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DAS VERLORENE PARADIES

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Teder hat an sich die Erfahrung gemach?, daß gewisse Ereignisse unseres Gefühlslebens plötzlich ein anderes Gesicht bekommen, wenn wir selber oder unsere Mitmenschen ihnen Worte geben. Gewiß, sie sind schon früher deutlich für uns in Erscheinung getreten und haben uns bewegt, wir sind von ihnen erfüllt gewesen, köstlich oder schmerzlich, und es ist uns ihr Licht oder ihr Schatten zuteil geworden. Sie waren aber gleichsam noch in einem Stande der Unschuld, darum vielleicht auch Gott näher und ihm tiefer verbunden. Hatten sie überhaupt schon einen Zusammenhang mit unserer sonstigen menschlichen Existenz? Schwebten sie nicht vielmehr über uns, und wo sie sich auf uns niederließen, war es wie eine Berührung aus anderen Sphären?

Dieser paradiesische Zustand verließ uns jedoch, sowie die Ereignisse von Worten gefaßt wurden. Durch sie wurde ein Ge-fühlsinhalt sofort verengt, seine Konturen verdeutlicht und unnatürlich verschärft, ein lebensvoller Kosmos wurde in kaum erträglicher Weise vereinfacht und sank zur Eindeutigkeit eines menschlich Faßbaren herab. Die Worte hatten das Ungreifbare greifbar gemacht, und den Erscheinungen ging die höhere Dimension, die ihnen natürlich war, verloren. Mit den Worten werden aber auch Maßstäbe an unsere Gefühle herangebracht, ja sie werfen sich über deren stumme Unschuld zum Richter auf. Was uns vordem weder beschämen noch bedrücken konnte, wird uns nun ,,zur Last gelegt“, was uns einfach glücklich gemacht hatte, erscheint uns nun als verwerflich, und von allem, was uns selig erwärmt hatte, geht ein eisiger, tödlicher Hauch aus. Soviel Unheil bringen Worte in ihrem Gefolge.

War es nicht wirklich das Paradies, in dem sich unsere innere Welt zu erschrecken schien, bevor Worte in sie griffen, um sie in Besitz zu nehmen? Unbekümmert freuten wir uns eines Zustands und wußten nichts von Schuld und Reue. War also nicht das Wort erst der Sündenfall? Weil der Mensch „erkennen“ wollte, beging er die Todsünde der Wortwerdung, der Zerstückelung unseres seligen Bewußtseins und damit des Zerfalls unseres Seins. Denn um den Dingen Worte zu geben, mußte er sie aus einem Zusammenhang lösen und sie vereinzeln, also trennen, was untrennbar verbunden war, und für sich betrachten, was nur in der Gemeinschaft mit anderem lebte. Die Namensgebung geschah also durch die Fälschung einer Wirklichkeit, und ein unbestimmter Zustand wird durch die Gewaltsamkeit jeder Wortwahl in einen unheilvoll bestimmten umgelogen Kein Wunder daher, wenn uns jetzt erschreckt, was uns vorher beseligt hatte. Dort ruhten unsere Gefühle beim lieben Gott, durch die Worte wurden sie auf die Erde herabgezerrt und in Bezüge gezwungen, die sie fesseln oder ächten konnten, je nachdem, wie sie von denen, die die Worte sprachen, einmal aufgestellt worden waren. Oh, wie arm können nicht Worte sein, und wie ohnmächtig kann ein

Es ist dies wohl erst ein letztes Stadium, wenn sich unsere Umwelt mit Worten unserer Angelegenheiten bemächtigt hat. Beginnt dieser Weg aber nicht schon mit dem Augenblick, da wir selber mit Worten belegen wollen, was uns bewegt hat? Wie müssen wir vorsichtig sein, soll ein Zustand richtig wiedergegeben werden! Dabei haben wir unsere Empfindungen vor Augen, und können Zug um Zug überprüfen, ob ihnen die Worte auch wahrheitsgemäß folgen. Wie sehr wir uns aber auch bemühen, sehen wir nur allzubald, daß wir uns immer weiter von dem erlebten Zustand entfernen und uns aus unseren eigenen Worten ein fremdes Gesicht entgegentritt. Und um wieviel fragwürdiger wird dieses Unternehmen erst, wenn sich andere ihm unterziehen. Sie messen nicht nur nach ihren eigenen Empfindungen, die von den unsern oft sehr verschieden sind, sondern gebrauchen auch, wie wir gleich bemerken, die Worte in nicht genau dem gleichen Sinn wie wir. Diese sind sichtlich von den Erfahrungen gefärbt, die sie selber gemacht haben, und sie gebrauchen sie nun in der ihnen eigenen Weise. Die Sprache kann uns dann auch als ein Kleid erscheinen, das von dem jeweiligen Geschmack und Bedürfnis bestimmt wird. Für jedes feiner empfindende Organ kommt es dabei also zu einer Sprachverwirrung, und dies innerhalb der gleichen Sprache und sogar zwischen Menschen, die aus ähnlichen Lebenskreisen stammen. Wie wird sie aber erst zunehmen und sich alles in ihr verschieben, wo dies nicht der Fall ist und andere Erfahrungsreihen oder Bildungsstufen maßgebend werden! Worte treten zwischen uns und unsere Gefühle, können uns von Menschen trennen und stehen dabei selbst auf so schwachen Füßen, daß sie zwischen den Hörern hin und her schwanken.

