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Das III. Internationale Musikfest

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Im Unterschied zu den letzten beiden Jahren standen auf den meisten Programmen des heurigen Musikfestes zeitgenössische und ältere, klassische Werke nebeneinander. Das gab oft harte Kontraste, bot aber auch interessante Vergleichsmöglichkeiten und trug dazu bei, die Basis dieser Veranstaltungen zu verbreitern, ein zahlreicheres Publikum anzulocken. Es ist vor allem der strenge Ausleseprozeß, der gegenwärtig das Gesicht des Musiklebens bestimmt, andererseits der Versuch zahlreicher moderner Komponisten zur Synthese, welche dazu beitragen, das Publikum von der Angst vor der neuen Musik zu befreien. Einer der jungen österreichischen Komponisten hat in einer kurzen programmatischen Erklärung eine sehr treffende Erkenntnis formuliert: „Wenig packend wirkt die schöne oder exakte Fertigware, an der es nichts zu erraten, höchstens etwas zu genießen gibt — ermüdend wirkt der urigebändigte Ausdruck um seiner selbst willen, gleichgültig, ob au Oberflächen, Tiefen oder Untiefen geboren. Es scheint auf den Grenzfall anzukommen, oder besser: auf den Versuch zur Synthese.“

Österreichische Komponisten

In den „D rei Symphonischen Stücken“ des jüngsten Komponisten dieses Musikfestes, des Salzburgers Georg Pirckmayer (geb. .1918), ist diese Synthese zwischen Gehalt und Form, Ausdruck und Technik noch nicht erreicht. Dem mehr- sätzigen Zyklus „l’Homme“, dem sie entstammen, liegt ein großzügiges gedankliches Konzept zugrunde, welches — in der verschwommenen Formulierung des Programms den Hörer eher verwirrt als vorbereitet. Doch gab es in den ausgedehnten, zugleich abstrakten und unübersichtlichen Stücken einige gute melodische Ansätze, einige sehr ausdrucksvolle Gesten, welche die Begabung des jungen Komponisten dokumentieren. (Anton Heiller dirigierte die Wiener Symphoniker.)

Der „Ballade für großes Orchester“ von ‘fheodor Berger (geb. 1905) ist kein Programm beigegeben, und doch ist ihr Charakter — auch gehaltlich — ganz eindeutig bestimmt. Das Werk ist 1940 entstanden und spiegelt die nervösen Spannungen einer harten und aufgewühlten Zeit. Wie meist bei Berger ist die Klangfarbe, das Instrumentale, auffälliger und leichter zu erfassen als die melodische Substanz. Das Klangbild dieses Werkes ist originell und hat starke Suggestivkraft: aus dieser Partitur spričht die Härte des Maschinenzeitalters und die ebenso harte und heftige Reaktion eines empfindlichen Nervenmenschen auf die Zeit. Rasselnde kleine Trommeln, grelle, vielstimmige Trompetenfanfaren, gellende hohe Röhrenglocken, unruhig auffahrende Streicherfiguren bestimmen den Charakter und klingen noch lange nach. (Erich Kleiber errang dem schwierigen Werk durch eine ganz hervorragende Interpretation einen starken Erfolg.)

