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Das verlorene Gespräch

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Es wird viel geredet in unseren Tagen, mehr als früher; braucht man doch nur auf einen Knopf zu drük-ken, um irgend jemanden in der Walt reden zu hören I Geht man dann aber von einer der Diskussio-nien, der Aussprachen, der Versammlungen nach Hause, oder hat man die Unterhaltungen im Ohr, wie man sie mit noch so gebildeten, noch so „kultivierten“ Bekannten führte, wie man sie In der Eisenbahn, in Gaststätten als zufälliger Zeuge erleben kann, so empfindet man oft einen Mangel. Es ist, als wäre ein Funke nicht übergesprungen, auf den man im stillen gehofft hatte; die Worte, die noch in einem nachklingen, scheinen in Wahrheit nicht zueinander gesprochen zu sein. Und das gilt nicht nur, wenn es sich lediglich um das sogenannte Gerede handelt: um den Austausch der gängigen Scheidemünzen, wie sie fertig geprägt für den Masseakonsum zur Verfügung stehen. Auch wenn von Wesentlichem gesprochen wird, ja gerade, wenn die Partner ein geistiges Feuerwerk aufsteigen lassen, um ihre Standpunkte brillant darzulegen — sobald all dieser Glanz der Idee versprüht ist, bleibt doch oft nur ein leerer Raum zurück. Der ganze Aufwand scheint nur dazu gedient zu haben, die eigenen Positionen zu bekräftigen; hernach sitzt dann ein jeder befriedigt hinter dem Stacheldrahtverhau seiner Vorurteile, und davor liegt ein Niemandsland, durch das kein Weg zu führen scheint, jedenfalls nicht der Weg des Gesprächs.

Und doch gab es wohl kaum eine Zeit, in der das echte Gespräch, das wahrhaft klärende Streitgespräch, vor allem aber das Gespräch miteinander, das Wege zu bahnen und Brücken zu schlagen sucht, so notwendig war wie heute. Um so dringender erscheint aber auch die Frage, was der einzelne dazutun kann, um das Gespräch — dieses Geschenk einer begnadeten Stunde

— zum Bestandteil seines Lebens zu machen. Ist es vielleicht eine Kunst, die wir weitgehend verlernt haben, die wir uns aber mit einigem gutem Willen wieder aneignen könnten?

In der Tat ist das Gespräch eine hohe Kunst, in der es Meister wie Stümper gibt, aber es ist keine Fertigkeit, die sich wie Maschinenschreiben oder Stenographie in einem Kursus erlernen ließe. Die Gabe der Mitteilung durch das Wort, die uns aus der Vereinzelung herausführen, uns mit unseresgleichen verbinden soll, ist jedem Gesunden in die Wiege gelegt. Damit sie sich voll entfalten kann, bedarf es daher vor allem eines Ausreifens jener Voraussetzungen, die in ihrer Polarität das Wesen des Menschen bestimmen. Denn ihm ist es ja einerseits aufgegeben, Person zu werden, also zu einer Ausprägung seiner Eigenart zu gelangen; zugleich aber ist der einzelne nicht für sich selbst da, sondern hingeordnet auf den anderen: die Hinwendung zum Du, das Heraustreten aus dem Ich gehören ebenso zur menschlichen Bestimmung wie die Ausbildung der Individualität. Beide Elemente sind Grundbedingungen für das echte Gespräch. Wo keine Person hinter den Worten steht — durchtönt im ursprünglichen Sinne von persona —, wo ein Funktionär als Sprachrohr irgendeiner anonymen Macht auftritt, wo nur eine unpersönliche Schablone nachgebetet wird, da fehlt es auch an einer verantwortlichen Rede und Gegenrede; denn hierbei geht es letztlich — im Gegensatz zum bloßen Gerede und zur unverbindlichen Konversation — immer um persönliche Entscheidungen. Die eigentlichen Geheimnisse des Gespräches aber enthüllen sich erst, wenn die Person den Panzer ihrer Selbstgerechtigkeit ablegt; wenn sie darauf verzichtet, ständig um sich selber, um die eigene Gedankenwelt zu kreisen, sich zu produzieren; wenn sie sich statt dessen dem Ge-

