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Das Wirkli

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(6. Fortsetzung)

Als er seine Heimkehr in Aussicht stellte, gab sie sich so sehr der Angst und Fülle ihres Herzens hin, daß sie den Tag seiner Ankunft kaum noch erwarten konnte, dann aber — im Gedanken an deren Verwirklichung — rief erschauerte: ob sie wohl imstande sein werde, die lebendige, aus aller Haft entlassene Liebe zu pflegen?!

Er aber schien sich dn der Hingabe dieser Frau zu vervollkommnen und jene Einfalt zu gewinnen, in deren guter Hut nichts Ungehöriges mehr geschehen kann.

Auch mir schrieb er einen Brief nach dem andern. Sonderbarerweise hatte er eine so sichere Hand, daß kaum zu merken war, ein Blinder schreibe. Übrigens, ich habe seine Briefe alle aufbewahrt.

Der Geistliche zündete die Petroleumlampe an. Da sah jeder ein hellwaches Gesicht, im einen die Ruhe des Überwundenen, im andern das zage Staunen über die lästigen Versuche des eigenen Herzens.

Die Briefe zeigten eine weitausholende Schrift für die Adresse, im Text aber jene Vorsicht zur Ordnung, die wohl einige Zeit anhält, dann aber plötzlich über die Grenzen stürmt und so an dem zweifelt, was sie bekennt.

Der Pfarrer rückte sich seine Brille zurecht und las:

„… es ist gut, auf diese Weise heimkehren zu müssen, gewalttätige Menschen brauchen gewalttätige Mittel. Erst allmählich ahne ich die wahre Berufung des Künstlers, der nichts als Gottes Schöpfertaten über sich ergehen lassen soll, um da zu erfüllen, was der Fülle und des Segens ewige Kraft bedeutet: Wirklichkeit. Aber Wirklichkeit ist das Geahnte, das Un-Begriffliche, Un-Begreifliche, also das Vollkommene, daher nie das von Menschen Abhängige. Ich bin glücklich, daß Gott meine Schwäche so ausgenützt hat. Jetzt komme ich nie mehr in Versuchung, seine Schöpferkraft nachzuäffen. Wie sollte der Bezwungene wohl eine Welt besiegen? Aber die Voraussetzungen verleiten doch immer wieder zum Hochmut. Wie gut deshalb, daß mir nichts mehr vorausgesetzt, vorgesetzt ist..

„So schreibt ein Mensch mit 25 Jahren. Und wenn er trotzdem wieder erlag, so ist vielleicht gerade damit eine Aufrichtigkeit belegt. Denn der Aufrichtige handelt stets aus der Erfahrung des Augenblicks.”

„Ist das nicht kurzsichtig?” gestattete sich Herr Direktor Johann Müller einzuwenden.

„Nur insoweit, als manche Entscheidungen vorzeitig fallen; dafür aber wandelt sich auch das Leben folgerichtiger ab.”

Der andre zuckte die Achseln, vielleicht weil sein Gefühl dem eigenen Verstände zuwiderlief.

„Seine Heimkehr zögerte sich aber immer weiter hinaus. Verena schrieb er einmal, der Chefarzt habe gewechselt und der neue wolle ihn noch nicht entlassen. Mir teilte er einige Zeilen später vertraulich mit, man beabsichtige ihn zu operieren, man gebe sich gewissen Hoffnungen hin. Wie zum Scherz fügte er bei: man wüßte ja, worin die Hoffnungen stets bestünden.

Seine Nachricht ergriff mich sehr und ich schrieb auch entsprechend zurück. Wie konnte ich es daher verstehen, in seiner nächsten Antwort gar kein Echo meiner Freude zu hören, vielmehr nur wiederholt die Mahnung vorzufinden, Verena ja nichts von der bevorstehenden Operation zu melden.

Schließlich dachte ich, er wolle sich und Verena vor einer Enttäuschung bewahren und nahm fürderhin keinen Bezug mehr darauf.

Eines Tages schrieb er mir. wieder, Ausbrüche eines fassungslosen Mannes.”

Der Pfarrer suchte auch diesen Brief hervor:

„… Also ich bin operiert worden! Und mit .Erfolg’! Ich sehe wieder. Es ist kein Lohn für den Künstler Arzt, aber für den .Künstler’ Waldner. Eine einfache Geschichte, wie es heißt. Durch den Schrappnelsplitter hatte sich der Sehnerv eingeklemmt, den es nur zu befreien galt. Wirklich eine einfache Geschichte, wenn map bei dieser ,”Befreiung’ einzig das Oberflächliche wahrnimmt. Sonst aber ist es ein Urteil! Dem Hermann Waldner, Mensch aus Zweifel, Halbtalent und Zuchtlosigkeit, wird die höhere Wirklichkeit verliehen. Er erblindet ins Licht, in die Ruhe, in die herrliche Tat der ,Tat-Verwehrung\ Aber nur zur Versuchung. Wieder wird er ins Leben hinaus verflucht, in den Schmutz der täglichen Gewohnheiten, an denen sich die Unermüdlichen, die .Schöpferischen’ erfüllen. O, schreckliche Wirklichkeit, die alle Wirklichkeit zerstört, um die Wollust des Wirklichen zu genießen. — Nun ist mir jede Berufung verwehrt, natürlich auch jene der Liebe. Wem soll ich das sagen, wenn nicht dir. Sollte ein einziger Mensch mich verstehen, so bist es du. Du wirst mich verstehen, selbst dann, wenn unter meiner .Schuld’ noch mehr zerbräche. Aber sie wird nicht zerbrechen, Verena. Es wird ihr ja vielmehr eingehen, daß sie die Versuchung siegreich überstanden hat, so wie Abraham, der seinen Sohn zu opfern sich überwand! Mehr als ein Opfer wird jedoch den Gerechten selten abverlangt. Das allein ist der Grund, warum ich noch lebe und weiterhin zu leben vorhabe. Ich will Verena nicht mehr antun. Denn das ertrüge sie nicht und wenn sonst niemand, sie ahnte es, auch wenn ich ,mutig’ ins Feld zöge: wie einfach, sich zu einer Sturmkompagnie zu melden, um ,fürs Vaterland’ zu sterben. Aber ich darf das nicht tun. Ich tue es nicht. Ich darf nicht einmal hinausziehen. Ich muß feig sein, um tapfer zu bleiben. Das ist das Furchtbare, in allem muß ich jetzt feig sein, um der Tapferkeit willen. Das erstreckt sich nun auf mein ganzes Leben, auch auf das andre: nie mehr darf ich einen Pinsel anrühren, in der Angst, ich könnte Gott versuchen, und im Entsetzen, er schlüge mich derart mit Schwäche, daß jedes Bemühen versagte. Ich werde nie mehr etwas malen können, ich werde nichts mehr können. Begreifst du das Unfaßliche meiner .Heilung’?”

Herr Direktor Müller fragte wie erschrocken:

„Hast du es begriffen?”

„Ja, ich begriff es”, antwortete sein Freund und der Brief raschelte leise, als er ihn wieder zu den andern legte.

Herr Müller schüttelte den Kopf: „Ein seltsames Leben, man möchte den Menschen an den Schultern packen: Nimm doch Vernunft an, es ist ja alles anders! Aber im gleichen Augenblick hört man seine Einwände und wie etwas für ihn spricht und dazu die unbehagliche Sicherheit des eigenen Herzens.” (Fortsetzung folgt)

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