Karl Schiske (geb. 1916) bestätigt in seiner II. Symphonie die Hoffnungen’, welche man nach seinem Oratorium und der in der Ravag gespielten I. Symphonie in sein Schaffen setzte. Imponierend ist vor allem der Ernst, mit welchem sich der Komponist mit den Großformen auseinandersetzt, erfreulich die Einheit des Stils, die in dieser II. Symphonie erreicht wird. Schiske basiert, bewußt oder unbewußt, auf der Tonspradhe Hindemiths, und es erweist sich aufs neue die absolute Tragfähigkeit dieses Fundaments. Der erste Satz wird im 2/2-Takt mit einem einzigen, präludienartigen Thema straff durchmusiziert. Nach einem dreiteiligen Adagio, in welchem melodische und instrumentale Anklänge an die „Grablegung“ der Mathis-Sinfonie auffallen, erreicht das Werk seinen Höhepunkt im Schlußsatz, der Sonatenform, Fuge und Scherzoform vereinigt und durch eine die Hauptthemen verarbeitende Tripelfuge abgeschlossen wird. Obwohl das Werk ausgezeichnet klingt, hat man doch nicht den Eindruck, daß es „instrumentiert“ ist, da die Klanggestalt dem Material in idealer Weise entspricht. Auf starke Kontraste innerhalb der ersten Sätze verzichtet Schiske vorläufig noch zugunsten einer einheitlichen Faktur. Vielleicht wird er in seinen künftigen Werken auf diesem Gebiet zu noch glücklicheren Lösungen kommen.

Arthur Honegger

Schon beim ersten Wiener Musikfest hatte der französische Schweizer Arthur Honegger (geb. 1892) mit seinem Jeanne-d’Arc- Oratorium den größten Erfolg. Auch diesmal erzielte er mit dem „Totentanz“ für Soli, Chor, Orchester und Orgel sowie in einem Orchesterkonzert, welches der Komponist selbst leitete, eine erfreuliche Breitenwirkung, welche eine notwendige Ergänzung zu der esoterischen Berühmtheit ist, derer sich zahlreiche andere Meisterwerke der „Moderne“ erfreuen: Denn Honegger, der seinerzeit zur Avantgardistengruppe der „Six“ gehörte, strebt heute ganz bewußt nach einem Stil, der sowohl den Kenner befriedigt, als auch dem Laien verständlich ist. Seine Bühnen- und Filmmusiken, besonders aber auch seine letzten Oratorien, beweisen ihm dies. Von den Figuren des Holbeinschen Totentanzes wurden Claudel und Honegger zu ihrem vorletzten Werk, das im ersten Kriegsjahr entstand, angeregt, dem dann einige Jahre später die Komposition der Bühnenmusik für den „Seidenen Schuh“ folgte. Das eigentliche Totentanzmotiv beherrscht nur die ersten beiden Teile; einen Dialog zwischen Chor und Sprecher nach Ezechiel und die eigentliche „Danse ma- cabre“, in deren dröhnende Rhythmen sich ein Volkslied und die Carmagnole mischen. Dann folgt — als Ruhepunkt, dem Adagio einer Symphonie vergleichbar, ein längeres Baritonsolo, das „Lamento“, nach Hiob und den Psalmen, in welches aber schon — in der Stilisierung des evangelischen Chorals — die tröstliche Stimme der Verheißung hineinklingt („Ich weiß, daß mein Erlöser lebt“). Nach einem kürzeren Zwischenstück des Chores und des Sprechers führen Wechselgesänge der Soli und des Chores zu einem zweiten Höhepunkt in einem gewaltigen Ensemblesatz („Im Kreuze Hoffnung“), an den sich das wuchtig-kurze „Gelöbnis“ schließt. Mit einem ätherisch-zarten Sopransolo in höchster Lage klingt das Werk aus — ähnlich wie das Jeanne-d’Arc-Oratorium. — Anläßlich der Aufführung jenes Werkes wurde angemerkt, daß sich die Musik Honeggers aus den disparatesten Elementen zusammensetzt. Dort schien die Synthese einigermaßen geglückt, während wir dem Gesamtstil des „Totentanzes“ kaum mehr zustimmen können. Die eigentümliche Mischung von naturalistischer Klangmalerei und Visionärem kann man kaum noch akzeptieren, zumal das Verbindende: ein durchgebildeter, einheitlicher Stil, zu fehlen scheint. Die Könnerschaft Honeggers und die unbedingte Treffsicherheit seiner Klangsymbole sind bewundernswürdig. Doch ist an manchen Stellen zur Klangkulisse des Films (Honegger hat zu etwa einem halben hundert Streifen die Musik geschrieben) nur mehr in kurzer Schritt. Mit vollkommener Sicherheit und großem Schwung dirigierte Paul Sacher die Symphoniker, die Singakademie und das Solistenensemble.

