit in Freiburg in der Schweiz, ist die Direktion, der engere Redaktionsstab der Zeitschrift „Anthropos“, die nach wie vor den Kern des Instituts bildet, und die ständig wachsende Anthropos-Biblio- thek, das unentbehrliche Hilfsmittel für die Redaktionsarbeit und für die Verarbeitung der im Felde gewonnenen Materialien.

So stellt sich das Institut als ein weitverzweigtes Werk auf breiter Basis dar, als ein lebendiges Denkmal seines Gründers. Ausgegangen ist es von Oesterreich. Das Zentrum hat sich aber weiter westwärts, in die neutrale, völkerverbindende Schweiz verlagert. Um unseren Dank dem Land abzustatten, in dem das Institut ins Dasein getreten und herangewachsen ist, haben wir die sterblichen Ueberreste unseres hochverdienten Gründers nach Oesterreich zurückgeleitet und in Oesterreichs Erde, auf dem Friedhof von St. Gabriel, zur letzten Ruhe gebettet.

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