genüber zuwendet. Dieser Aufgeschlossenheit im wahren Sinne des Wortes bedarf es schon dann, wenn ein wirkliches Streitgespräch entstehen soll. In einem derartigen Duell gilt es zwar, den Gegner zu besiegen, aber man muß sich doch erst in ihn hineindenken, will man seine wirkliche Blöße erspähen, um ihn alsdann mit einem Florettstich zu treffen. Und bei solch einem Kreuzen der Klingen geschieht zuweilen etwas Merkwürdiges: Auf einmal tritt nämlich das umstrittene Problem in einer Klarheit und Prägnanz zutage, wie sie tiefgründige Abhandlungen nicht zuwege bringen!

Geht also bereits vom Disput, von der Auseinandersetzung eine produktive Wirkung aus, so gilt das erst recht von jenem Gespräch, in dem die Hinwendung zum anderen ganz vollzogen wird. Da kann sich dann jene wunderbare Bestätigung einstellen, nach der unser Geist im stillen immer verlangt und ohne die er zu ersticken droht. „Der Mensch“, sagt Wilhelm von Humboldt, „sehnt sich auch zum Behuf seines bloßen Denkens nach einem dem Ich entsprechenden Du; der Begriff scheint ihm erst Bestimmtheit und Gewißheit durch das Zurückstrahlen aus einer fremden Denkkraft zu erreichen.“ Und Heinrich von Kleist spricht von jenem „sonderbaren Quell der Begeisterung“, den ein lauschendes menschliches Antlitz für den Sprechenden bedeutet: „Ein Blick, der uns einen halb ausgedrückten Gedanken schon als begriffen ankündigt, schenkt uns oft

den Ausdruck für die ganze andere Hälfte desselben.“ Damit wird ein entscheidender Punkt berührt. Allzu viele Gespräche, wie man sie heute führt, kranken daran, daß es an einem solchen helfenden Gesicht fehlt, wie es Kleist im Sinne hat. Wohl gibt es viele Redende, aber nur wenig Hörende. Denn das Hören beim echten Gespräch ist mehr als ein bloßer akustischer Vorgang. Der gute Zuhörer registriert nicht nur nebenbei das Gesagte, während er vorwiegend mit der Formulierung des eigenen Gedankenganges beschäftigt ist; er hat den Mut, aus sich herauszugehen und dadurch seinem Gegenüber nahezukommen; er vollzieht das ihm Mitgeteilte innerlich mit; diese Beteiligung ist aus seinem beredten Schweigen herauszuspüren, bis er seinerseits für eine Weile den Faden aufnimmt — nicht etwa sein eigenes Garn abspinnt — womit dann die Rollen vertauscht werden.

So entsteht jener eigentümliche Magnetismus, den man einem Meister des Gesprächs wie Hugo von Hofmannsthal nachgerühmt hat: keine Überwältigung des Schwächeren durch den stärkeren Geist, die robustere Willensnatur, sondern eine wechselseitige Anziehung, welche die verborgenen Schätze im Partner aufspürt, jene „Landschaften, Gärten und Abhänge“ zum Leben erweckt, die, nach dem schönen Worte Hofmannsthals in einem Briefe an Helene von Nostitz, der eine im anderen sein eigen nennt. Am Ende eines solchen Gesprächs fühlt sich ein jeder reicher geworden, beschenkt; auf einmal ist ein Drittes entstanden, das über den Partnern steht und an dem doch ein jeder teilhat, das einen jeden erleuchtet — jene Erquickung, die Goethe in einem geheimnisvollen Worte seines „Märchens“ andeutet. „ ,Was ist herrlicher als Gold?' fragte der König. ,Das Licht', antwortete die Schlange. ,Was ist erquicklicher als Licht?' fragte jener. ,Das Gespräch', antwortete diese.“

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