Das große Ordiesterkonzert unter der Leitung des Komponisten vermittelte uns eine ebenso eindrucksvolle wie instruktive Übersicht über das Schaffen Honeggers von 1921 bis 1946. Noch hat die Ballettmusik zu „Horace victorieux“ ihre instrumentalen Härten und harmonischen Schrek- ken kaum verloren. Diese der klaren Form entbehrende und auf gestische Deutung angewiesene Musik von 1921 steht uns heute am fernsten. Das Concertino für Klavier und Orchester aus dem Jahre 1924 (von Andree Vaubourg-Hon- egger interpretiert) spiegelt reizvoll und elegant die erste Assimilation des Jazz, insbesondere des Gershwin-Stils, durch die westeuropäische Kunstmusik. Ein echter Honegger — wuchtig, prägnant, mit Spannung geladen und von edler Sonorität — ist die einem „Amphion-Ballett“ nach Paul Valery entnommene Suite mit den Teilen: P r k- lude, Fugue et Postlude. — Weniger befriedigten die — zu Unrecht als „Vierte Symphonie“ bezeichneten — „Del i- ciae Basiliensi s“, ein Dank an die gastliche Schweiz und den Freund Paul Sacher. — Es handelt sich hier um eine drei- sätzige Stimmungs- und- Programmusik, deren kunstvolles Gewebe wir besonders im letzten Satz bewundern, wo Rondo, Passacaglia und Fuge miteinander verbunden sind, deren programmusikalischer Charakter aber doch die geschlossene, klar übersehbare Form trübt. Dagegen erweist sich der berühmte „Pacific 2 3 1“ immer wieder als ein Meisterwerk und erschien — an das Ende des Programms gestellt — wie -ein Symbol für die gewaltige, diszplinierte und von einem hohen Kunstverstand gelenkte Kraft seines Schöpfers, der wie kaum ein anderer zeitgenössischer Komponist Vitalität und Feinheit, Ekstase und Präzision in seinen Partituren zu vereinen versteht.

Sakralmusik

Im Festkonzert des Wiener Katholikentages hörte man, etwas bunt gemischt, alte und ältere Sakralkompositionen und dazwischen als einziges zeitgenössisches Werk Johann Nep. Davids seltsam verhaltenes, in palestrinensisdie Schönheit getauchtes „Staba-t Mater“. Seine Wiedergabe durch den Wiener Kammerchor unter Leitung Dr. Reinhold Schmiids bildete den künstlerischen Höhepunkt des Konzerts, während J. S. Bachs Phantasie und Fuge in g-moll für Orgel (Dr. Ne- bois) sowie die Gruppe altmeisterlicher Motetten (Wiener Sängerknaben) durch die gleiche Überhastung der Tempi und die etwas dürftige Art des Vortrages beeinträchtigt waren. Mozarts „Ave verum“ mit Klavierbegleitung Zu singen ist eine ebenso stilistische wie geschmackliche Entgleisung, Schuberts „Ave Maria“ als Knabenchor ein nicht nur textlicher Irrtum. In gewissem Sinn ein Irrtum war auch trotz eindrucksvoller Wiedergabe (Symphoniker, Singverein unter Prof. Heiller) das „Te Deum“ Anton Bruckners im Konzertsaal. Zum Katholikentag hätte dieses durch und durch sakrale Werk in den Gottesdienst gehört.

