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Das Neue ist auch das Einfache

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Wo Albert Einstein über seine ersten Eindrücke in Nordamerika berichtet, das ihm, dem Emigranten, „mit so viel Liebe und übertriebener Verehrung“ entgegenkam, schreibt er auch: „Personenkuitusist in meinen Augen stets etwas Unberechtigtes. Wohl teilt die Natur ihre Gaben reichlich verschieden unter ihre Kinder. Aber auch von den Wohlgeratenen gibt es gottlob viele, und ich bin fest überzeugt, daß die meisten davon ein stilles und unbemerktes Dasein führen. Es erscheint mir nicht gerecht, ja nicht einmal geschmackvoll, wenn von diesen einige wenige maßlos bewundert werden, indem man ihnen übermenschliche Kräfte des Geistes und Charakters andichtet. Dies ist nun gerade mein Schicksal geworden...“

Und es ist es offenbar geblieben. Denn jetzt, zehn Jahre nach seinem Tode, findet man in der Reihe der „Köpfe des XX. Jahrhunderts“, zwischen den Köpfen von Heinrich Boll und Günter Grass, neben dem Kopf des Musikgenies Strawinsky auch den seinigen, des Physikgenies Einstein. Aber, wenn es sich um große Zeitgenossen handelt, spielt ja wohl die Reihenfolge keine Rolle.

Hat man auf der ersten Buchseite das Faksimile der handgeschriebenen Briefseite erblickt, schaut man ungläubig auf diese, wie einem scheinen will, viel zu braven, beinahe schülerhaften Schriftzüge. Schreibt so ein Genie? Gerade das Genialische scheint zu fehlen. Aber schon schämt man sich dieser Gedanken. Hat man doch auch über Beethovens Handschrift einst den Kopf geschüttelt, ehe man in ihr den Ausdruck jener Riesenkraft zu erkennen vermochte, die Gefühle zu bändigen unternahm, von deren Tiefe und Stärke sich unsere Schulweisheit nichts träumen ließ! Und man steht, den Hut in der Hand, vor dem Kunstwerk dieser Handschrift des Begründers unseres modernen Weltbildes, um uns von ihr belehren zu lassen: Das wirklich Neue ist immer auch zugleich das Einfache. So einfach wie dieses Schriftbild war in Wahrheit auch das ganze Denken des großen Mannes, der nichts dafür kann, wenn es uns kompliziert vorkommt. Denn es ist nicht so, wie der Verfasser meint, daß nur noch bei naiven Menschen sich das Weltbild von Euklid und Newton mit seinen ruhenden Vorstellungen von Raum und Zeit am Leben hält. „Uns trägt kein Volk“, das Wort Paul Klees, könnte auch von Einstein stammen. (Wir empfehlen dem Verlag, der Vorschläge für eine Fortsetzung der Reihe berühmter Köpfe erbittet, diesen Altersgenossen Einsteins, der seinerseits H«»r üVitdprlrpr des Einlachen in der Malerei gewesen ist.)

Wie lange ist doch seine Physik, welche „das physikalische Weltgebäude nicht zerstören, sondern, im Gegenteil, nur eine einfachere und passendere Ausdrucksweise einführen sollte“, selbst von den Fachleuten abgelehnt worden? Wäre die Lust von Einsteins Zeitgenossen am logischen Folgern nicht zumeist auf die Aufklärung erfundener Kriminalfälle beschränkt, es würde sich wohl keiner das Abenteuer der Gesetzesauffindung durch logisches

Denken entgehen lassen, wie es die Entstehung der Relativitätstheorie darstellt.

Und so wird die wundervolle Darstellung von Albert Einsteins Leben and Wirken sowie der inneren Reifung seines Denkens in den sie-Den Kapiteln dieses Büchleins wohl caum die Zahl der naiven Menschen, lie noch das alte Weltbild in sich ;ragen, verringern können. Alle jene iber, welche bereits begriffen haben, laß das einzige würdige Aben-eurerbuch für unsere Zeit die Wissenschaft geschrieben hat, sollen es unbedingt lesen.

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