Wirklichkeit war unser Gefühl und der Zustand, den es in uns hervorgerufen hat. Worte entfernen diese Wirklichkeit von uns, ersetzen sie aber durch eine andere, neue Wirklichkeit, die irgendwie für uns entzaubert ist, die uns wohl bestärken, aber auch leiden lassen kann, ein deutliches Zeichen, daß wir durch sie mit anderen Menschen in Kommunikation getreten sind. Sie bringen jetzt auf den Brücken der Worte an den unschuldigen Zustand unserer Gefühle alles heran, was an Wahn in ihnen ist und zu einer „Verwirklichung“ drängt. Was vordem in seiner reinen Luft klar war, kann jetzt unerklärlich werden, und in der eingebrochenen Trübnis sieht sich schief an, was sich erst seines geraden Wuchses erfreut hatte. Mit dem Wort bricht aber auch der Ordnungswille des Menschen über uns herein. Er zwängt die Dinge in ihm geläufige Begriffe, schachtelt sie in seine Werturteile ein und verurteilt, was jeden Richters nur spotten sollte. Und es sind nicht Rosenfinger, mit denen er verfährt, sondern die harten Krallen der Eigenliebe. Die Zwangsjacke der Konventionen wird angelegt, und der Druck der Worte scheint gesiegt zu

Es war aber nur ein Vorpostengefecht, und wer stark in sich ist, verwahrt in seinem Innern, was vorher einen paradiesischen Tag erlebt hatte, ohne zu ahnen, weches Unheil das Aufgebot der Worte in sein Gefüge bringen werde. Fragen wir uns nach der Rückwirkung, die es auf unser Gefühl gehabt hat, so ist sie am unmittelbarsten in seinem Übergang in unser bewußtes Sein zu sehen. Hier ist es nun verankert und kann sich zu seiner Verteidigung nach allen Seiten befestigen. Aus dem Paradies, vertrieben, erkennt es seine Feinde und setzt sich gegen sie zur Wehr. Aus einem Traum ist der Mensch in einen Kampf getreten. Dem Wort jedoch hat er mißtrauen gelernt und weiß, daß es um eine Entscheidung seiner inneren Kräfte geht, die notgedrungen zunächst stumm bleiben wird.

Worte können also unsere Gefühle vergegenständlichen und damit für unsere irdischen Richter bereitmachen. Sie übernehmen dann ein Schergenamt, und unser Inneres revoltiert gegen sie, die immer allzu willfährig Dienste leisten wollen. Sie reden gerne nach anderer Leute Mund und sind treulos' dem besseren Sinn ihres Herrn. Er durchschaut sie, will sich gegen sie auflehnen und ihnen fluchen. Doch der Mund, der zu einem Fluch ansetzen will -r braucht er nicht wieder bloß Worte' und ist zufrieden, die am besten geeigneten zu finden?

Während wir also im tiefsten Grunde das LInglück sehen, das die Wortgebung über unsere Gefühle bringen kann, wird uns auch alles Glück wieder bewußt, das sie gewährt. Und Erinnerungen strömen auf uns ein, an Augenblicke, in denen wir selig waren, Worte zu finden, die einen andern erreichten und ihm sagen, wie es in uns aussieht. Wonne war es sogar, das richtige Wort zu erhaschen, wenn wir es brauchten, um einem Schmerz seinen Ausdruck zu geben. Das Wort, das die Brücke sein konnte für ein Unglück, konnte es auch wieder sein für ein einzigartiges Glück. Und das Wort, das uns die schöne Wirklichkeit eines Gefühls nehmen und sie durch seine Ernüchterung ersetzen konnte, vermochte auch wieder einem noch ungeklärten Zustand in uns Seligkeit einer endlich entschiedenen Wirklichkeit zu geben.

Mit den Worten steht es nicht anders als mit allem Irdischen: sie können Himmel und Hölle, Segen und Fluch, Rettung und Tod bedeuten. Indem sie beides für uns in Bereitschaft haben, sind sie so recht das letzthin berufene Instrument unseres oft so zwiespältigen Wandeins.

Aus dem Buch „Mimus Austriacus“, dem von Lotte von Tobisch herausgegebenen Nachlaß Erhard BuscUbccks, der demnächst itn Verlag „Das Berglandbuch“. Salzburg-Stuttgart, erscheinen wird.

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