Ein festliches Abendsingen vereinte die evangelischen Kirchenchöre Wiens in der Lutherkirche. Alte und neue Choralsätze und Motetten bildeten die musikalische Substanz des von Pfarrer Dr. Egon Hajek zur Andacht gestalteten Abends. Die Leistungen der einzelnen Chöre blieben größtenteils Mittelmaß, daraus nur der Bach-Chor der Hietzinger Kreuzbirche (Julius Peter) und der Kirchenchor Neubau (Hans Winslöw) sich etwa erhoben. Dennoch ist die alljährliche K-irchemängerandaeht ein außerordentlich schöner und fruchtbringender Gedanke, der Nachahmung wert.

Bregenzer Festspiele 1949

Zum viertenmial finden heuer die Bregenzer Festspiele statt. Längst hat der Gedanke, am Westerker Österreichs Festspiele zu einer dauernden Einrichtung zu machen, sich durchgesetzt und seine Kritiker überzeugt. Die Bedenken kamen aus zwei gegensätzlichen Richtungen: die einen wollten in den Bregenzer Festspielen ine der kulturellen Provinzange 1 egenheiten sehen, an denen 1946 und 1947 eine wahre Inflation, herrschte, die anderen befürchteten gar eine Konkurrenz für das traditionsreiche Salzburg. Beide hatten unrecht. Bregenz ist weder eine der ephemeren Kleinstadtangelegenheiten geworden, über die man längst zur Tagesordnung übergegangen ist, noch hatte man hier Kon- kurrenzpläne gegen Salzburg im Sinn. Bregenz liegt an einem verkehrsgeographisch hervorragenden Schnittpunkt wie keine andere österreichische Stadt; der Besuch, von 38.000 Schweizern und 15.000 Reichsdeutschen im Vorjahr spricht für sich. Dazu will Bregenz die Eigenart seines Raumes ausnützen und maßt sich nicht an, größere und ältere kulturelle Einrichtungen überflügeln zu wollen. Auch muß darauf hingewiesen werden, daß die Bregenzer Festspiele in erster Linie auf Wiener Kunstkräfte aufbauen und diese der Besucherschaft aus Westeuropa vorstellen will. Das Einzugsgebiet aus Südr deutschland ist heuer wesentlich erweitert, der Fremdenstrom aus Frankreich und den Beneluxländern ist im Steigen. Mancher Westeuropäer lernt Wiener Künstler überhaupt nur durch die Vermittlung von Bregenz kennen.

Rein optisch steht im Mittelpunkt der vierten Bregenzer Festspiele wieder das zur Tradition gewordene Spiel auf dem See. Es wird schwer werden, den Eindruck der „Nacht in Venedig“ vom Vorjahr Zu erreichen oder gar zu überhöhen. Wieder geht ein Werk von Johann Strauß in Szene, nämlich „Tausend und eine Nacht“. Für die Aufführung am Wasser im Scheinwerferlicht mit dem grandiosen Hintergrund von den weißen Häusern von Lindau bis zur Spitze des grünen Pfänders eignet sich nur ein Stück mit starker Bild- und Klangwirkung. — Zwei große Konzerte führen die Wiener Symphoniker unter ihrem Dirigenten Prof. Clemens Krauß an den Bodensee. Rein künstlerisch gesehen, wird hier wiederum der Schwerpunkt der Bregenzer Festspiele liegen. Aber auch die Freunde leichter Musik werden beim Johann- Strauß-Jubiläumskomzert und beim Serenadenabend des Vorarlberger Rundfunkorchesters — übrigens dem einzigen Auftreten, dos von Vorarlberger Künstlern allein bestritten wird — auf ihre Rechnung kommen. Ein reiches musikalisches Rahmenprogramm wird diese Darbietungen ergänzen. So wird unter anderem ein hervorragender französischer Cellist zu hören sein. — Grillparzers „Medea“ wird mit Kräften des Wiener Burgtheaters aufgeführt werden.

So gehen denn heuer die Festspiele von Bregenz zum vicrtenmal in Szene. Wieder wird man zwei Wochen lang alle möglichen Sprachen in den Gassen der schönen Bodenseestadt hören. Die Bedeutung der Bregenzer Festspiele erschöpft sich aber nicht an den Grenzen Vorarlbergs, ihr Zweck ist vielmehr, die Völker bei Musik und Theater dort zusammenziuführen, wo dies immer noch am ehesten gelungen ist: in Österreich.

Französische Impressionisten

Dreißig Maler der „neuen Richtung“, unter ihnen Pissaro, Monet, Sisley, Renoir, Cezanne und Degas, zeigten im Jahre 1874 in den Räumen des Photographen Nadar am Boulevard des Capucines ihre Bilder, unter denen sich auch eines befand — eine Hafenansicht mit dem Titel „Impression: aufgehende Sonne“ — das der ganzen Richtung den Namen geben sollte. Man sah durch einen Nebelschleier hindurch in rotem Licht zart angedeutete, verschwimmende Konturen von Schiffen. Sowohl der Gegenstand als auch die Maltechnik waren charakteristisch: die „Landschaft“ diente nur als Staffage, als Rahmen für das nervöse Drama des Lichtes, für die bauchigen Farbwerte und die schillernden Reflexe. „Wir wollen Farbe nicht, nur Schatten, den leisen feinen Übergang, die Schwingungen, den halben Klang, daß Träume sich mit Träumen gatten“, schrieb der Dichter Verlaine und fand damit auch die Kunstformel für seine Malerkollegen. Diese Technik wurde von den Pointillisten Seurat und Signac.auf die Spitze getrieben und mündete in den Neoimpressionismus. In ihm dokumentieren sich zwei Grundeigenschaften der Franzosen: ihre Sensibilität und ihr Rationalismus, der auch das Differenzierteste noch in ein System zu bringen trachtet. — Der malerische Impressionismus ist die letzte, große, einheitliche und allgemein anerkannte Kunstrichtung, die vor allem auch deshalb so große Bedeutung erlangte, weil sie durch gleichstrebende Dichter und Musiker gestützt wurde. Wir brauchen uns nur das Werk von Verlaine und Debussy zu vergegenwärtigen, die in engem Kontakt mit ihren Malerfreunden schufen …

Das Institut Francais zeigt gegenwärtig im Palais Lobkowitz 30 Meisterwerke französischer Impressionisten. Di Bilder sind in chronologischer Reihenfolge angeordnet und vermitteln eine sehr eindrucksvolle, wenn auch fragmentarische Übersicht jener Kunst, die Jean Cassou als das „Fest des fin de siede“ bezeichnet. Die Reihe reicht von Jongkind über Monet,Man , Renoir und Pissaro bis Cizanne, der aus dem Impressionismus „etwas ebenso Solides wie die Kunst der Museen“ machen wollte. Dieser Ausstellung werden, wie General Bethouard bei der Eröffnung erklärte, weitere folgen — im Zuge jener völkerverbindenden kulturellen Tätigkeit, die das Französische Institut mit so viel Geschmack und schönem Erfolg seit 1945 aufgenommen hat.

Großer Schumann-Film

DLe. Musik erbiograpkie ist eines dar umstrittensten Kapitel in der Geschichte des Films. Sie setzt naturgemäß so recht erst mit dem Tonfilm ein (etwa mk dem österreichischen „Leise flehen meine Linder“ und dem deutschen „Ab- schkdswalzer“) und wirft im ersten Augenblick das eminente Problem auf, wie sich die transzendenteste Sphäre der Kunst, die Musik, in die immanenten Praktiken des Films einschmelnsem lasse. Bis in die jüngsten Tage reißt das Experimentieren darin nicht ab. Die ungleichen Ergebnisse: Kunstwerk steht neben Schmarrn, Konzertseil neben Novelertenpointilismus, Denkmal neben Grüfteschändung. — Da gelingt eben im sommerlichen Auslauf einer sehr bewegten- Filmsaison den Amerikanenn etwas, was allen diesen Versuchen bis dato nicht gelungen ist: durch einen filmischen Instinkt für höhere Wahrheit alle Schranken nationaler, historischer, atmosphärischer Bedingtheit zu durchbrechen und mit „Song of love“ („Lie b e s m e lodie“) einen Schumann-Film zu schaffen, der wohl auf beträchtliche Zeit hinaus für dieses Genre mustergültig bleiben wird. Im Augenblick, da es gelöst ist, ist uns auch klar, daß das eigentliche Problem dieser Filmgattung nicht darin gelegen war, die historischen Züge einer großen Persönlichkeit in allen Pimselstridhen (Lebensstationen, Werke, Umwelt usw.) getreu nadizuzeiebnen, sondern zum Kern durtfazustoßen, das sozusagen „innere Porträt“, eine abstrakte Wirklichkeit zu treffen. Sie hieß hier, im Falle Clara Wieck- Schumann: unbedingte, selbstverleugnende Treue zum Werk des Gatten. Entsagung war der Abschied von der eigenen Pianistemkufbahn, ein stilles Martyrium die aufopfernde nüdbteme Tätigkeit in der kinderreichen Familie, eine letzte irdische Passion das Ausharren neben dem im Grunde guten und Liebenswerten, aber unaufhaltsam in Melancholie und Geistesnacht versinkenden Genie, eine schmerzliche Verklärung die unentwegte, unter Verzicht auf die Neigung Zu Brahms erkämpfte Werbetätigkeit für das Werk des Gatten nach seinem Tode. — In einem Stil, der mit nachtwandlerischer Sicherheit amerikanischen Filminstinkt mk europäischer K’unscübung und Ehrfurcht verschmilzt, spannt der Film den Bogen von großer Szene zu großer Scene, dazwischen Ruhepausen von idyllischer Schönheit und Heiterkeit fügend. Katharine Hepbumes Clara (vom Jungmädchenscharm bis zur hohen greisen Elly-Ney-Majestät) ist die Krönung einer großen Schauspielerlaufbahn, Paul Henreids Schumann und Robert Walkers Junger Brahms zwei eindringliche Chanakter-Studien. — Mit diesem Werk spielt der amerikanische Film ein ganzes Vierteljahrhuiadert europäischen Kunstexperimentierens auf dem Gebiet des .musikerbiographischen Films in Grund und Boden und versöhnt gleichzeitig am Ausgang eines Filmjahres mk anderen, übleren Sensationen Hollywoods ia der Gesamtbilanz.

Noch ein zweiter Film der Woche berührt die Grenze hoher Musik, ohne ins Reich selbst ein- zutreten. „Eine Nacht im Dezember“ (französisch) ist die sehr private Geschichte eines Konzertpianisten, der ein Liebeserlebnis 20 Jahre später durch einen ungewöhnlichen Verzicht büßt. Der Film lief vor Jahr und Tag schon in französischer Originalfassung;, die damals manche Risse des Drehbuches deckte. Nunmehr, in einer unglücklichen deutschsprachigen Vergröberung und Vergrößerung, klaffen diese Sprünge überbreit. Die vorbildlich dargebotene Musik (Beethoven, Chopin, Berlioz, Liszt) macht den Film nichtsdestoweniger hörenswert.

Sehr erfreulich gestaltete sich der deutsche Lustspielabend „Morgen lat alle besser“. Hat man erst den Schock weg, daß dieser Roman einer Wiuener Jourraalistin (bei aller künstlerischen Mediokrität doch von einem fernen Hauch unvergänglichen Wienertums berührt) ausgerechnet auswärts verfilmt und damit jedes „Blickes vom Kahlenberg“ entnervt wurde, so bleibt doch immerhin- an diesem netten, unbeschwerten, von unJiorciertem Optimismus beflügelten Film noch viel Angenehmes und Lobenswertes zu rühmten. Der Vorwurf, daß Wiener Stoffe bei uns selber immer wieder unausgenützt bleiben, trafį im übrigen den Süden mehr als den- Norden.

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